Lesergeschichten
Wie Kater Maudi «entführt» wurde
In seiner Lesergeschichte erzählt Hans Fehr wie sein Kater Maudi plötzlich verschwunden ist und wie er sich unermüdlich auf die Suche nach dem Vierbeiner machte.
«Wie bitte? Maudi ist entführt worden?» Ich reagiere ungläubig und konsterniert am Telefon, als ich vor einigen Wochen mit Verspätung erfahre, dass Maudi, der unbestrittene Chef der dreizehn Katzen auf dem Hof meines verstorbenen Bruders, verschwunden sei. Zu dritt – der neue Besitzer, eine Frau und ich – sorgen wir seit seinem Tod für die Katzen. So haben wir es meinem Bruder versprochen – für uns Katzenfreunde eine Selbstverständlichkeit. Aber nun soll Maudi verschwunden sein? Undenkbar! Wie konnte das geschehen?
Der neue Hofbesitzer klärt mich auf. Gestern sei eine Tierärztin aus dem süddeutschen Dettighofen gekommen, um ein Pferd zu verarzten. Denn auf dem Hof in Berg am Irchel im Zürcher Weinland hat eine deutsche Bekannte des Besitzers einige Pferde untergebracht. Während die Tierärztin das Pferd behandelt, holt sie mehrmals Geräte und Medikamente im Auto. Als sie wegfährt, ist es bereits dunkel. Sie fährt direkt zu einem Pferdehof am Rand der Gemeinde Dettighofen, um auch dort ein Pferd zu verarzten. Kaum hat sie die Autotür geöffnet, sieht sie, dass eine schwarze Katze aus dem Auto springt und in die Nacht hinaus verschwindet. Und rasch ist klar: Es ist Maudi. Der schwarze, behäbige Kater ist also nicht nur schwarz – er fährt auch «schwarz», und erst noch über die Grenze!
Die Suche nach Maudi
So etwas darf doch einfach nicht passieren – und erst recht nicht einer Tierärztin! Und warum erfahre ich erst 24 Stunden später davon? Allerlei Vorwürfe liegen mir auf der Zunge und Wutgefühle machen sich breit. Aber was nützt das jetzt? Rein gar nichts. Ich muss jetzt handeln, und zwar rasch.
In den folgenden Tagen und Wochen durchkämme ich in jeder verfügbaren Stunde die Gegend um die Gemeinde Dettighofen, die etwa zwölf Kilometer von Berg am Irchel, jenseits des Rheins und nahe der Landesgrenze liegt. Und ich erlebe im deutschen und auch im Schweizer Grenzraum eine Anteilnahme und Hilfsbereitschaft, die ich nie erwartet hätte. Bauern, Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder versprechen mir, Augen und Ohren offen zu halten, ihre Nachbarn zu informieren und nach Maudi zu suchen. Viele erzählen ihre eigenen Geschichten von verschwundenen Katzen, und einige trösten mich: «Maudi wird früher oder später wieder zuhause auftauchen, wir haben das selber erlebt!» Ein Bauer beteuert, eine seiner Katzen sei eines Tages einfach verschwunden – und nachdem er bereits jede Hoffnung aufgegeben habe, sei sie nach einem vollen Jahr wieder in guter Verfassung aufgetaucht. Sie habe sich fortan immer in seiner Nähe und auf dem Hof aufgehalten – wohl aus Dankbarkeit.
Nicht aufgeben! So lautet meine Devise. Also erneut auf die Suche gehen, die Leute informieren und um Unterstützung bitten. Ich bringe in und um Dettighofen zahlreiche «Vermisst»-Meldungen mit einem Foto von Maudi und genauer Beschreibung an. Dort heisst es: «Der 4-jährige Maudi ist zutraulich und gut genährt. Ihm fehlt die Spitze des rechten Ohrläppchens; der Tierarzt hat es entfernt, damit sofort erkennbar ist, welche Hofkatzen bereits kastriert sind». Weil ich hoffe, dass der zweifellos «hochbegabte» Maudi über einen besonderen Katzen-Orientierungssinn verfügt und bereits auf dem Heimweg ist, orientiere ich etliche Leute auch in den Dörfern und Bauernhöfen in Buchenloo (Gemeinde Wil), in Wil, Hüntwangen, Rafz und Rüdlingen. Denn Maudi muss in diese Richtung gehen, um schliesslich über die Rheinbrücke zwischen Flaach und Rüdlingen nach Hause zu gelangen. Einen anderen (realistischen) Weg gibt es nicht.
