Die schlimmen Nachrichten kamen aus Spanien und sie schockierten die Pferdesportwelt. Bei einer grossen Turnierserie in Valencia, an der über sieben Wochen Hunderte von Pferden aus ganz Europa teilnehmen sollten, war eine aggressive Form des equinen Herpesvirus EHV-1 ausgebrochen. Da betroffene Tiere nicht rechtzeitig isoliert wurden, verbreitete sich das Virus in den Stallzelten. Am Schluss hatte sich ein Grossteil der Vierbeiner angesteckt, mindestens zehn internationale Springpferde starben – noch vor Ort oder zu Hause. Denn zahlreiche Reiter waren mit ihren Pferden in ihre Heimatländer zurückgekehrt, ohne zu wissen, dass sich ihre Vierbeiner angesteckt hatten. 

«Es handelt sich um einen der schlimmsten Herpes-Ausbrüche seit Jahrzehnten», informierte der Weltreiterverband FEI. Er verhängte in Europa einen internationalen Turnierstopp bis am 28. März. Der Schweizer Pferdesportverband SVPS zog eine Woche später nach und verbot für den gleichen Zeitraum auch hierzulande alle nationalen Concours. 

Bericht von «EuroNews» aus Valencia

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Überwachung betroffener Pferde
Für die Pferdesportszene, die langsam wieder in Gang kam, nachdem sie wegen Corona fast ein Jahr lahmgelegt war, ist das eine weitere Hiobsbotschaft. «Doch in erster Linie sorgen wir uns um die Gesundheit unserer Pferde», sagt Kader-Springreiter Alain Jufer, der in Elgg ZH lebt und mit der Welt-Nr. 1 Steve Guerdat trainiert. Die beiden weilten mit über einem Dutzend Pferden an einem anderen Turnier in Spanien, als der Ausbruch bekannt wurde. Sie fuhren umgehend nach Hause zurück, wo sich die Vierbeiner seither in einer freiwilligen Quarantäne befinden.

Aus Valencia sind auch einige infizierte und an HEV-1 erkrankte Springpferde in die Schweiz zurückgekommen. Diese Tiere wurden umgehend isoliert und werden nun von ihren Haltern und Tierärzten professionell betreut. Die betroffenen Ställe in den Kantonen Zug und Waadt stehen unter Überwachung, sodass es bis jetzt zu keiner weiteren Verbreitung des Virus gekommen ist. 

Die Lage in der Schweiz sei unter Kontrolle, sagen die Experten einer vom SVPS zusammengestellten Taskforce und rufen Pferdebesitzer dazu auf, Ruhe zu bewahren. Nach ihrer Einschätzung ist die Ansteckungsgefahr für Pferde, die keinen Kontakt zu den betroffenen Tieren in Spanien hatten, klein. Sie empfehlen, momentan keine grös­seren Trainingsveranstaltungen durchzuführen, haben aber keine Bedenken in Bezug auf lokale Treffen, Trainings in Reitvereinen oder Kurse mit Pferden, deren Herkunft bekannt ist. Und sie appellieren an die Eigenverantwortung jedes Pferdesportlers, nur mit einem gesunden Pferd an solchen Anlässen teilzunehmen.

Herpesviren sind «alte Bekannte», die man in vielen Spezies findet: Beim Menschen sind die Erreger für «Fieberbläschen» verantwortlich, bei Katzen können sie Katzenschnupfen auslösen und beim Hund Fruchtbarkeitsstörungen. Auch die meisten Fohlen oder Jungpferde machen eine Herpesinfektion durch. Sie sind danach nicht immun, sondern bleiben «stille Träger». Das Virus verharrt im Organismus und verursacht dort keine Schäden. Doch bei Stress durch Transporte, Stallwechsel, Turnierbesuche oder Verletzungen kann der Erreger ausbrechen. 

Das Pferd scheidet die Herpesviren über die Flüssigkeiten der Maul- und Nasenschleimhaut aus und kann durch Husten, Schnauben oder Beschnuppern Artgenossen anstecken. Der Erreger verbreitet sich aber auch indirekt über die Hände oder Kleider des Reiters oder Pflegers, Sattel- und Putzzeug, Futter- und Wassereimer, Pferdetransporter und Turnierboxen. Bei idealen Bedingungen überlebt das Virus auf Oberflächen bis zu vier Wochen.

