Der Kgalagadi Transfrontier Park im Drei-ländereck von Südafrika, Botswana undNamibia ist bekannt für seine vielen Löwen, die sich an diesem Tag aber nicht zeigen. Dafür kommt es zum Auftritt von Familie Strauss. Der schwarzgefiederte Papa voraus, die braun-graue Mutter hinterher – und dazwischen wuseln mindestens zehn Ministrausse mit ihren hellbraunen, mit dunkelbraunen Linien und Punkten gesprenkelten Federn.

Aufmerksame Verrenkungskünstler

Sie zu zählen ist nicht einfach, da sie ständig in Bewegung sind und bereits das aufmerksame Verhalten der Eltern zeigen. Zwischen jedem Picken am Boden heben Jung und Alt die Köpfe, so hoch es eben geht, und halten Ausschau nach möglichen Feinden. Dabei ist es praktisch, dass die Verrenkungskünstler ihren Hals in jede Richtung recken können.

Steht der Vater aufrecht, überblickt er die Szenerie auf 2,5 Metern Höhe. Er überragt Büsche und viele Bäume und zeigt, dass der Strauss (Struthio camelus) der grösste Vogel der Welt ist. Hier im südlichen Afrika ist der Afrikanische Strauss heimisch, während der Somalistrauss, der mit 2,75 Metern höhere Cousin, in Somalia, Äthiopien und Nordkenia zu Hause ist. Beide Arten nennt man ihrer bläulich-bleiernen Hautfarbe wegen auch Blauhalsstrauss.

Lange galt der Somalistrauss als Unterart des Afrikanischen Strausses. DNA-Untersuchungen zeigten aber, dass sich die Arten vor über dreieinhalb Millionen Jahren genetisch voneinander abspalteten. Forscher vermuten, dass die Bildung des Ostafrikanischen Grabens die Trennung verursachte und zum Leben in verschiedenen Landschaften führte. Der Somalistrauss sucht in der mittelhohen Vegetation des Buschlandes nach Nahrung, während die drei Unterarten des Afrikanischen Strausses in offenen Savannen weiden.

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Fliegen nicht mehr überlebenswichtig

Der Massai-Strauss tut dies von Äthiopien und Kenia im Osten bis zum Senegal im Westen. In der Sahelzone ist es quer über den Kontinent der Nordafrikanische Strauss, auch Rothals- oder Berberstrauss genannt. Er ist im Gegensatz zu seinen Verwandten stark gefährdet. Früher erstreckte sich sein Lebensraum über achtzehn Länder, heute sind es noch sechs. Mitte der 1960er-Jahre ausgestorben ist der Arabische Strauss, der einst von Syrien über die Arabische Halbinsel bis in den Irak verbreitet war.

Weit zurückgehen muss man auf der Suche nach dem Ursprung des Laufvogels. Und seine Urahnen konnten die Flügel durchaus noch schwingen. Vieles weiss man immer noch nicht. Aber die Verbreitung der Art deutet darauf hin, dass ihre Vorfahren bei der Eroberung der Welt die Ozeane überflogen, nachdem sich Afrika vor über 100 Millionen Jahren von Gondwana, dem Grosskontinent auf der Südhalbkugel, abspaltete. Im Laufe der Evolution haben diese Vögel das Fliegen verlernt, es war irgendwann einmal nicht mehr überlebenswichtig.

«Entweder seiein Vogel und fliege oder sei ein Kamel und trage.»

Am Anfang dieser Entwicklung dürfte die Gattung Palaeotis stehen, ein mittelgrosser, nicht flugfähiger Vogel aus Mitteleuropa. In Deutschland fand manFossilien dieses rätselhaften Federviehs, die aus dem Mittleren Eozän stammen und 40 Millionen Jahre alt sind. Für spätere erdgeschichtliche Zeitalter belegt sind mehrere Straussenarten von Spanien bis nach China. Wann sie aus Europa und Asien verschwanden, ist nicht bekannt. In der letzten Eiszeit, die vor 10 000 Jahren endete, kamen sie auf beiden Kontinenten noch vor.

In der Antike dann hatten die Eier vielerorts als Grabbeigaben eine kultische Funktion und der Vogel war eine Gottheit. In Ägypten galt er seiner symmetrischen Federform und eleganten Gestalt wegen als Symbol für Gerechtigkeit. Schlecht beleumundet ist der Strauss dagegen im Iran. Dort heisst es, der «shotor morgh» (Kamel-Vogel) gebe sich als Vogel aus, wenn er eine Last tragen soll, und als Kamel, wenn er fliegen soll. Fordern die Perser jemanden auf, Verantwortung zu übernehmen, sagen sie: «Entweder sei ein Vogel und fliege oder sei ein Kamel und trage.»

