Rocky kommt nach dem Baden aus dem Wasser, läuft auf seinen Menschen zu und … schüttelt sich. Klar, so trocknet der Hund sein Fell. Was aber, wenn er sich schüttelt, obwohl er gar nicht nass ist? Auch dann versucht der Hund, etwas abzuschütteln und loszuwerden – und zwar Stress. Das sogenannte «Shake Off», das man häufig nach angespannten Situationen oder Interaktionen mit anderen Hunden sieht, ist nur eines von vielen Stresszeichen. Je besser Halter und Halterinnen diese (er-)kennen und verstehen, desto besser können sie eine Situation richtig einschätzen und ihren Hund unterstützen.

Auch wenn der Begriff bei uns Menschen vor allem negativ besetzt ist: Stress ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf eine unbekannte oder bedrohlich erscheinende Situation. Er ist Teil der Kampf-oder-Flucht-Reaktion und versetzt den Körper u.a. durch einen Anstieg von Herzschlag, Blutdruck und Atmung in Alarmbereitschaft.

Stress ist grundsätzlich nichts Schlimmes, sondern gehört in einem gewissen Mass zum Hundeleben dazu. Schliesslich lassen sich manche Umweltreize (Silvesterraketen oder Gewitter) oder auch sozialer Stress, z.B. mit Artgenossen, nicht immer neutralisieren. Dies ist auch der Grund, warum bereits Welpen lernen sollten, mit neuen Reizen (z.B. Lärm) und anspruchsvollen Situationen wie Alleinebleiben, Autofahren oder auch Tierarztbesuch umzugehen.

Guter und schlechter Stress

In moderaten, zeitlich begrenzten Mengen hilft Stress dem Hund, eine Herausforderung zu meistern. Dies, indem er die Motivation, Konzentration und Leistungsfähigkeit fördert. Ein Beispiel: Rocky wird aufgeregt, wenn sein Mensch den Ball in die Hand nimmt. Er hat gelernt, dass dieser ihn gleich wirft und er ihn jagen darf. Neben diesem positiven Stress (Eustress) gibt es aber auch den als unangenehm empfundenen, schädlichen Stress (Disstress).

Er tritt auf, wenn der Hund mit einer Situation überfordert ist, und kann auf Dauer krank machen. Weil Stress das Immunsystem beeinträchtigt, leiden gestresste Hunde häufig unter gesundheitlichen Problemen wie Magen-Darm-Krankheiten (Erbrechen, Durchfall), Allergien oder Ohrenentzündungen. Zu vielnegativer Stress kann ausserdem die geistige Leistung einschränken und zu Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität, Ängstlichkeit oder Aggression führen.

So zeigt der Hund Stress

Sind Hunde angespannt oder mit einer Situation überfordert, zeigen sie häufig Ersatzhandlungen, sogenannte Übersprungshandlungen, wie z.B. Schütteln, Kratzen, Gähnen oder auch Aufreiten. Sie treten auf, wenn der Hund zwischen zwei Handlungen, Antrieben und Emotionen hin- und hergerissen ist und nicht weiss, wie er angemessen darauf reagieren soll. Ersatzhandlungen helfen dem gestressten Hund, den inneren Druck körperlich abzubauen. Beispiel: Als Rocky auf der Wiese etwas Spannendes wittert, pfeift ihn sein Mensch zurück. Einerseits würde er gerne weiterschnüffeln, andererseits hat er aber auch gelernt, auf das Signal hin zurückzukommen. Aufgrund dieses Zwiespalts setzt er sich erst einmal hin und kratzt sich, bevor er zurückkommt.

Auch ein potenzieller Konflikt mit einem Artgenossen bedeutet für Hunde Stress. Um zu demonstrieren, dass sie weder mit dem Gegenüber wetteifern noch angreifen möchten, zeigen rangniedrigere oder un-sichere Hunde sogenannte Beschwichtigungssignale. Dazu zählen neben dem Gähnen u.a. das Vermeiden des Blickkontaktes (Abwenden der Augen oder des Kopfes), Abwenden des Körpers, Schnüffeln am Boden, schnelles Schnauzelecken (Züngeln), Hinsetzen oder -legen (ggf. auf den Rücken), Vorderkörpertiefstellung oder sehr langsame Bewegungen bis hin zum Erstarren des Körpers («Freeze»).

