Bereits das Reiternomadenvolk der Skythen, das ab dem achten Jahrhundert vor Christus die eurasische Steppe im heutigen Südrussland bevölkerte, kastrierte ihre Hengste. Um so kriegstaugliche, sozialverträgliche, gross gewachsene und gutmütige Reitpferde zu erhalten. Auch heute werden die meisten Hengste, die sich nicht zur Zucht eignen, zum Wallach gemacht.

Diese Bezeichnung entstammt dem teutonischen Wort «Walh», was so viel wie Ausländer bedeutet und auch der Wallachei im Süden Rumäniens ihren Namen gab. Der verbreitetste Beweggrund für die Durchführung einer Kastration ist die Unterdrückung der nicht selten gefährlichen Hengstmanieren. Ein Wallach ist fügsamer, besser kontrollierbar und kann mit Artgenossen zusammengehalten werden.

«Bei einem gut entwickelten Fohlen liegt der optimale Kastrationszeitpunkt zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr», sagt Veterinärmediziner Beat Wampfler. Setzt man die Kastration später an, ist das Risiko für Komplikationen grösser. Wie eine Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigt, steigt die Komplikationsrate ab dem Alter von zwei Jahren schlagartig an und beträgt ab dem vierten Lebensjahr 50 Prozent und mehr. Dennoch stellt Wampfler den Trend zur Spätkastration fest. «Heute ist es keine leichtfertig gefällte Entscheidung ob man sein Hengstfohlen kastrieren will.»

Zahlreiche Pferdehalterinnen würden sich grosse Gedanken darüber machen, wann und ob ihr Schützling zum Wallach werden soll. Denen empfiehlt der Tierarzt, das Gespräch mit einem Spezialisten, sei dies nun ein Veterinärmediziner oder auch eine Pferdefachfrau, zu suchen, um individuell festzulegen, wann die Kastration angezeigt ist.

[IMG 2]

Generell könne man sagen, dass bei einem rangniedrigeren Hengstfohlen, das im feinen Vollblütertyp steht, etwas länger zugewartet werden kann. Wohingegen die massiver gebauten, eher kaltblütigen und eigenwilligen Pferdetypen genug früh operiert werden sollten. «Denn sind gewisse Dominanzmuster erst einmal eingeprägt, sind diese auch mit einer Kastration kaum mehr reversibel und führen zu Problemen», weiss der Fachmann.

Bedeckt, unbedeckt oder immunologisch

Für den Routineeingriff einer chirurgischen Kastration stehen die sogenannt bedeckte und die unbedeckte Methode zur Verfügung. Das Team der Pferdeklinik des NPZ führe drei Viertel der Kastrationen mit der unbedeckten Methode auf dem Feld, also direkt auf der Fohlenweide durch. Nur etwa ein Viertel der Hengste würden in der Klinik mit der bedeckten Methode kastriert, gibt Beat Wampfler Auskunft.

Für eine unbedeckte Kastration, die im Stehen durchgeführt werden kann, wird das Pferd sediert und bekommt eine lokale Betäubung. Der Hodensack wird vollständig geöffnet, wodurch die Hoden herausfallen. Ein Emaskulator, eine oberhalb quetschende, unterhalb schneidende Zange, wird über dem Hoden angesetzt und für einige Minuten zugedrückt. Durch die Quetschung werden die Blutgefässe verschlossen und der darunterliegende Hoden abgeschnitten.

Die bedeckte Form der Kastration wird am liegenden Pferd unter sterilen Bedingungen und Vollnarkose durchgeführt. Der Hodensack wird eröffnet, um den Samenstrang und die Blutgefässe abbinden und die Hoden heraus präparieren zu können.

[IMG 3]

Eine chirurgische Kastration ist irreversibel und schliesst es aus, dass ein im Sport erfolgreiches Tier noch zur Zucht eingesetzt werden könnte. Deshalb wurde nach alternativen Methoden gesucht und ineiner immunologischen Kastration gefunden. Hierbei handelt es sich um eine Impfung, die mittels Spritze verabreicht wird und die Hormonproduktion blockiert, was zu einer geringeren Testosteronproduktion imHoden führt. Wie bei anderen Impfungen verschwinden die Antikörper allmählich aus dem Körper und die Geschlechtsfunktion ist dann wieder vorhanden.

«Bei züchterisch wertvollen Tieren würde ich von dieser Methode abraten. Auch wenn Studien die Reversibilität der Reproduktionsfähigkeit nachweisen, ist diese eventuell nach der Impfung nicht mehr optimal», sagt Wampfler. Bei Wallachen, die nach einer Kastration noch immer Hengstmanieren zeigten, weil in der Nebenniere noch etwas Testosteron produziert wird, habe er allerdings mit einer begleitenden Impfung gute Erfahrungen gemacht.

Ein Grund dafür, dass sich Hengsthalter eingehend mit der Kastration auseinandersetzen, liegt sicher auch in den möglichen Komplikationen, die der Eingriff nach sich ziehen kann. Diese kämen vor, seien aber sehrselten schwerwiegend, weiss der Tierarzt. Es kann zu Blutungen im Gewebe, am Samenstrang oder nach innen in die Bauchhöhle sowie zu Wundinfektionen kommen. Gefürchtet ist ein Vorfall von Bauchinhalt, was aber selten eintritt.

