Windböe um Windböe fegt den Hang herauf. Robert Lerch muss rufen, damit der Journalist ihn versteht: «Da kommen sie!» Er zeigt auf die Hinterseite eines türkisfarbenen Hüttchens, das etwas geschützt zwischen einem Baum und einer Hecke steht. Dort herrscht ein Gesumme – Winzlinge versuchen, sich gegen die Naturgewalt zu behaupten. Hunderte, Tausende Bienen sind im Anflug. Manche schaffen es beim ersten Versuch auf das Flugbrett vor dem Eingang ihres Kastens. Andere werden von einem Windstoss erfasst, ein paar Meter weggeblasen – und versuchen es dann erneut. «Sie merken, dass ein Unwetter im Anzug ist und wollen schnell zurück in den Bienenstock», sagt Lerch.

Robert Lerch ist einer von rund 17 000 Imkern in der Schweiz. Hier, idyllisch gelegen in den Allmendwiesen auf dem Born, hält er sechs Bienenvölker; in seiner Wohngemeinde Kappel SO, am Fuss des Berges, in zwei weiteren Bienenständen noch einmal 15, davon neun Jungvölker. Ein wenig ähnelt Lerch einem Astronauten, wie er so dasteht im weis-sen Ganzkörperanzug mit dem helmartigen Schleier auf dem Kopf. Doch das Aussehen ist egal, Sicherheit geht vor: Besonders aggressiv seien die Bienen nicht, sagt Lerch, aber passieren könne immer etwas. «Vor einigen Jahren musste ich wegen Bienenstichen ins Spital.»

Lerch ist nicht nur ein erfahrener und umsichtiger Imker, er hat die Bienen sogar zu seinem Beruf gemacht. Als Mitarbeiter beim Bienengesundheitsdienst, dem Beratungs- und Kompetenzzentrum des Dachverbandes apisuisse, steht er Imkern bei Fragen rund um die Bienengesundheit zur Seite. Genug zu tun gibt das alleweil. Denn die Gesundheit der Bienen ist das alles überragende Thema in der Imkerei. Davon zeugen fast täglich auch die Schlagzeilen in den Medien: «Asiatische Hornisse bedroht Schweizer Bienen», heisst es da. Oder: «Beizmittel gefährden Bienen». Und erst kürzlich teilte der Verband mit, dass die Schweizer Imker im letzten Winter wiederum über ein Fünftel ihrer Völker verloren hätten.

Die Varroamilbe ist überall
Die mit Abstand grösste Gefahr für die Bienen sei die Varroamilbe, sagt Lerch. Er ist nun im Bienenhaus drin und hat das Türchen zu einem der Völker geöffnet. Dicht an dicht drängen sich die Bienen auf den Waben. Lerch zieht eine Kunststoffunterlage heraus, die sich unter den Brutrahmen befindet. Wachskrümel liegen darauf, aber auch einige kleine dunkle Punkte. «Das sind Varroamilben, sie sind in jedem Bienenstand.» 

Weil Honigbienen nicht in der Lage sind, sich selber gegen diese in den 1980er-Jahren von Asien nach Europa eingeschleppte Milbe zu wehren, ist der Imker gefordert. Er muss das ganze Jahr über auf der Hut sein und mit verschiedenen, aufeinander abgestimmten Massnahmen versuchen, den Milbenbefall unter Kontrolle zu halten. «Überlässt man die Bienen sich selbst, sind sie nach spätestens zwei Jahren tot», sagt Lerch.

Überhaupt: Imkern sei zwar ein Hobby für jedermann, sagt Lerch. Doch man müsse genügend Zeit aufwenden können – und es brauche eine gute Ausbildung. Der Verband empfiehlt angehenden Bienenhaltern dringend, den 18 Halbtage umfassenden Grundkurs zu besuchen, den schweizweit Dutzende Imkervereine anbieten. Lerch, der selber Kurse leitet, geht noch weiter. «Aus meiner Sicht sollte der Grundkurs obligatorisch sein», sagt er. Zum einen trage der Imker die Verantwortung für seine Tiere, zum anderen könnten durch Fehler und Versäumnisse Krankheiten auch auf benachbarte Völker übergreifen. 

