Ein Spaziergang mit dem deutschen Förster Peter Wohlleben muss ungemein spannend sein. Kaum jemand weiss so viel über dieses hochkomplexe Ökosystem wie er. Erst gerade stürmte der 55-Jährige mit seinem Buch «Das geheime Leben der Bäume» die Bestsellerlisten («Tierwelt» berichtete) und avancierte zum gefeierten Autor.

Und doch ist es wenigen Auserwählten vorbehalten, tatsächlich mit ihm durchs Dickicht zu streifen. Für alle andern gibt es eine Alternative: «Wohllebens Waldführer» der wieder in die Buchlisten aufgenommen wurde, gehört in jeden Rucksack. Am besten an einen Ort, an dem das mehr als 250-seitige Nachschlagewerk stets griffbereit ist. «Tiere und Pflanzen bestimmen – das Ökosystem bestimmen» ist angesagt, ganz nach dem Untertitel des Buchs.

Die Qual der Auswahl
Ein solcher Naturführer läuft Gefahr, schnell einmal schwer, dick und unübersichtlich zu werden. Dessen war sich auch Wohlleben bewusst, eher er anfing, den Inhalt zusammen zu stellen. Allein in Bayern gebe es laut des deutschen Bundesamts für Naturschutz (BfN) über 480 verschiedene Laufkäferarten. «Wo soll da ein Waldführer anfangen, wo enden?», stellt Wohlleben die rhetorische Frage im Vorwort.

Bei einer Wanderung könne man aber nur einen Bruchteil der Arten beobachten. Darum habe er sich dazu entschlossen, eine Auswahl zu treffen, die von allem etwas enthält. «So kann Ihr Spaziergang zu einer Entdeckungsreise werden, bei der Sie Allerweltarten, aber auch seltene Kostbarkeiten bestimmen können», schreibt er.

Wie er seine Devise «Mut zur Lücke» umgesetzt hat, zeigt sich unmittelbar nach dem Vorwort. Der «Spaziergang» beginnt mit einem Überblick über zahlreiche Säugetiere, die sich in unseren Wäldern wohl fühlen. Reh, Rothirsch, aber auch Wildschwein und Feldhase – sie alle werden mit grossen Bildern und kurzen informativen Texten vorgestellt.

In ihnen wirft der Förster immer auch einen Blick auf das Verhalten der Tiere und den damit zusammen hängenden Folgen für den Wald. So könne zum Beispiel die Rötelmaus (Clethrionomys glareolus) frische Anpflanzungen von Laubbäumen erheblich schädigen, wenn sie in Ermangelung von Eicheln und Buchennüsschen im Winter Knospen und Rinde vertilgt.

Hilfreiche Gliederung
Wohlleben hat seinen Waldführer übersichtlich gegliedert. Auf die Säugetiere folgen unter anderem Vögel, Amphibien und Reptilien, Insekten, Spinnentiere, aber auch Bäume und Sträucher. Die scharfen, detailreichen Fotos sind bei der Bestimmung tatsächlich hilfreich. Ein willkommener Service sind zudem Hinweise auf die Giftigkeit, die sich dort finden, wo sich diese Frage explizit stellt. Geniessbare Beeren und Pflanzen sind ebenfalls gekennzeichnet. Wo sich hingegen keine Angaben zu diesem Thema befinden, ist davon auszugehen, dass die Pflanzen nicht essbar sind. Das schreibt der Autor im Vorwort.    

Einen Bruch gibt es im hinteren Teil des handlichen Kompendiums. Im Kapitel «Hinter den Kulissen» wirft Wohlleben einen Blick auf den Zustand der Wälder. Er erklärt, wie die einzelnen Teile zusammenspielen und wie der Mensch dieses Ökosystem verändert hat. Obwohl man es ja vermeintlich wusste – nachdenklich stimmen Kapitel wie «Wo gibts noch echten Wald?» und Fotos der Spuren, welche mächtige Waldmaschinen im Boden hinterlassen haben, allemal. Dass er die Unterschiede zwischen Urwäldern und Wildforsten anschaulich schildern kann, ist der Tatsache zu verdanken, dass Wohlleben selber als Förster arbeitet.

Wer die Spazierrunde durch den Wald – gerade in Zeiten des Corona-Lockdowns – schon x-mal gegangen ist, sollte den Waldführer auf dem nächsten Rundgang unbedingt mitnehmen. Mit seiner Hilfe kann der Ausflug zu einem völlig neuen Erlebnis werden. Vorausgesetzt natürlich, man lässt sich darauf ein und nimmt sich Zeit, diesen Lebensraum zu entdecken. Einen, in dem laut Wohlleben die Langsamkeit regiert.

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Peter Wohlleben: Wohllebens Waldführer
2. Auflage 2016 Gebunden,
256 Seiten
Verlag: Ulmer,
ca. 20 Franken
ISBN: 978-3-8186-0704-3