Commiting to Conservation» heisst die neue Artenschutz-Strategie, die der Welt-Zooverband WAZA kürzlich veröffentlicht hat. Die Organisation mit Sitz in Gland VD gibt ihren über 300 Mitgliederzoos und -aquarien einen Leitfaden zur Bewahrung bedrohter Arten. Der Berner Markus Gusset, Chef Artenschutz der WAZA, nimmt die Zoos dabei in die Verantwortung, und zwar nicht nur in ihren eigenen vier Wänden.

Herr Gusset, die WAZA definiert den Begriff «Artenschutz» folgendermassen: «Populationen von Arten in ihrem natürlichen Lebensraum langfristig bewahren». Was geht das Zoos an?
Das Ziel von Zoos sollte sein, dass all ihre Aktivitäten letztlich dazu führen, dass es den Tierpopulationen im Freiland besser geht. Sei das durch Aktivitäten im Zoo selber, wie Bildung, Forschung oder Erhaltungszucht, oder aber durch Projekte im Freiland.

In ihrer neuen Strategie schreibt die WAZA, der Zoobesucher müsse in jedem Augenblick merken, dass der Zoo für den Artenschutz arbeitet. Sogar die Putzfrau müsse das ausstrahlen. Ist das nicht übertrieben?
Wir haben das absichtlich etwas provokativ geschrieben. Es geht aber tatsächlich darum, dass jeder Mitarbeiter in einem Zoo am gleichen Strick zieht und dieselbe Botschaft vermittelt. Der Zoobesucher soll vorgelebt bekommen, wie er sich zu verhalten hat.

Das klingt fast schon missionarisch.
Wenn wir Tiere in nicht akzeptablen Verhältnissen halten, können wir nicht erwarten, dass der Besucher die Botschaft versteht. Er soll wissen, woher das Plüschtier im Zoo-Shop kommt und ob er im Zoo-Restaurant MSC-zertifizierten Fisch auf dem Teller hat.

Wie soll diese Umweltbildung aussehen?
Wichtig ist, dass sie Anregungen gibt, wie man im Alltag etwas für die Natur tun kann, abgesehen von Geldspenden. Man darf nicht vergessen: Zoos haben weltweit etwa 700 Millionen Besucher im Jahr. Das ist eine enorme Anzahl von Menschen, die man dazu motivieren kann, ihren Lebensstil anzupassen. Wenn man es richtig macht.

Wer macht es richtig?
Der Zoo in Melbourne, Australien, ist ein Vorreiter auf diesem Gebiet. Er hat eine innovative Kampagne für Recycling-Toilettenpapier gestartet. Das war offensichtlich in Australien nicht so verbreitet vor der Kampagne. Damit hat der Zoo das Konsumverhalten der Bevölkerung messbar verändert.

Was könnten die Schweizer Zoos ­diesbezüglich verbessern?
Sie sollten sich mit Politikern kurzschliessen. Der Britische Zooverband hat vor Jahren eine Parlamentariergruppe gegründet und trifft sich regelmässig mit zoointeressierten Politikern aus allen Parteien. Die Idee ist, dass sich die Parlamentarier bei Sachgeschäften für die Zoo-Interessen einsetzen. Das könnte ich mir auch in der Schweiz vorstellen.

Nun sind viele Zoos hauptsächlich auf Kinder ausgerichtet. Ist das die angestrebte Zielgruppe?
Zoos sind für Familien tatsächlich attraktiv. Aber es gehen nicht nur Eltern mit ihren Kindern in den Zoo, sondern auch Grosseltern mit ihren Enkeln. Man muss sicherlich aufpassen, dass man das Umweltbildungsangebot nicht nur auf Kinder ausrichtet ...

... das sind nicht die, die Geld für Zooprojekte spenden ...
... und es sind auch nicht die, die momentan die Entscheidungen treffen. Man spricht immer davon, man müsse die zukünftigen Leader beeinflussen. Das ist schön und gut, aber man muss auch die jetzigen Leader beeinflussen. Und das sind halt die Eltern und Grosseltern.

Sie schreiben auch vom ökologischen Fussabdruck, den ein Zoo verursacht. Der soll vorbildlich klein sein, Zoos sollen möglichst wenig Energie ­verbrauchen, etwa fürs Heizen der Gehege exotischer Tiere. Sehen wir bald nur noch einheimische Tiere im Zoo?
Das denke ich nicht. Es gibt zwar Beispiele wie den Alpenzoo in Innsbruck, der sich auf Tiere aus dem Alpenraum spezialisiert hat. Der ist hoch angesehen und populär. Aber ich denke nicht, dass wir in absehbarer Zeit nur noch einheimische Arten in unseren Zoos haben werden. Wenn es aber um Arterhaltungsprogramme geht, ist es meist tatsächlich sinnvoller, diese Tiere in den entsprechenden Ländern zu züchten. Das wird für gewisse Arten auch so gemacht. Da sagt ein Zoo beispielsweise: Komm, wir züchten diesen Frosch jetzt nicht bei uns, sondern bauen eine Zuchtstation in Südamerika und siedeln ihn wieder an, wenn sein Lebensraum gesichert ist.