Kleines Hirn und riesige Augen

Das Klischee, dass der Strauss ultimativ dumm ist, wird bereits in der Bibel bedient. «Denn Gott verleiht ihr keine Weisheit, und an Verstand mangelt es ihr», heisst es zum Weibchen im Buch Hiob. «Doch wird sie aufgeschreckt und rennt davon, lässt sie Pferd und Reiter hinter sich und lacht sie aus.» Tatsächlich können die Laufvögel kurzzeitig Tempi von über 70 Kilometern pro Stunde erreichen und halbstündige Ausdauerstrecken mit 50 Sachen zurücklegen.

«Sie sind ziemlich einfach gestrickt», bestätigt der Sempacher Straussenhalter Markus Grüter. Sie seien sehr neugierig, aber auch schreckhaft und sprinten bei ungewohnten Geräuschen schnell davon. «Heissluftballone machen ihnen wirklich Angst. Doch statt Schutz im Stall zu suchen, flitzen sie hektisch auf der Weide auf und ab, bis der Ballon weg ist.» Dann muss er jedoch weit entfernt sein, denn ein Strauss hat zwar nur ein Walnuss-grosses Hirn, dafür das mit fünf Zentimetern Durchmesser grösste Auge aller Landwirbeltiere. Damit erspäht er Objekte und Fressfeinde bis auf über drei Kilometer Distanz. Das gute Sehvermögen und eine übersichtliche, flache und hindernisfreie Rennbahn sind unbestreitbare Vorteile, wenn in der SavanneLöwen, Leoparden, Geparde, Hyänen, Schakale oder Wildhunde lauern.

Zwei Zehen mit messerscharfen Krallen

Bei Gefahr steckt der Strauss allerdings nicht den Kopf in den Sand, wie der Ausdruck «Vogel-Strauss-Politik» des Wegsehens bei Schwierigkeiten suggeriert. Die Tiere graben zwar tatsächlich mit ihrem Kopf im lockeren Boden – aber um darin Nahrung aufzustöbern und Kieselsteine aufzunehmen, die sie zum Zerkleinern der Nahrung brauchen. Sich vor Gefahren zu verstecken, hat der Strauss gar nicht nötig.

So hat er sehr kräftige Beine und als einziger Vogel der Welt nur zwei Zehen, die mit messerscharfen, bis zehn Zentimeter langen Krallen ausgestattet sind. Ein Fusstritt ist auch gegen grosse Raubtiere eine wirksame Waffe. Für Menschen können Strausse lebensgefährlich sein. In Südafrika raten Ranger, bei einer Begegnung in ein Versteck oder auf einen Baum zu klettern.

«Farmstrausse sind nicht so wild wie ihre Verwandten in der Wildnis.»

Ist dies keine Option, soll man sich mit dem Bauch auf den Boden legen und zum Schutz die Arme auf den Hinterkopf legen. Man müsse damit rechnen, dass der Strauss mit einem spiele. Also bleibt dem Menschen nichts anderes übrig, als zu warten, bis dem Vogel langweilig wird. Manchmal setzen sie sich auf den Popo des Menschen – was unangenehm sein dürfte, wiegt so ein erwachsener Strauss doch 90 bis 150 Kilogramm.

Wegrennen ist auf keinen Fall ratsam. Der Strauss ist nicht nur der Ferrari unter den Laufvögeln, sondern auch ein äusserst strategischer Läufer. Etwa wenn er im wilden Zickzack-Kurs den Fressfeind vom Nest oder Nachwuchs weglockt. Auch sonst schlagen Strausse auf der Flucht manch wundersame Haken. Nichts genutzt hat ihnen dieses Verhalten zur Pharaonenzeit, als die Straussenjagd ein beliebtes Vergnügen war.

Die Federn schmückten im alten Ägypten königliche Flaggen und Prunkwedel und zierten im antiken Griechenland sowie im Römischen Reich die Helme der Krieger. Bei den mondänen Damen des 19. Jahrhunderts waren Straussenfederboas der letzte Schrei. Sie waren so begehrt, dass die Straussenpopulation in Asien ausgerottet wurde und in Südafrika 1850 keine hundert Tiere mehr wild lebten.

In die Bresche sprangen Farmen, die es bereits seit dem 18. Jahrhundert in Südafrika gab. Das Zentrum ist die Kleinstadt Oudtshoorn in der Halbwüste «Kleine Karoo». Mit der Entwicklung des Drahtzaunes und der Erfindung des künstlichen Brutapparates wurde die Straussenhaltung ab 1860 zur industriellen Landwirtschaft.

