Viele Hundehalter schicken ihre Vierbeiner regelmässig auf die Hundewiese. Dies sei wichtig für die Sozialisierung, so die verbreitete Meinung. Praktischer Nebenaspekt: Während sich die Vierbeiner auspowern, können die Hundehalter am Rand bequem miteinander plaudern.

Doch so harmonisch diese «Kinderspielplatz»-Idylle aus menschlicher Sicht erscheinen mag, so heikel ist sie für den Hund. Da ist zuerst einmal die Frage nach dem artspezifischen Bedürfnis. Also will ein Hund überhaupt zu jeder Zeit mit jedem anderen Hund spielen?

Experten haben dazu eine eindeutige Meinung: «Die Vorstellung, dass mehrere Hunde beliebiger Herkunft miteinander spielen möchten, widerspricht den Erkenntnissen über die soziale Veranlagung von Caniden – egal, ob wild lebend oder domestiziert», schickt Hundetrainer und Fachautor Roman Huber gleich vorweg. Hunde würden kaum jemals freiwillig auf einer eingezäunten Wiese irgendwelche anderen Hunde treffen wollen.

Anarchie statt Harmonie

Denn was passiert auf der Hundewiese? Was viele Besitzer als lustvolles «Spielen» interpretieren, sei häufig nichts anderes als einseitiges Jagen, Hetzen oder Mobbing, so Huber. Besonders prekär: «Sowohl Gewinner als auch Verlierer machen die falschen Erfahrungen», erklärt der Hundetrainer. Während der Stärkere lerne, dass er durch Gewalt zum Erfolg kommt, lerne der Schwächere, den Widersacher mit aggressivem Verhalten wie Schnappen oder Beissen abzuwehren. Dies passiert häufig ganz zum Erstaunen der Besitzer, die ihre sonst so freundlichen Hunde plötzlich kaum noch wiedererkennen.

Das Problem: In der Regel haben die Hunde längst eindeutige Warnzeichen gegeben, dass sie sich unwohl fühlen. Ihre Menschen haben diese jedoch nicht erkannt und versäumt, rechtzeitig einzugreifen. Gerade in Begegnungen mit Artgenossen werden Körpersprache und Emotionen von Hunden oft missverstanden. 99 Prozent der Beissvorfälle passieren, weil die Signale ihres Hundes von den Haltenden übersehen werden. Und wie so oft spielt auch dabei die Vermenschlichung eine Rolle: nicht selten sehen Hundebesitzer nur das, was sie sehen wollen.

So oder so führen unkontrollierte Begegnungen, insbesondere mit mehreren Hunden häufig zu Überforderung und Stress. Nicht jeder Hund mag jeden anderen Hund. Ausserdem ist es wie für uns Menschen auch für Hunde schwierig, sich auf mehr als ein Gegenüber zu konzentrieren. Die dabei entstehende Aufregung setzt den Tieren nachhaltig zu. Bis der Körper die Stresshormone wieder abgebaut hat, kann es mehrere Tage dauern.

«Ich weiss von Beissvorfällen, die am Tag nach dem Besuch eines Hundewiesen-Massentreffs passiert sind», erzählt Huber. Doch selbst wenn es nicht so weit kommt, können die schlechten Erfahrungen beim Zusammentreffen mit mehreren Hunden das Vertrauen in den Menschen nachhaltig beeinträchtigen.

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Wenn die Wiese taub macht

Auch für die Erziehung sind regelmässige Besuche von Hundezonen in vielerlei Hinsicht kontraproduktiv. So beeinträchtigt zum Beispiel die entstehende Erwartungshaltung die Leinenführigkeit. «Mit jedem Besuch lernen Hunde, dass Artgenossen Erregung, Bellen und Balgen bedeuten – und hängen sich bei Begegnungen fortan in die Leine», erklärt Huber.

Überhaupt sind viele Vierbeiner auf der Hundewiese auf einem Erregungsniveau, auf dem sie nicht mehr ansprechbar sind. Mit dem Klicken des Karabiners wird der Mensch ausgeblendet. Kommt dazu: Hetzen und Jagen sind für Hunde stark selbst belohnende Handlungen. Den grössten (Hormon-)Kick erfahren Hunde, wenn sie am weitesten von ihrem Menschen entfernt sind. Was sollte sie motivieren, sich jenseits der Wiese plötzlich wieder an ihm zu orientieren?

Wichtig sind ausgewählte Sozialkontakte

Sozialisierung ist wichtig. Schliesslich müssen Hunde lernen, Kommunikationssignale von Artgenossen richtig zu deuten und angemessen darauf zu reagieren. Dieser Prozess ist auch lange nach der ersten und wichtigsten Sozialisierungsphase des Welpen (zwischen der 4. und 12. Woche) nicht abgeschlossen, sondern dauert ein Hundeleben lang. Halter können und sollten ihn durch gute Erfahrungen mit anderen Hunden fördern. Dazu dienen ruhige Kontakte (auch an der Leine) mit der nötigen Individualdistanz zum Beispiel auf Spaziergängen mit Hundefreunden. «Hunde sind soziale Wesen und brauchen gute, ausgewählte Sozialkontakte und spielerische Interaktionen, bei denen Kommunikation stattfinden kann.

Das unkontrollierte Toben mit fremden Artgenossen ohne Rückzugsmöglichkeiten und ohne die Sicherheit, beim Menschen Schutz suchen zu können, ist kontraproduktiv für die Sozialisierung», betont Huber. Überhaupt werde die Bedeutung des gemeinsamen Spielens bei Hunden überbewertet, weiss der Experte.

Es dient zwar in der Welpen- und Junghundezeit dazu, das Verhalten für den Ernstfall zu üben und Sozialverhalten zu erlernen. Wie bei uns Menschen nimmt die Spielmotivation aber im Laufe des Lebens ab, dies besonders im Zusammenhang mit Fremden. «Sind die Hunde einmal erwachsen, rückt das Spiel mit Artgenossen in den Hintergrund», so Huber. Viel wichtiger sei dann das Spiel mit dem Menschen als dem wichtigsten Sozialpartner des Hundes.

Zu viel Aufregung kann sogar Bissvorfällen zur Folge haben.

«Die regeln das schon untereinander.» – Nein!
Es ist ein Irrglaube, dass jeder Hund in der Lage ist, selbstständig Streitigkeiten mit einem anderen Hund zu lösen. Wachsamkeit und Respekt sind daher die Grundvoraussetzungen, wenn sich Hundehalter mit ihren Vierbeinern zum gemeinsamen «freien Spiel» treffen. Ausserdem sollten sie folgende Regeln beachten:
• die Hunde treffen sich freiwillig, freundlich, angst- und natürlich stressfrei
• die Gruppe ist ausgewogen bezüglich Alter und Gewicht
• die Interaktionen sind ausgewogen und harmonisch (zum Beispiel Rollenwechsel als Zeichen für echtes Spiel)
• die Hunde kennen sich und es interagieren immer nur zwei bis drei Tiere miteinander
• die Besitzer behalten die Hunde im Auge und brechen Interaktionen wenn nötig ab
• fremde Hunde werden sorgsam eingeführt (erstes Kennenlernen angeleint und auf Distanz, der eigene Hund wird zurückgehalten)