Herr Reist, Tierseuchen unter Nutztieren scheinen generell zuzunehmen. Stimmt diese Wahrnehmung?

Global stellt man eine zunehmende Tendenz fest. Einerseits, weil es immer mehr internationalen Tier-, Waren und Menschenverkehr gibt. Andererseits trägt die Klimaerwärmung dazu bei, dass sich Krankheitsüberträger wie Insekten und Zecken schneller vermehren können und die Kompetenz erwerben, Viren in sich zu vermehren und zu übertragen. Die steigende Bedrohungslage wirkt sich auch auf die Schweiz aus. Denn die meisten Seuchen kennen keine Landesgrenzen. Wir müssen das Bewusstsein schärfen, dass solche immer mehr vorkommen. Im europäischen Vergleich haben wir aber noch immer einen sehr guten Tiergesundheits-Status.

Wie kommt das?

Die Schweiz verfolgt schon immer die Strategie, frei von möglichst vielen Tierseuchen zu sein, weshalb sie rigoros bekämpft werden. Einige konnten in der Vergangenheit erfolgreich ausgerottet werden, zum Beispiel die Maul- und Klauenseuche. Auch aktuell laufen die zwei Bekämpfungsprogramme zu BVD (Bovine Virus-Diarrhoe) und zur Moderhinke.

Ab wann lohnt es sich, (viel) in die Prävention zu investieren?

Grundsätzlich gilt: Prävention ist stets besser und günstiger als Heilung. Gerade bei der Blauzungenkrankheit lohnt sich eine Investition in die Impfung. Denn sie ist die einzige wirksame Massnahme gegen die Krankheit. Wenn auf einem Betrieb ein grosser Teil der Tiere betroffen ist, verursacht das Kosten, die ein Vielfaches höher liegen im Vergleich zu dem, was die Impfung gekostet hätte. Denn nicht nur die Verluste, sondern auch die ganzen Tierbehandlungen, Leistungsrückgänge und Folgeschäden wie schlechtere Fruchtbarkeit haben wirtschaftliche Auswirkungen.

Weshalb hat es so lange gedauert, bis die Impfung in der Schweiz zugänglich war?

Für den BTV Serotyp 3 gibt es weder bei uns noch sonst in Europa einen zugelassenen Impfstoff. In der Tierarzneimittelgesetzgebung der EU gibt es einen Paragrafen, der in Notsituationen auch die Anwendung eines Impfstoffes ermöglicht, der nicht zugelassen ist. Einen solchen Gesetzesartikel gibt es in der Schweiz nicht. Das BLV hat daher mit Hochdruck eine Allgemeinverfügung erlassen, um den Import zu ermöglichen. Das war ein relativ langer Prozess. Doch sobald wir die Erlaubnis hatten, ging es schnell, bis der Impfstoff im Land war und verteilt werden konnte.

Gibt es eine Möglichkeit, solche Prozesse künftig zu beschleunigen?

Das BLV ist bereits dran, die gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, über welche letztlich das Parlament entscheidet. Wir sind zuversichtlich, dass wir im Verlaufe des Jahres 2025 eine gesetzliche Grundlage haben werden. Bis dahin operieren wir mit Allgemeinverfügungen. Ganz wichtig ist nun, dass Schafe und Rinder bis im Frühjahr 2025 geimpft werden. Bekanntlich ist die zweite Welle im Frühjahr intensiver als die erste.

Welche weitere Tierseuche bereitet Ihnen derzeit Kopfzerbrechen?

Bedrohlich, aber glücklicherweise noch nicht in der Schweiz, ist die Afrikanische Schweinepest. Die grösste Bedrohungslage für die Schweiz ist aktuell in Norditalien. Dieser Ausbruch breitet sich seit zweieinhalb Jahren immer stärker aus. Da die Wildschweine dort und in der Schweiz eine gemeinsame Population bilden, kann die Seuche so langsam über die Grenze wandern. Aber auch über den Reiseverkehr mit kontaminierten Kleidern oder Lebensmitteln ist es jederzeit möglich, dass die Afrikanische Schweinepest in die Schweiz eingeschleppt wird. Es kann schon reichen, wenn man Fleisch oder Würste aus betroffenen Gebieten im Ausland mitnimmt, die Reste achtlos in den Abfall wirft und diese dann von einer Wildsau gefressen werden. Das Virus kann in einer getrockneten Wurst bis zu einem halben Jahr überleben.

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Was tut das BLV, um einen Ausbruch in der Schweiz zu verhindern?

Das BLV macht in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden sehr viel Präventionsarbeit und fördert die sogenannte «Disease Awareness» – also das Bewusstsein für die Gefahr einer Seuche; dies mittels Hinweisen für Reisende an Flughäfen und Informationsblättern für Tierhalter, Jäger und Erntehelfer. Ganz wichtig ist auch die erhöhte Biosicherheit auf Betrieben. Zum Beispiel kann ein Doppelzaun bei Schweinen im Auslauf vor direktem Kontakt mit Wildschweinen schützen. Wenn ein Schweinebauer auch Jäger ist, ist ein Kleiderwechsel sehr wichtig. Auch sollte man zurückhaltend damit sein, fremde Leute in den Stall zu lassen, und Hygieneschleusen einrichten, damit das Virus nicht zu den Tieren kommt. Oberste Priorität hat, dass die Krankheit gar nicht erst in die Schweiz gelangt. Und falls doch, muss ein Fall möglichst schnell entdeckt werden. Jeder Seuchenverdacht muss umgehend gemeldet werden. Sämtliche Wildschweine, die tot aufgefunden werden oder krank wirken beim Abschuss durch die Jagd, werden auf das Virus untersucht. Wenn der Ausbruch ein gewisses Ausmass angenommen hat, wird es also sehr schwierig. Wir machen auch Krisenübungen, bei denen wir Ausbrüche simulieren. Für die Afrikanische Schweinepest gibt es keine Impfung. Für Menschen ist sie jedoch nicht gefährlich.

Was können Besitzerinnen und Besitzer für die Gesundheit ihrer Heimtiere tun?

Es ist wichtig, sich gründlich über die Gesundheitsrichtlinien der Tiere zu informieren. Auch wenn man nur zehn Hühner hat, ist der eigene Beitrag so wertvoll wie der von allen anderen. Wichtig bei einer Tierseuche ist, die vorgeschriebenen Massnahmen umzusetzen, die das BLV kommuniziert. Am Beispiel der Vogelgrippe: Tot aufgefundene Wildvögel sollten aus Sicherheitsgründen generell nicht berührt werden. Sie sind der Wildhut, der Polizei oder dem Veterinärdienst zu melden.

Die möglichen Auswirkungen von Tierseuchen sollten der breiten Bevölkerung also noch bewusster werden?

Absolut! Und, was sie selbst zur Risikominimierung beitragen können. Man darf nicht einfach davon ausgehen, dass der Bund allein die Schweiz vor Tierseuchen schützen kann. Es ist nicht eine Frage des Willens, sondern der Möglichkeiten. Das BLV ist gut vernetzt und erarbeitet mit anderen Ländern, Kantonen und verschiedenen Bundesämtern die erforderlichen Massnahmen. Tierseuchen können wir nur gemeinsam bekämpfen. Deshalb sind wir auch auf die Umsetzung der Massnahmen durch die Tierhalter, ob gewerblich oder als Hobby, angewiesen.

Hinweis: Das Interview fand am 16. Dezember 2024 statt.