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Überall werden Schwarze Katzen gesichtet
Bald folgen Telefone und Meldungen: «Wir haben dort oder dort eine schwarze Katze gesehen, es könnte Maudi sein.» Natürlich gehe ich diesen Meldungen so rasch als möglich nach. Mehrere Leute teilen mir mit, es tue ihnen leid, aber an einer Strasse in Grenznähe bei Rafz hätten sie eine tote schwarze Katze gesehen, die Polizei sei informiert. Sofort telefoniere ich auf den Rafzer Polizeiposten. Der freundliche Beamte bestätigt die Meldung, sagt jedoch, die tote Katze habe einen Chip getragen, und ihre Besitzerin sei bereits informiert. (Maudi und die andern Hofkatzen tragen keine Chips). Also gebe ich die Hoffnung, Maudi wieder zu sehen, nicht auf. Die Suche geht weiter.
Manchmal nimmt das Ganze auch fast satirische, Galgenhumorartige Züge an. Zum Beispiel, als ich an einer Bauplatz-Toilette (TOI) an bester Lage in Berwangen bei Dettighofen die von Wind und Wetter beschädigte Vermisstanzeige erneuere. Sogleich schaut eine junge Frau aus dem angrenzenden Wohnhaus und ruft: «Haben Sie die Vermisstmeldung an der Toilette angebracht?» «Ja», rufe ich zurück, «vielleicht benützt Maudi bald einmal die Toilette, liest die Vermisst-Anzeige und meldet sich!»
Die Lage schien aussichtslos
Die Suche geht weiter. Die Hoffnung, Maudi wieder zu sehen, schwindet allmählich. Aber Aufgeben kommt nicht in Frage. Die Tage werden kälter. Wie mag es Maudi wohl gehen? An einem Samstag gegen Abend, genau drei Wochen nach Maudis Verschwinden, setzt ich mich wieder ins Auto und fahre einen langen Waldweg im Grenzraum entlang. Vor mir fährt noch langsamer ein Pferdefuhrwerk, Überholen ist ausgeschlossen, und ich verliere scheinbar wertvolle Zeit. Ein Kilometer, zwei Kilometer – Geduld ist gefragt – ich spähe nach links und rechts, aber Maudi zeigt sich nicht. Als das Fuhrwerk in eine andere Richtung abgebogen ist, fahre ich weiter und komme auf die mir schon vertraute Strasse über Buchenloo Richtung Dettighofen.
Langsam fahre ich weiter und sehe in der Ferne bereits den Pferdehof, auf dem Maudi damals verschwunden ist. Da plötzlich erblicke ich links von der Strasse, etwa 150 Meter entfernt, ein schwarzes Etwas draussen im Feld. Ich halte an, nehme ein Täschchen bester Katzennahrung mit und nähere mit langsam und mit «Maudi»-Rufen dem schwarzen Wesen, das sich tatsächlich als Katze entpuppt. Langsam und zögerlich kommt sie «miauend» näher und näher – und schliesslich tut sie sich an der Katzennahrung gütlich. Und es ist für mich kaum zu fassen: Es ist eindeutig Maudi! Leider kommt in diesem Augenblick ein Auto in rascher Fahrt daher, und Maudi rennt erschreckt davon. Aber bald kann ich ihn wieder anlocken und trotz Widerstand in einer Box platzieren, die ich im Auto vorsorglich mitführe.
Geschichte mit Happy End
Ein Wunder ist geschehen. Mit unglaublichen Glücks- und Dankbarkeitsgefühlen fahre ich Maudi unter ständigem Zureden nach Hause. Sogleich wird er von der Katzenfamilie beschnuppert und begrüsst. Allerdings braucht die Angewöhnung noch etwas Zeit. Denn es scheint, dass Maudi seine Chefposition zuerst wieder erlangen muss. Während der dreiwöchigen Abwesenheit haben sich die «Machtverhältnisse» insofern geändert, als zwei ebenfalls schwarze Kater versucht haben, seine Position einzunehmen, und die drei Rivalen fauchen sich beim Fressen gegenseitig an.
Inzwischen ist die Sache aber bereinigt, und Maudis Position scheint wieder unangefochten. Wenn ich auf den Bauernhof komme, ist er rasch zur Stelle, lässt sich flattieren und denkt offensichtlich: «Ich bin, Gott sei Dank, wieder zu Hause!» Und ganz sicher hat er in seinem Köpfchen gespeichert: Nie mehr aus «Gwunder» In fremde Autos einsteigen und «schwarzfahren»! Denn er ist ja – wie bereits erwähnt – hochbegabt.
All den vielen Leuten, dies- und jenseits der Grenze, die mich angehört, meine Suche unterstützt, sich gemeldet, mir Tipps gegeben oder «Trost gespendet» haben, danke ich ganz herzlich – natürlich auch im Namen von Maudi.
Text von Hans Fehr, Eglisau
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