Der weltweite Federnhandel boomte, brach aber just auf seinem Höhepunkt nach dem Ersten Weltkrieg komplett ein. Später setzten die Farmer auf Leder für die Luxusmärkte im Fernen Osten, bis die dortige Wirtschaftskrise in den späten 1990er-Jahren den Exporten ein Ende setzte.

In Mitteleuropa stand stets das Fleisch im Zentrum. In der Schweiz gibt es ein knappes Dutzend Straussenfarmen. Viele Landwirte setzen auf die gesamte Verwertung der Tiere, so auch Cornel Eberle aus Mörschwil SG, der als Schweizer Pionier 1994 mit der Straussenhaltung startete, und Markus Grüter, auf dessen Hof hoch über dem Sempachersee seit zehn Jahren Strausse weiden.

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Cholesterin- und fettarmes Fleisch

In Grüters stilvoll eingerichtetem Hofladen fallen als Erstes die vielen Deko-Objekte auf: verzierte und bemalte Eier, einzelne Federn, grosse Schmuckfedern, Staubwedel, Lederportemonnaies und anderes. Ineinem Regal gibt es Likör, Meringue und Nudeln mit Straussenei. Weiter hinten schliesslich wartet das Fleisch in Kühltheken auf Abnehmer, das Grüter hauptsächlich direkt verkauft, so auch zweimal wöchentlich auf dem Markt in Luzern.

Straussenfleisch schmeckt wie Rindfleisch, enthält aber wie Geflügel wenig Fett und Cholesterin sowie viel Eiweiss und gilt deshalb als gesund. Es lässt sich zu vielem verarbeiten, neben Filets und Steaks hatGrüter auch Geschnetzeltes, Bratwürste und Trockenfleisch im Angebot. Die Teile schliesslich, die für den Menschen nicht geniessbar sind, liefert er einem Barf-Shop für Hunde.

Vom Hofladen geht es an gackernden Hühnern und weidenden Gallowayrindern vorbei zu den Straussengehegen. Hündin Thea kommt mit und geht begeistert ihrer Lieblingstätigkeit nach: Bellend rast sie auf die einjährigen Strausse zu, die sofort Reissaus nehmen. Bald drängt die Vögel die Neugierde zurück zum Zaun, wo sie ihre langen Hälse und schmalen Köpfe mit leicht geöffneten Schnäbeln zur Kamera recken und dabei zugegebenermassen nicht sonderlich intelligent aussehen.

Ruhig betritt der 36-jährige Markus Grüter für das Fotoshooting die Weide und nähert sich den grossen Tieren. Auch sie kommen daher und zeigen keine Anzeichen von Aggression. Einer schnellt mit dem Kopf nach vorne und pickt an der hervorstehenden Sonnenblende des Fotoapparates. Sanft tätschelt Grüter den Strauss am Hals und redet leise mit ihm. «Unsere Strausse sind Handaufzuchten und habenBetreuung. Sie kennen mich.»

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Gebückte Willkommensgeste

Farmstrausse seien nicht so wild wie ihre Verwandten in der Wildnis. Vor über hundert Jahren begannen die Farmer in Südafrika mit der gezielten züchterischen Selektion, woraus der «African Black Neck» und später der «Zimbabwe Blue» entstanden. Black Neck seien umgänglicher und weniger aggressiv als Zimbabwe Blue, erklärt Grüter, dessen Tiere eine Kreuzung beider Rassen sind.

Man müsse immer auf ihre Körperhaltung achten. Wenn sie sich bücken, die Köpfe nach unten senken und die Flügel seitlich waagrecht stellen, heisst das Willkommen. So wie es die Weibchen in den Nachbargehegen tun. Die dazu gehörenden Männchen sind paarungsbereit; zu sehen ist dies an den rot gefärbten Stellen an Schnabel und Läufen. Einer der beiden Hähne schaut die Menschen auf der anderen Seite des über zwei Meter hohen Zauns regungslos an.

Der andere macht sich gross, um das Gegenüber einzuschüchtern, und faucht. «Das ist die letzte Warnung. Wenn man dann nicht zurückweicht, kommt der Fuss und es tätscht», sagt Grüter, der in der Fachliteratur auf die exotischen Tiere stiess. Da er immer schon Freude an Gefieder und Geflügel gehabt habe, lag es nahe, den Hof mit der eigenen Gärtnerei, den Hühnern, Bienen, Gallowayrindern und Shropshire-Schafen um Strausse zu erweitern.

