Nacktmulle kennen keine Abstandsregeln: In ihrer Gemeinschaftskammer liegen sie an diesem Mittwoch dicht an dicht. Hier wird gemeinsam gegessen und nebeneinander geschlafen. Es ist ein Gewusel aus schrumpliger Haut und spitzigen Riesenzähnen.

Dass sie im Corona-bedingt geschlossenen Zoo bis auf Weiteres keine Zuschauerinnen und Zuschauer haben, dürfte den Nacktmullen egal sein – sofern sie es überhaupt merken.

Ihre Augen sind schlecht, weil sie diese in den dunklen Höhlen ohnehin nicht brauchen. Zudem sind ihr Sozialsystem und ihre Alltagsgestaltung so ausgeklügelt, dass sie auch sonst keine Zeit haben, sich um die Besucherinnen und Besucher zu kümmern.

Die Königin pflanzt sich fort
Nacktmulle sind staatenbildende Tiere wie Bienen oder Ameisen. Im Zentrum steht die Königin, die für die Fortpflanzung zuständig ist und gerade trächtig und leicht tattrig durch die Gemeinschaftskammer schwankt. «Kurz bevor sie gebärt, sieht sie aus wie ein Tennisball», sagt Kurator Pascal Marty zum Zustand der Königin.

Einen König hat sie nicht. Sie paart sich mit verschiedenen Männchen. Die Jungtiere eines Wurf können dabei durchaus verschiedene Väter haben.

Die Nacktmulle, auch jene im Zoo, haben eine strikte Arbeitsteilung: Während sich die Königin fortpflanzt, sind jüngere und kleinere Tiere für das Höhlensystem verantwortlich. Sie richten Gemeinschaftskammer, Futterkammer und Latrine ein. Die älteren und grösseren Tiere bewachen die Ausgänge, um zu verhindern, dass Schlangen oder Nacktmulle anderer Kolonien in die Höhle eindringen.

Gerne viel CO2 in der Luft
Genetischen Austausch gibt es bei so viel Zusammenhalt kaum, auch in der freien Natur in Ostafrika nicht. Eine Blutauffrischung gibt es nur, wenn Kolonien gegeneinander kämpfen und die Gewinner Jungtiere stehlen oder wenn einzelne Männchen auswandern.

«Es sind die, die nicht am Arbeiten interessiert sind und sich lieber fortpflanzen wollen», so Marty weiter. Deren Fortpflanzungschancen seien jedoch nicht sehr gross, weil sie auf dem Weg zu einer anderen Gruppe oft gefressen würden.

Der zwangsläufig entstehende Inzest schade den Nacktmullen aber nicht, so Marty weiter. Auch sonst sind die kleinen Säuger spezielle Tiere. Sie brauchen keine stabile Körpertemperatur, sondern können diese von 12 bis 37 Grad variieren – je nach dem, wie tief im Boden sie gerade sind. Dass es in den Höhlen wenig Sauerstoff gibt, stört sie kaum. Sie mögen geradezu Gänge mit hoher CO2-Konzentration und können 18 Minuten ohne Sauerstoff überleben.

Kein Alterungsprozess, kein Krebs
Obwohl sie aussehen wie Ratten oder Mäuse, die nur wenige Jahre alt werden, erreichen Nacktmulle ein hohes Alter. Sie können bis zu 30 Jahre alt werden. Weil sie dabei erstaunlicherweise nicht altern, werden sie mittlerweile in der Altersforschung eingesetzt.

Nacktmulle sind zudem extrem resistent gegen Krankheiten. Krebs beispielsweise gibt es bei ihnen nicht. Damit sich die Tiere nicht allzu stark fortpflanzen, ist dafür die Sterblichkeit bei den Jungtieren relativ hoch. In Zürich gab es im vergangenen Jahr 19 Jungtiere, wovon aber längst nicht alle überlebten.

Namen haben die Zürcher Nacktmulle nicht, weil sie bis auf die etwas grössere Königin ohnehin kaum zu unterscheiden sind. Die Tiere, die seit vergangenem Jahr in der Lewa-Savanne leben, sind lediglich in zwei Kolonien eingeteilt: Gruppe gelb und Gruppe violett.