Wer in die Evolution des Hundes eintauchen möchte, dessen Weg führt unweigerlich nach Bern, genauer ins Untergeschoss des Naturhistorischen Museums. Dort befindet sich die weltweit grösste wissenschaftliche Sammlung von Hunden. Deren Aufbau wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom damaligen Kurator Theophil Studer initiiert. Er fand es wichtig, die damals entstehende Rassehundezucht zu dokumentieren.

Den Grundstock der Sammlung legten vornehmlich Schweizer Hunderassen. Barry, der Bernhardiner, war das allererste Objekt, das 1814 Eingang in die Hundesammlung fand. Allerdings nicht auf eigenen Pfoten, der legendäre Rettungshund wurde präpariert und dann ausgestellt. 1854 kam ein zweiter Hund hinzu und ab 1870 sind regelmässige Sammlungseingänge verzeichnet.

Hunde im Torf und im Leinensack

«Der grösste Teil der Hundesammlung besteht heute aus Schädeln verschiedener Rassehunde, rund 2500 an der Zahl», so Kurator Stefan Hertwig. Daneben sind rund 250 Hundefelle, eine umfangreiche Sammlung von Gewebeproben, Rohskelette und in Alkohol konservierte Hundeföten im Museum eingelagert. Besagte Rohskelette müssen allerdings dringend nachbearbeitet werden, so Hertwig. Das Fleisch sei nur grob von den Knochen abgelöst worden, danach wurden die Skelette in Leinensäcken im Dachstock aufgehängt. Gerade in diesen Sammlungsstücken liegen wichtige Informationen, um der Entwicklungsgeschichte des Hundes auf die Spur zu kommen.

Die gesamte Sammlung werde von Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt rege genutzt, so der Kurator. Meist würde das Skelett in Kombination mit genetischen Analysen untersucht, um ergründen zu können, wie sich morphologische Veränderungen aus den Genen ergeben. Auch Veterinärmediziner konsultieren diese Sammlung etwa für Untersuchungen zur Verkürzung der Atemwege, und sogar Archäologinnen interessieren sich für die historischen Hunde. Vor allem für sehr alte Exemplare, sogenannte Torfhunde, die aus der Jungsteinzeit stammen und bei Ausgrabungen von Pfahlbausiedlungen am Bielersee gefunden wurden.

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Die Hundesammlung wächst auch heute stetig weiter. Immer wieder werden verstorbene Hunde samt ihren Stammbäumen und medizinischen Protokollen zu Forschungszwecken dem Naturhistorischen Museum übergeben, meist von Züchtern. Voraussetzung ist, dass es sich um einen rassereinen Vierbeiner handelt.

Damit die aufwendige Präparierung und der Unterhalt älterer Sammlungsstücke gewährleistet ist, leistet die Albert-Heim-Stiftung für kynologische Forschung einen wichtigen finanziellen Beitrag.

«Gesundheit muss die oberste Zuchtpriorität haben.»

Dass dies eine sinnvolle Investition ist, beweist auch ein jüngst abgeschlossenes Forschungsprojekt, in dem aufschlüsselt wurde, wann der gemeinsame Weg von Mensch und Hund begonnen hat. Wolfsgenome wurden mit denen von früheren und modernen Hunden verglichen. Keine Neuentdeckung war die Abstammung des Hundes vom Wolf. Jedoch konnte nun festgelegt werden, dass das Zusammenleben vor 33 000 bis 35 000 Jahren in Sibirien seinen Anfang genommen hatte.

Ob zudem eine zweite, unabhängige Domestikation von Hunden in Europa stattgefunden hat, konnte noch nicht abschliessend verifiziert werden. Von Domestikation spricht Stefan Hertwig allerdings nicht gerne, passender findet er den Ausdruck Koevolution. «Denn es handelt sich um zwei Arten, die sich kannten und gegenseitig, nicht nur ein-seitig, beeinflussten.» Erst durch den Hund wurden für den Menschen bestimmte Jagd- oder Weidetechniken möglich – Stichwort Herdenschutz – und die Besiedlung des hohen Nordens realisierbar.

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Der Weg zum Hundeblick

Wie der erste Kontakt zwischen Wolf und Mensch zustande kam, das ist eine noch offene Frage. Eine Theorie lautet, dass die Wölfe sich für die Essensreste der Menschen interessierten und deshalb in ihre Siedlungen einzogen. Ebenso plausibel findet Stefan Hertwig, dass eine Faszination des Menschen für diese Tiere den Ausschlag gab und einzelne Wolfswelpen im Menschenverbund aufgezogen wurden.

Sicher ist, dass die Zweibeiner jeweils die zahmsten Tiere zur Weiterzucht auswählten. Damit ergaben sich gewisse Mutationen. Merk-male der Umwandlung vom Wild- zum Haustier sind beispielsweise, dass die Schnauze immer kürzer wurde und die Schädelgrösse abnahm. Auch der so viel zitierte Hundeblick ist eine Veränderung, die der Anpassung an den Menschen geschuldet ist. Wölfe können ihre Augenbrauen nämlich bei weitem nicht so stark bewegen.

Zurück zur gesunden Zucht

Wann genau die Zucht von verschiedenen Hundetypen einsetzte, sei unscharf, so der Fachmann. Bereits im alten Rom habe es spezifische Kampfhunde und Jagdhunde gegeben. Hunde, die darauf spezialisiert sind, den Menschen bei der Jagd zu unterstützen, würden die ältesten stabilen Zuchtlinien bilden. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging es dann los mit der organisierten Zucht verschiedener Hunderassen. «Die Engländer waren die Vorreiter und führten 1859 die erste Hundeschau durch», erklärt Hertwig. In diesem Zeitraum wurden auch Rasseclubs gegründet.

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Heute unterscheiden sich in zahlreichen Rassen Leistungs- von Showlinien. Bei den Leistungslinien steht die Funktion klar im Vordergrund, also, dass der Hund gut jagen, wachen oder suchen kann. Bei den Showlinien wird jedoch auf ein Schönheitsideal hingezüchtet. Genetische Krankheiten wie die Hüftdysplasie würden bei Gebrauchshunden eher ausgemerzt. Verwerflich findet es Hertwig, wenn bei gesundheitlichen Problemen, der Beibehaltung von Schönheitsidealen zuliebe, nicht die Zuchtziele verändert, sondern extra medizinische Interventionen entwickelt werden.

«Wenn ein Problem feststeht, sollte dieses schnell herausgezüchtet werden. Gesundheit muss zum Wohle der Hunde die oberste Zuchtpriorität sein.» Auch dabei kann die Berner Hundesammlung hilfreich sein, indem sie den Weg zurück zu gesunden Rassestandards aufzeigt. Denn Wölfe waren vielleicht kaltschnäuzig, aber sicher nicht so kurzschnäuzig und atemlos wie unsere heutigen Möpse.