Ein Tierarzt erklärt, was das equine Herpesvirus ist

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Menschen stecken sich nicht an
Es gibt verschiedene Typen des equinen Herpesvirus, wobei für das Pferd EHV-1, EHV-3, EHV-4 und EHV-5 relevant sind und Erkrankungen mit unterschiedlicher Symptomatik auslösen. Der Mensch wird nicht krank durch Pferdeherpesviren, weil diese wirtspezifisch sind. Am meisten gefürchtet sind Infektionen mit dem Typ EHV-1. Dieses lässt sich nach einem Nasenabstrich oder Blutentnahme durch einen PCR-Test im Labor nachweisen – Schnelltests gibt es keine. 

Nach der Inkubationszeit, die von wenigen Tagen bis zwei Wochen reichen kann, zeigen erkrankte Pferde als erstes Symptom leichtes Fieber. Es folgt eine Infektion der oberen Atemwege mit Nasenausfluss, eventuell Husten, einem geschwächten Allgemeinzustand und Appetitlosigkeit. Bei den meisten kommt es danach zu einer Selbstheilung. In schwereren Fällen greift das EHV-1 bei trächtigen Stuten die Schleimhäute der Gebärmutter und der Plazenta an. Der heranwachsende Fötus wird nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt und wird in der Folge abortiert. Oder das Fohlen wird lebensschwach geboren und stirbt meist in den ersten Lebenstagen.

Bei der neurologischen Form von EHV-1, wie sie in Spanien ausgebrochen ist, verbreitet sich das Virus über die Blutbahnen und infiziert das Nervensystem, was zu neurologischen Ausfallserscheinungen führen kann. Betroffene Pferde bewegen sich unkoordiniert, zeigen Hinterhand-Schwäche, Verlust des Schweiftonus, Harnverlust, sie versuchen sich anzulehnen oder legen sich schliesslich fest. Manchmal gelingt es, diese Pferde wieder auf die Beine zu stellen, doch meist sind die Prognosen in diesem Stadium trotz intensiver medizinischer Behandlung schlecht. Die Tiere tragen bleibende Schäden davon oder müssen euthanasiert werden.  

Tipps von der Tierärztin für Pferdehalterinnen und -halter

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Vereinzelte EHV-Ausbrüche sind in der Schweiz eher selten. Von Gesetzes wegen gilt Herpes deshalb nicht als Tierseuche und ist nicht anzeigepflichtig. Es sollte jedoch eine freiwillige Meldung bei der Informationsplattform für Früherkennung von Pferdekrankheiten «Equinella» erfolgen, sowohl um die Transparenz als auch das Gesundheitsmanagement der Schweizer Pferdepopulation zu gewährleisten.  

Kein vollständiger Schutz
Bei einem Ausbruch verbreitet sich das Virus meist seuchenhaft innerhalb eines Betriebes oder innerhalb einer Region. Durch räumliche Isolation der betroffenen Pferde oder des ganzen Betriebs sowie ein strenges Hygieneregime wird die weitere Ausbreitung eingedämmt. Diese Quarantäne-Massnahmen sind nicht verpflichtend, sollten aber auf freiwilliger Basis im Sinne der allgemeinen Sorgfaltspflicht durchgeführt werden. 

Gegen EHV-1/EHV-4 gibt es einen Impfstoff, der jedoch keinen vollständigen Schutz bietet. Die Impfung ist deshalb auch nicht obligatorisch. Pferdetierärzte empfehlen sie aber für trächtige Stuten, auf Zuchtbetrieben sowie für Sportpferde, die einem grösseren Stress ausgesetzt sind und häufig auf Turnieren teilnehmen. Seine Pferde jetzt noch schnell gegen den aktuellen Ausbruch zu impfen, bringt wenig, denn mit der Grundimmunisierung dauert es mehrere Wochen, bis der Impfschutz aufgebaut ist.