Mit seiner Geschichtensammlung «Die Dschungelbücher» schrieb sich Rudyard Kipling in die Unsterblichkeit: Der Menschenjunge Mogli wächst bei Wölfen im Urwald auf und lernt das harte Gesetz des Dschungels von seinen tierischen Freunden Balu dem Bär und dem schwarzen Panther Baghira.

Im Original ist die moralische Fabel eher düster, wurde aber 1967 schwungvoll von den Disney-Studios in einen Zeichentrickfilm verwandelt und zu einem der erfolgreichsten Filme der Geschichte.

Rudyard Kipling gehörte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu den beliebtesten englischsprachigen Schriftstellern. Sprachmächtig, elegant und exotisch formte er das Bild der Briten von ihren Kolonien. Vor 150 Jahren, am 30. Dezember 1865, wurde Rudyard Kipling in Bombay (heute Mumbai) geboren.

Der Engländer, der in Indien zu Hause war
Kiplings Eltern waren Briten, die in die indische Kronkolonie ausgewandert waren und er wurde von einem portugiesischen Kindermädchen und indischen Bediensteten aufgezogen. Doch mit sechs Jahren wurde er zu Pflegeeltern in England geschickt, um dort eine gute Schulbildung zu erhalten.

1882, im Alter von 16 Jahren, kehrte er nach Lahore im heutigen Pakistan zurück. Sein Vater verschaffte ihm eine Stelle als Journalist für seine Lokalzeitung, für die er kreuz und quer durch die indischen Bundesstaaten reiste. Kipling sprach fliessend Hindi und Urdu und begann nebenher, Kurzgeschichten und Gedichte zu schreiben.

Schon seine ersten Werke begeisterten. In ihnen zeichnete Kipling mit Ironie die Schwächen und Konflikte der englischen Bevölkerung in Britisch-Indien nach. «Der Mann, der König sein wollte» wurde mit Sean Connery und Michael Caine in den Hauptrollen verfilmt.

Literaturnobelpreis und zunehmende Kritik
1889 kehrte Kipling nach London zurück, dem literarischen Zentrum des britischen Empires, und wurde einer der bekanntesten und beliebtesten Schriftsteller. 1907 erhielt er als erster Brite den Literaturnobelpreis. Sein Ruhm bröckelte nach dem Ersten Weltkrieg, als auch die britische Kolonialherrschaft Risse bekam. Kipling war überzeugt, dass die angelsächsische Zivilisation anderen Völkern weit überlegen sei und zog damit Kritik auf sich.

Schriftstellerkollegen wie der Argentinier Jorge Luis Borges warfen ihm vor, er sei «ein Barde des britischen Empires», der in Gedichten wie «Die Bürde des Weissen Mannes» koloniale Ausbeutung besang. George Orwell beschrieb ihn 1942 in einem Essay als «Hurrapatrioten, moralisch unempfindlich und ästhetisch abstossend».

Andere dagegen lasen Warnungen vor den Gefahren des Imperiums in seinen Gedichten, und Kiplings Meisterwerk «Kim» (1901) zählte zu den Lieblingsbüchern des ersten indischen Ministerpräsidenten Nehru.

Kipling schmückte sich mit fremden Federn
Auf Bertolt Brecht machte Rudyard Kiplings gleichmütiger Ton grossen Eindruck. Der subtile Einfluss ist in mehreren seiner Gedichten zu spüren. So ist der Kanonensong der »Dreigroschenoper» (1928) eine freie Interpretation von Kiplings Ballade «Screw-Guns» (1890).

Auch Kipling hat abgekupfert. Vor zwei Jahren wurde ein Brief von 1895 gefunden, in dem er zugibt, Teile des Gedichts «Law of the Jungle» abgeschrieben zu haben: «In der Tat ist es sehr gut möglich, dass ich mich wahllos bedient habe, doch derzeit kann ich mich nicht erinnern, von wessen Geschichten ich gestohlen habe. Mit herzlichen Grüssen, Rudyard Kipling.»

Am 18. Januar 1936 starb Kipling kurz nach seinem 70. Geburtstag. Seine Asche wurde in der Poets' Corner der Londoner Kathedrale Westminster Abbey neben den Gräbern von Thomas Hardy und Charles Dickens beigesetzt.