Wichtig ist: Um die Körpersprache richtig zu deuten, muss man immer die Gesamtsituation betrachten. Nicht jedes Gähnen oder Kratzen bedeutet zwangsläufig Stress. So kann ein Hund natürlich auch müde oder von einem Floh genervt sein. Auch das Züngeln kann je nach Situation ein Zeichen von Unterwürfigkeit sein oder aggressives Verhalten ankündigen. Ebenso kann ein Hund nach einem Freeze durchaus aggressiv werden. Kommt dazu: Oft treten mehrere Stresssignale parallel oder kurz hintereinander auf. Um sie zu erkennen, ist es ratsam, eine Situation zu filmen und in Zeitlupe anzuschauen. Meistens ist man überrascht, wie viele Stresszeichen man übersehen hat.

Weitere Stresssymptome

Neben den genannten Übersprungs- und Beschwichtigungssignalen sollten Halterinnen und Halter auch auf folgende Symptome achten:

  • Verstärktes Hecheln (ohne Hitze oder Anstrengung)
  • Haarausfall
  • Plötzliche Schuppenbildung
  • Schweisspfoten (veränderter Körpergeruch)
  • Speicheln
  • Appetitlosigkeit
  • Zittern (trotz Wärme)
  • Körperliche Anspannung/Steifheit
  • Übermässiges Schlafbedürfnis
  • Stereotypien (z.B. Graben, Schwanzjagen)
  • Übermässiges Bellen, Fiepen
  • Vermehrtes Urinieren und Koten
  • Zerstören von Gegenständen
  • Strecken (stressbedingt verhärteter Muskeln)
  • Selbstverstümmelung (z.B. an Rute oder Pfoten)
  • Übermässiger Durst
  • Exzessive Körperpflege (Lecken, Putzen von z.B. Pfoten, Flanken, Genitalien)
  • Hyperaktivität oder Reaktivität
  • Schlechte Konzentrationsfähigkeit

Was tun, wenn der Hund gestresst ist?

Oberste Prämisse ist, stets selber entspannt zu bleiben und in ruhigem Tonfall mit dem Hund zu sprechen. Halterinnen und Halter sollten zwar aufmerksam auf den Stress des Hundes reagieren, ihn aber nicht in seinem Verhalten bestärken, also nicht bemitleiden und tätscheln. Je nach Stresslevel kann es helfen, wenn man den Hund z.B. mit einem Leckerli oder Spielzeug ablenkt. Insbesondere nach aufregenden Erlebnissen, wie z.B. dem Besuch einer Hundewiese, brauchen Hunde genügend Ruhe und Schlaf (16 bis 18 Stunden). Dies ist wichtig für die Regeneration. Bis sich das Stresshormon Cortisol im Körper abgebaut hat, kann es bis zu sechs Tage dauern!

Weitere Massnahmen des Stressabbaus:

  • routinierte Tagesabläufe
  • sichere, entspannte Umgebung (Rückzugsorte)
  • souveräne Führung des Hundes durch den Menschen
  • verbindliche Regeln und Grenzen
  • Desensibilisierung (Gewöhnung an Stressfaktoren)
  • bindungsfördernde, artgerechte Auslastung (inkl. mentaler Stimulation)
  • alters- und rasseentsprechende körperliche Bewegung
  • Entspannungstechniken (z.B. Konditionierung eines Ruhewortes)
  • Training von Selbstbewältigungsstrategien
  • Reduktion/Vermeidung von Stressauslösern
  • Verhaltenstherapie

Training unter StressIst der Hund emotional gestresst, kann er nichts lernen. Schlimmer noch: Er verknüpft das Training mit dem Stresszustand und damit negativ. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass jedes Training – insbesondere am Anfang – in einer möglichst ruhigen, reizarmen Umgebung stattfindet.