Eitle Herren und gute Väter

Der gelernte Gärtner machte den Sachkundenachweis Laufvogel und nach zweijähriger Vorarbeit und sechswöchiger Quarantäne zogen 2012 zwei Männchen und sechs Weibchen von Deutschland in den Kanton Luzern. Mittlerweile besitzt Markus Grüter je nach Saison 100 bis 200 Strausse, im März kurz vor Start der Brutsaison am wenigsten, im Hochsommer am meisten. Für den Nachwuchs sorgen vier Familien, jeweils bestehend aus einem Hahn und drei bis sechs Hennen.

«Die Männchen sind eitle Herren», sagt Grüterlachend. Jeder wisse durchaus, wer er sei – der Chef seines Harems, der auch bestimmt, welches Weibchen seine Haupthenne ist. Von Februar bis August legen die Weibchen in unregelmässigen Abständen 30 bis 50 Eier. Gut 16 Zentimeter lang und 13 Zentimeter breit ist so ein Straussenei sowie 600 bis 2000 Gramm schwer, im Durchschnitt sind es 1500 Gramm. Macht man aus diesem grössten Ei der Welt ein Rührei, reicht es für zehn Personen.

Nachdem die Eier im Nest deponiert sind, wird sechs Woche gebrütet. Üblich ist bei Grüter die Kunstbrut, doch wie andere Farmer beendet auch er die Saison mit ein bis zwei Naturbruten. «Damit es funktioniert, müssen Männchen und Weibchen ein eingespieltes Team sein.» Die Brut teilen sich beide Geschlechter, wobei das Männchen die Hauptarbeit übernimmt. Sie sind laut Grüter richtig gute Väter, die stets ein Auge auf ihren Nachwuchs haben.

Tagsüber rennen und toben die Kleinen herum, nachts schlafen sie bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Der erwachsene Vogel setzt sich auf den Boden und die Küken marschieren von hinten unter seine Flügel und positionieren sich links und rechts der Beine, da sie dort nicht zerquetscht werden. «Es ist ein wunderbares Bild, wie die Köpfchen zwischen den Federn des Elternteils herausschauen», sagt Grüter lächelnd.

Lieber Kälte als Hitze

Von März bis Ende August schlüpfen die Küken. Die Aufzucht ist vor allem während des ersten Monats aufwendig. Dann brauchen die Kleinen viel Wärme und Trockenheit. Wichtig ist zudem ein sauberes Zuhause ohne Schrauben, grosse Steine oder Äste, da die Ministrausse alles verschlingen, was ihnen gefällt. Nach drei Monaten sind sie aus dem Gröbsten heraus und leben mit den Artgenossen zusammen, die im selben Monat geschlüpft sind.

Im Alter von 12 bis 16 Monaten werden Grüters Strausse geschlachtet, etwa 60 Tiere sind es pro Jahr. In dieser Zeit sind sie von 700 Gramm leichten Küken auf stattliche Strausse von 90 Kilogramm gewachsen. Sie fressen auf den insgesamt vier Hektaren Gehegefläche Gras, hofeigene Maissilage sowie etwas mineralisierten Getreideschrot und leben stets draussen. Strausse sind zwar Afrikaner, dennoch mögen sie Hitze nicht sonderlich. Ab 30 Grad tummeln sie sich am liebsten im Schatten.

Winterliche Kälte und Schnee dagegen machenihnen nichts aus. «Bei Minusgraden schlafen sie im Stall im Stroh», erklärt Grüter. Der Überlebenskünstler Strauss passte sich im Laufe der Evolution an verschiedene extreme Klimabedingungen an. Er kam mit den eisigen zentralasiatischen Steppen ebenso zurecht wie mit den trocken-heissen afrikanischen Savannen – und längst auch mit den Konditionen in der Schweiz.

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Einkaufskorb
Ein gutes Dutzend Landwirte halten in der Schweiz Strausse. Sie verkaufen das Fleisch, Strausseneier-Likör und -Teigwaren, Lederwaren sowie Deko-Eier und -Federn entweder im eigenen Hofladen oder man kann online bestellen.
Müswangen LU: straussen-hof.ch
Sempach LU: straussenfarm-sempachersee.ch
Schüpfheim LU: weghus.ch
Sisseln AG: straussenzucht.ch
Bättwil SO: gallowayundstraussenhof.ch
Gstaad BE: mountainstrauss.ch
Rohrbachgraben BE: jordis-straussenhof.ch
Worb BE: straussenhof.ch
Mörschwil SG: straussenfleis.ch
Frauenfeld TG: straussenfarm.ch
Rikon im Tösstal ZH: reutlingers-straussenfarm.ch