Über mangelndes Interesse beklagen können sich die Imker nicht. Der Film «More than Honey» hat 2012 einen richtiggehenden Hype ums Imkern ausgelöst. Mittlerweile habe sich das zwar etwas gelegt, doch noch immer seien viele Kursangebote überbucht, sagt Lerch. Bemerkenswert ist für ihn, dass sich immer mehr Frauen für die Imkerei interessieren. «Das Bild vom grauhaarigen Imker mit dem Stumpen im Mund ist veraltet.»

Noch wichtiger findet Lerch allerdings, dass das Verständnis und das Interesse für die Bienenhaltung in der breiten Bevölkerung stetig zunehmen. «Wenn ich jemandem sage, ich sei Imker, sind wir gleich im Gespräch», sagt er. Das liegt wohl nicht nur an der Bedeutung der Honigbiene als Bestäuber für Landwirtschaftskulturen, sondern auch daran, dass Bienen zu einem Symbol für intakte Landschaften allgemein geworden sind.

Doch wie steht es mit diesen Landschaften? Finden die Bienenvölker überhaupt noch genügend Nahrung in der überbauten und intensiv genutzten Schweiz? Jein, sagt Lerch. Im Wohngebiet sei das Futterangebot sogar vielfältiger als je zuvor. Die Vielfalt fehle aber oft in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten. Umso wichtiger seien landwirtschaftliche Ausgleichsflächen, mit einheimischen Gewächsen bepflanzte Borte und natürliche Bachläufe oder Strassenränder. Die etwas älteren Arbeiterinnen im Bienenstock, die sogenannten Flugbienen, sammeln in einem Umkreis von ungefähr einem Kilometer Nektar und Pollen. Im Bienenstock wird der Nektar eingedickt, zu Honig verarbeitet und in Wabenzellen eingelagert.

Starke Völker gehen auf Raubzüge 
Robert Lerch nimmt einen Rahmen aus dem Kasten, auf dessen Wabe sich Hunderte Bienen festhalten. «Sie sind ruhig, das gefällt mir», sagt er. Die Zellen im unteren Teil des Rahmens sind mit einem Wachsdeckel verschlossen. «Hier entwickeln sich Jungbienen», sagt Lerch. Die Zellen oben glänzen golden: Es ist der Honig. Vorrat für den Winter und für schlechte Zeiten im Bienenvolk. 

Aus den Honigwaben nimmt sich der Imker seinen Teil. Die Ernte betrage ungefähr 25 bis 35 Kilo Honig pro Volk und Jahr, sagt Lerch. Geerntet wird zwei Mal im Jahr – etwa Ende Mai der Blütenhonig und Ende Juli der Waldhonig. Letzterer entsteht nicht etwa aus Nektar, den die Bienen im Wald sammeln, sondern aus Honigtau – jenem süssen Saft, den Blattläuse ausscheiden. Damit die Bienen nach der Honigernte nicht verhungern, muss ihnen der Imker Ersatz liefern. Dazu stellt er ihnen in Futtergefässen oder Flaschen Zuckersirup in den Stock. 

Auch dabei gilt es einiges zu beachten. Man müsse die Nahrung immer ganz im Kasten platzieren und aufpassen, dass man nichts verschütte, sagt Lerch. «Sonst merkt es ein anderes Volk. Und stärkere Völker rauben schwächere Völker aus.» 

Solche Tipps zu geben ist die Aufgabe des Bienengesundheitsdienstes. Auf einer Hotline, mittels Referaten und nicht zuletzt mit frei auf der Website abrufbaren Merkblättern – allein zum Thema Varroamilbe sind es zwei Dutzend. Propagiert werde nur, was sich in der Praxis bewährt habe und wissenschaftlich nachgewiesen sei, sagt Lerch. Ziel ist es, dass künftig Schweizer Bienenhalter dank dieser Merkblätter ein Betriebskonzept erstellen können, das auf ihre Situation zugeschnitten ist. Und dass sie damit erfolgreicher imkern. «Ich bin überzeugt», sagt Lerch, «dass sich die Winterverluste mit dem Betriebskonzept auf unter zehn Prozent der Völker senken lassen.