Geschlechtertausch
Neotrogla: Der weibliche Penis existiert und er hat Stacheln
In den Höhlen Brasiliens lebt ein Insekt, das biologische Gewissheiten infrage stellt: Bei der Staublaus-Gattung Neotrogla sind es die Weibchen, die Penisse besitzen und die Männchen penetrieren. Eine Entdeckung, die zeigt, wie flexibel die Natur mit Geschlechterrollen umgeht – und wie wenig eindeutig selbst Grundbegriffe der Biologie sein können.
In den dunklen Höhlen Brasiliens lebt ein besonderes Insekt. Nicht nur, dass sich die vier Arten der Staublaus-Gattung Neotrogla alle von Fledermauskot ernähren, sie werfen auch die Ansicht über den Haufen, dass nur Männchen Penisse haben. Denn bei diesen etwa flohgrossen Insekten sind es die Weibchen, die ein verlängertes äusseres Geschlechtsorgan besitzen – das sogenannte Gynosom. Dieses penisähnliche Organ ermöglicht es den Weibchen, in eine Öffnung der Männchen einzudringen, um Samen aufzunehmen.
De facto handelt es sich dabei also nicht nur um eine Umkehrung der Geschlechtsmerkmale, sondern auch des Geschlechtsakts, der bis zu 70 Stunden dauern kann. Diese weitere ungewöhnliche Eigenschaft der Gattung ist dem Umstand geschuldet, dass sich das Gynosom des Weibchens nach dem Einführen in die vagina-ähnliche Öffnung des Männchens aufbläht und zudem etliche Stacheln ausfährt. Dadurch wird das Männchen wie an Haken festgehalten, bis das Weibchen genügend Samenpakete aufgenommen hat.
Kuriosum mit Sinn
Wahrscheinlich liegt das Interesse des Weibchens dabei nicht nur bei der Fortpflanzung. Die Forschenden, die das Phänomen der umgekehrten Geschlechtsmerkmale 2014 erstmals beschrieben, berichten, dass die Samenpakete sehr nahrhaft seien. In der nährstoffarmen Umgebung der trockenen südamerikanischen Höhlen ist das für die Weibchen im wahrsten Sinne des Wortes ein gelungenes Fressen: Möglicherweise dienen die Samenpakete nicht nur der Befruchtung, sondern auch der Ernährung des Nachwuchses im Körper der Weibchen. Zudem wird vermutet, dass Nährstoffe auch durch Diffusion in die Körperflüssigkeiten der Insekten gelangen könnten. Dass Weibchen die Männchen penetrieren und nicht umgekehrt, ist auch von anderen Tierarten bekannt – so etwa beim Seepferdchen.Allerdings ist die Staublaus-Gattung Neotrogla bislang das einzige bekannte Tier, bei dem die Weibchen dazu ein penisartiges Organ verwenden. Forschende, die sichnäher mit dem Insekt befassen, schlagen daher vor, dass die Definition von «Penis» als «männliches Reproduktionsorgan» überarbeitet wird, da es offenbar Ausnahmen gibt. «Weiblicher Penis» scheint zwar ein Oxymoron – also eine Kombination aus zwei gegensätzlichen Begriffen – zu sein. Auch wenn sich die Wissenschaft hier noch zu keinem Konsens durchgerungen hat: Die Entdeckung des kleinen brasilianischen Insekts zeigt, dass sich die Natur nicht um Begrifflichkeiten schert.
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