Es sollte ein normaler Restaurantbesuch werden. Ares würde brav unterm Tisch liegen. Das stetige Nagen unter der Tischdecke hörte keiner. Erst beim Aufbruch sahen seine Besitzer, dass sich der Rottweiler das Warten mit einem Tischbein versüsst hatte. «Kauen setzt Glückshormone frei und beruhigt», sagt Manuela Albrecht aus Wittenbach SG. Geschichten wie die von Ares kennt die Tierpsychologin und Hundetrainerin aus der Praxis zur Genüge. Da der Hund keine Hände hat, bedient er sich seines Maules, um etwas «anzufassen». Das sei eine natürliche Verhaltensweise. Welche Gegenstände er bevorzugt, liegt an seiner Umgebung und Erziehung. Vieles hat mit Gewohnheit zu tun. 

Mit Zerstörungswut oder dem «Welpengekaue» hat eine solche Kauroutine allerdings nichts zu tun. «Während Welpen zum Stillen des Kauverlangens viel anknabbern, zeigt sich Zerstörungswut vor allem bei pubertierenden und erwachsenen Hunden», sagt Albrecht. Ein allein gelassener Hund könne in Stress geraten, da sein Rudel weg ist. «Die Energie, die zum Auffinden des Rudels für den Hund wichtig ist, wird über andere Bahnen freigesetzt.» Ist das Alleinbleiben vorher nicht richtig geübt worden, kann beim Abreagieren schon mal das Sofa zerfleddert werden. 

Für Hundebesitzer sind das wahre Herausforderungen. Nichts ist vor den Zähnen sicher: Fernbedienung, Mobiltelefon, Bücher, Kissen, Schuhe, Socken, Tischbeine und auch Kinderspielzeug – die Liste der für Hunde unwiderstehlichen Objekte des Kauens ist lang. 

Holz, Plastik, Gummischlappen
Wie Ares, kauen viele Hunde besonders gerne Holz: Stuhl- und Tischbeine, die unteren Ecken von Schränken oder auch Türrahmen. Meist liege dem ein Erziehungsfehler zugrunde, meint die Hundetrainerin. «Gebe ich meinem Welpen eine Holzkelle zum Nagen, bedient sich der erwachsene Hund später an Stuhl- oder Tischbeinen.» Manchmal kann aber auch Hunger dahinterstecken. «Fällt aus Versehen Essbares vom Tisch, möchte der Hund oft nur mal prüfen, ob es wirklich essbar ist. Stattdessen nimmt er das Tischbein.» Oder das Kauen dient einfach dazu, Aufmerksamkeit zu erheischen. 

Noch beliebter als Holz sind Lederschuhe und Gummischlappen – weil sie weich sind. «Ideal für den gelangweilten Hund, um sich die Zeit zu vertreiben», so Albrecht. Auch hier müssen sich Halter zumeist an die eigene Nase fassen. Damit nicht plötzlich die teuren Designer-Schuhe zerbissen sind, sollte man einem Hund niemals einen alten Schuh zum Kauen geben, rät sie. Denn der Hund macht keinen Unterschied zwischen alt und neu.

Auch Plastik ist ein beliebtes Objekt. «Es macht beim Zerkauen schöne Geräusch und zersplittert. Die Splitter können gesucht werden, was wieder der Langeweile entgegenwirkt.» Ein solcher Exkurs ist nicht ungefährlich. Elektronische Geräte wie Fernbedienungen und Mobiltelefone enthalten nicht nur giftige Batterien, werden die Teile heruntergeschluckt, kann der Hund sogar daran ersticken oder an einem Stromschlag sterben. 

Besserung im Alter
Manche Hunde kauen nicht nur wie die Weltmeister, sondern schlingen oft das Kauobjekt gleich ganz herunter. Beliebte Objekte sind  Socken, Steine, Zigarettenstummel, Bier­deckel oder Teelichter. «Das sieht man oft bei hyperaktiven Tieren», sagt die Hundeexpertin. Sie rät Haltenden von jungen Hunden zu besonderer Achtsamkeit, um das Tier nicht zu Hyperaktivität zu «erziehen». Hat man viel Besuch oder unternimmt viel, wird dem Hund praktisch keine Minute Ruhe gegönnt. Erst beim Kauen entspannt der Vierbeiner dann. Manchmal schläft er dabei auch ein. 

Je nachdem, was der Hund bevorzugt hinunterschlingt, kann es noch weitere Gründe für sein Verhalten geben. Die Essstörung Pica-Syndrom – zwanghafte Essgelüste des Hundes auf ungeniessbare Dinge wie Haare, Erde, Schaumstoff, Kleider, Steine oder Holz – kämen ebenso infrage wie Mineralstoffmangel, wenn der Hund beispielsweise Sand oder Erde verschlinge, sagt Albrecht. Daher sei es wichtig, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern vielmehr die Ursache für das Verhalten zu eruieren. «Nur so können wir letztlich das zerstörerische Verhalten umlenken.» 

Eine Rassendisposition scheint es nicht zu geben. Nervöse und gestresste Hunde sowie vernachlässigte, unterforderte, aber auch überforderte Tiere kauen weitaus häufiger, da sie sich so die notwendige Abwechslung und Entspannung schaffen. Im Alter ist meist mit dieser Marotte Schluss. «Ältere Hunde brauchen mehr Ruhe und schlafen häufiger. Sie «vergessen» dabei ihre Kauaktivitäten von früher», sagt die Hundepsychologin. 

Bis dahin sollte der Hund so gut wie möglich in die Familie eingebunden und durch viel Aktivität ausgelastet werden. Manuela Albrecht empfiehlt zudem Kausticks, Kauknochen oder Kauspielzeuge, an denen sich der Hund die Langeweile vertreiben, Stress und Frust abbauen kann. Und sie hat noch eine Managementlösung parat: «Aufräumen und Wegpacken sind die Zauberworte. Und die Wohnung ist so immer schön aufgeräumt.»