Ein verändertes Pferd

Die Kastration bringt nicht nur Änderungen im Verhalten des Pferdes mit sich, sondern auch in seinem Äusseren. Wallache werden in der Regel grösser als Hengste, weil sich bei ihnen die Wachstumsfugen der Knochen etwas später schliessen. Der Muskelaufbau wird hingegen reduziert. Häufig wird die Meinung vertreten, dass mit einer späten Kastration das muskuläre Aussehen beibehalten werden kann.

Studien widerlegen diese Annahme und belegen, dass jede Muskelmasse, welche allein hormonell bedingt aufgebaut wurde, ein Wallach ganz unabhängig vom Kastrationszeitpunkt wieder abbaut. Ein ausgeprägter Hengsthals sei für die Rittigkeit eines Pferdes sowieso nicht sehr förderlich, gibt Beat Wampfler zu bedenken, denn so laste noch mehr Gewicht auf der Vorhand. Das imposante Aussehen eines Hengstes mag mit ein Grund dafür sein, wieso in den vergangenen Jahren immer mehr erwachsene Hengste gehalten werden, deren Einsatz in der Zucht gar nicht vorgesehen ist.

[IMG 4]

Vor allem in Freizeitreiter- und Tierschutzkreisen wird die Kastration und deren Einfluss auf die Würde und das Wohlbefinden eines Pferdes hinterfragt. Wenn ein Hengst ein sehr ausgeglichenes Verhalten an den Tag legt und von in der Hengsthaltung kompetenten Personen gehalten und geritten wird, sei es vertretbar, ihn nicht zu kastrieren, findet Beat Wampfler.

Er gibt aber zu bedenken, dass sich in der heutigen Zeit immer weniger Pferdeleute mit dem korrekten Handling eines Hengstes auskennen würden. «Viele Pferdebesitzer kommen schon mit einem Wallach an ihre Grenzen, bei einem dominanten Hengst sind da die Schwierigkeiten vorprogrammiert.» Zum Schluss, dass gemäss ethischer Analyse die Kastration eines Hengstes aufgrund der Sicherheitsaspekte gerechtfertigt ist, kommt auch der Ethikbericht des Schweizer Rates und Observatoriums der Pferdebranche.

«Natürlich ist eine Kastration eigennützig, denn die Tiere werden dadurch für uns Menschen einfacher nutzbar», so Wampfler. Wenn man jegliche Nutzung eines Tieres ablehne, nur dann sei die Verurteilung einer Kastration konsequent. Ansonsten bleibe es unabdingbar, die meisten Hengste zu Wallachen zu machen.

Eine physische und auch psychische Veränderung, dadurch, dass das Hormon Testosteron nicht mehr ausgeschüttet werde, sei unbestreitbar. Dass sich aufgrund einer Kastration Erkrankungen wie Husten oder Kotwasser – Flüssigkeit im Darm, die nach aussen tritt – und Verhaltensauffälligkeiten ausbilden, wie dies Selina Dörling behauptet (siehe Kurzinterview), bestreitet Wampfler. «Unter Kotwasser leiden ebenso viele Stuten wie Wallache und aufgrund der sexuellen Frustration werden Verhaltensauffälligkeiten bei Hengsten eher gefördert.»


Kastration als Trauma

Pferdeosteopathin Selina Dörling vertritt die Meinung, dass die Kastration bei Pferden ein psychisches und physisches Trauma auslöst. Ein solcher Eingriff muss also gut überlegt und begleitet sein.

Frau Dörling, was war der Ursprung für Ihr Interesse am Thema Kastration?

Während meiner Ausbildung zur Pferdeosteopathin fiel mir auf, dass viele Wallache unter Blockaden in der Hinterhand und gleichzeitig unter Stoffwechselproblemen leiden. Nachforschungen haben mir gezeigt, dass diese Probleme auf die Kastration zurückzuführen sind. Denn die Operation bringt den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht und verletzt körperüberspannende Strukturen wie Faszien.

Sie beschreiben, dass die Kastration Untugenden und Stoffwechselerkrankungen auslösen kann.

Verhaltensauffälligkeiten wie Schlagen oder Beissen entstammen aus Beziehungsproblemen zwischen Mensch und Pferd, welche durch das traumatische Erlebnis der Kastration verstärkt werden können. Durch die angestaute Schock-energie können das Muskel- und das Nervensystem nicht mehr normal arbeiten, wodurch Probleme wie Kotwasser, Husten oder Ekzeme ausgelöst werden können.

Ein Hengst kann nicht von jedermann gehalten werden. Wie sehen Ihre Lösungsansätze aus?

Mir ist bewusst, dass es nicht die Lösung sein kann, keine Pferde mehr zu kastrieren. Die Operation muss aber sehr vorsichtig und achtsam durchgeführt werden und dieBesitzerin muss sich ganz klar sein, dass sie die Operation machen lassen will, und dies ihrem Pferd kommunizieren. Dies hilft schon mal auf der psychischen Ebene. Egal, wie die Operation verläuft, um den Eingriff auf körperlicher Ebene zu begleiten, empfehle ich sechs bis acht Wochen nach der Operation eine Behandlung durch einen spezifisch ausgebildeten Osteopathen. Denn der Stoffwechsel, die Atmung und auch der Bewegungsapparat verändern sich dadurch sofort positiv.

vpo-therapeut.de

[IMG 5]