Zoos sollen sich also im Ausland für Tiere engagieren, die der Besucher nie zu Gesicht bekommt. Die gleiche Idee hat die Fondation Franz Weber, die den Bau des neuen Ozeaniums in Basel verhindern will und stattdessen ein 3-D-Kino mit Filmaufnahmen von Meerestieren vorschlägt. Ist das die Zukunft?
Immer mehr Leute leben in Städten mit viel weniger Zugang zur Natur, als wir früher hatten. Der direkte Kontakt zu Tieren ist da wichtig, und den bringt man mit einem Film nicht hin.

Ein Zoo könnte einen Streichelzoo anbieten und die Elefanten auf ­Videoleinwand übertragen.
Ein Streichelzoo hat zweifellos auch seine Bedeutung. Es gibt Arten wie Eisbären, Elefanten, Menschenaffen oder Delfine, bei denen es – auch innerhalb der WAZA – Diskussionen gibt, ob man sie in Zoos halten sollte. Es wäre ein Experiment wert, eine sehr beschränkte Anzahl von einfach zu haltenden Arten zu haben und andere per Video zu projizieren.

Glauben Sie, es würde funktionieren?
Ich denke nicht, nein. Die emotionale Bindung würde fehlen.

Gleichzeitig zur Artenschutzstrategie hat die WAZA auch eine Tierschutzstrategie veröffentlicht. Wieso?
Wir wollten damit bewusst kommunizieren, dass der Tierschutz für uns denselben Stellenwert hat wie die Arterhaltung.

Kommen sich Tier- und Artenschutz in Zoos nicht in die Quere?
Es gibt Situationen, wo das der Fall sein kann. Wenn ich ein Tier zur Auswilderung vorbereite, kann es sein, dass sein Individualschutz kurzzeitig eingeschränkt wird, weil ich es auf potenzielle Feinde vorbereite. Zum Beispiel, indem ich das Tier vorübergehend in einem Gehege mit Blick auf einen Fressfeind unterbringe. Das führt aber dazu, dass es nach der Freilassung eine höhere Überlebenschance hat. Deshalb ist es wichtig, dass man Tierschutz immer längerfristig anschaut.

Eine andere Dimension ist der Trend von Zoos, immer grössere, artgerechtere Gehege für ihre Tiere zu bauen. Das widerspricht der Strategie, möglichst viele Arten zu erhalten.
Guter Punkt. Dieser Trend zu grösseren Gehegen besteht tatsächlich, dementsprechend können Zoos weniger Arten halten. Es gibt aber einen weiteren Trend, dahin, mehrere Arten im selben Gehege zusammen zu halten. Und es gibt Arten, zum Beispiel hoch bedrohte Amphibien, Reptilien oder Fische, die kann man mit sehr wenig Platz halten und retten. Wichtig ist die Frage nach den Prioritäten. Es braucht kein Erhaltungszuchtprogramm für die Hausmaus. 

Zu diesem Thema haben Sie an einer Studie mitgewirkt. Sie kamen zum Schluss, dass Zoos eine viel zu zufällige Auswahl von Tieren halten, statt sich auf bedrohte Arten zu konzentrieren.
Ja, Zoos tragen momentan noch das Erbe der Geschichte. Die Resultate der Studie zeigen die Prioritäten des Zoomanagements in der Vergangenheit.

Sehen Sie Fortschritte?
Ja, auf jeden Fall. Gerade bei den Amphibien gab es in den letzten 10 Jahren eine deutliche Zunahme von bedrohten Arten in Zoos.

Aufgrund der Pilzerkrankung ­Chytridiomykose. 
Das war ein Grund, ja. Man musste reagieren und mehr bedrohte Arten reinnehmen. Klar, man könnte immer mehr machen, aber stellen Sie sich vor, Sie seien Zoomanager. Sie brauchen Einnahmen, müssen also eine Institution kreieren, die attraktiv für Besucher ist. Sie müssen den Verwaltungsrat hinter sich haben und gleichzeitig haben Sie auch noch einen Artenschutzauftrag. Da ergibt sich immer ein Kompromiss.

Ist Artenschutz zu wenig lukrativ für Zoos?
Artenschutz kostet. Wenn ein Zoo das Budget haben will, ein Projekt im Freiland zu betreiben, muss Geld durch Eintrittskarten oder Spenden reinkommen. Deshalb muss ein Zoo attraktiv für Besucher sein. Ein gutes Beispiel sind Erdmännchen. Die sind nicht bedroht. Ich kann also als Zoomanager nicht argumentieren, ich müsse Erdmännchen haben, sonst sterben sie in zehn Jahren aus. Aber Erdmännchen sind attraktiv und bringen Zoobesucher.

Sie schlagen in Ihrer Studie auch vor, bedrohte Arten regional zu bündeln, damit Zoos ihre Zuchttiere leichter austauschen können. Läuft das darauf hinaus, dass künftig alle Schweizer Zoos die gleichen Tierarten halten?
Das höre ich oft, auch von Zoodirektoren, die sich in ihrem Tierbestand von Nachbarn unterscheiden wollen. Darauf muss man natürlich Rücksicht nehmen. Man denkt vielleicht automatisch an Elefanten und Giraffen, aber es gibt Tausende von anderen Arten, die der normale Zoobesucher gar nicht auseinanderhalten kann. Und nicht zu vergessen: Viel, was die Erhaltungszucht betrifft, passiert hinter den Kulissen. Das bekommt der Besucher nicht mit. Und dort ergibt so eine Bündelung Sinn.