Mit rot-weissen Kübeln in der Hand schreiten die Delfintrainer zur Lagune. Der Wind pfeift über die Naturbucht in Montego Bay, der Himmel ist bedeckt. Die Wassertemperaturen im Karibischen Meer jedoch sind angenehm. Delfin Secret streckt neugierig den Kopf aus dem Wasser und schwimmt mit seinem Artgenossen Pepe ziemlich nahe an den Strand heran. Weiter hinten ist die Rückenflosse von Chicky kurz zu sehen. Oder war es Rose? Chicky und Secret sind die zwei Delfine des Freizeitparks Connyland in Lipperswil TG. Seit ein paar Monaten sind sie in der Lagune auf Jamaica die neuen Gefährten von Rose und Pepe. 

Schwungvoll steigt Delfintrainer Dennis Kissling ins Kanu und paddelt zusammen mit zwei Gehilfen hinaus zu einer der zwei Plattformen in der Bucht. Secret begleitet das Boot ganz nahe und quietscht dabei. Mit etwas mehr Abstand folgt ihm Rose. Vom Strand aus blickt Nadja Gasser den Tieren nach. «Es geht ihnen gut», sagt die Besitzerin der Connyland-Delfine. Mit zwei Begleitern paddelt sie auf die zweite Plattform ans andere Ende der Bucht. Auch Chicky schwimmt neben dem Kanu her. Nur Pepe ist nicht sofort zur Stelle. Doch kaum steigt die zweite Crew auf die Plattform, taucht auch der 14-Jährige quietschend auf. Es folgt eine kurze, herzliche Begrüssung, begleitet von lauten Rufen der Delfine und prüfenden Augen der Trainerin. Gasser sieht auf den ersten Blick, ob alles mit den Tieren in Ordnung ist. Sie ist mit Delfinen aufgewachsen und arbeitet seit ihrem 14. Lebensjahr mit den Meeressäugern. 

Neugierig und verfressen auf der Reise
Gasser ist dankbar, dass es Chicky und Secret gut geht. «Sie haben den Wechsel absolut ohne Komplikationen überstanden», sagt sie. Vom Connyland bis zur Lagune auf Jamaica waren die zwei Delfine 23 Stunden unterwegs. Mit an Bord reisten im Frachtflieger Connyland-Cheftrainer Kissling, ein spezialisierter Tierarzt für Meeressäuger aus Amerika sowie ein Trainer-Team aus Jamaica. «Chicky war während der ganzen Reise sehr neugierig und schaute mit erhobenem Kopf immer wieder aus der Transportkiste», sagt Kissling. Auch Secret habe sich schnell an die ungewöhnliche Umgebung gewöhnt und sich gerne mit Futter verwöhnen lassen. Mit dem isländischen Frachtflugzeug ging es von Zürich in Richtung Island, Kanada und danach direkt nach Montego Bay. Dort wartete bereits schon Nadja Gasser, die vorausgeflogen war, um die Tiere betreuen zu können, während ihre Kollegen die Zollformalitäten erledigen mussten.

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 Bild: Daniela Ebinger

Nun geniessen Gasser und Kissling auf Jamaica die Ruhe nach all dem Stress. Sie wollen Kraft tanken und den Blick in die Zukunft richten. Wichtig ist für sie, dass die Delfine in ihrer neuen Heimat weiter in Obhut ihrem natürlichen Fortpflanzungsinstinkt folgen können. Auch in Jamaica haben Secret und Chicky Kontakt zu Menschen. Gäste des Hotels Half Moon dürfen sich unter Aufsicht und genauer Instruktion den Tieren nähern und sie kennenlernen. 

Obwohl die Lagune in der hoteleigenen Privat-Bucht während 24 Stunden bewacht ist, begutachten die Trainer jeden Morgen die Tiere genau. So auch an diesem bewölkten Arbeitstag. Nach der Untersuchung legt sich Chicky auf den Rücken, schwadert mit den Brustflossen, den sogenannten Flippern, schwimmt ein wenig von der Plattform weg und kehrt nach Gassers Pfiff mit der Trillerpfeife zurück. Schnatternd verlangt sie ihr Frühstück, ihre Belohnung. Pepe tut es ihr gleich. Pepe und Rose haben sich ziemlich gut an die «Schweizer Delfine» gewöhnt, die aufgrund eines Parlamentsentscheids umgesiedelt werden mussten. 

Nachdem im Connyland zwei Delfine ums Leben gekommen waren, verlangten Tierschützer ein Importverbot für die Meeressäuger in die Schweiz. National- und Ständerat nahmen die Forderung auf und verabschiedeten das Verbot in rekordverdächtiger Zeit. Um Inzucht zu vermeiden, blieb dem Freizeitpark keine andere Wahl, als seine damals noch drei Delfine wegzugeben. Kurz vor der Umsiedelung wurde einer von ihnen, Angel, krank und starb («Tierwelt Online» hat berichtet). 

Jagen interessiert Chicky und Secret nicht
Nadja Gasser stösst heute noch sauer auf, dass sich auf persönliche Einladung kein einziges Mitglied des Parlaments in Bern die Mühe nahm, sich die Delfinhaltung im Connyland genau anzuschauen. Über 40 Jahre hielt der Freizeitpark Meeressäuger. Für Gasser zeigten die Connyland-Delfine in der Lipperswiler Lagune nicht nur beeindruckende Shows, sondern waren zugleich Botschafter der Meere und der Umwelt. Jetzt sind die Delfine weg – weit weg. Ob es Chicky und Secret jetzt besser geht? Das ist schwierig zu beurteilen. Dass sie in menschlicher Obhut bleiben, ist aber wohl besser für die beiden. Denn für ein Leben in freier Wildbahn fehlt ihnen der Jagdtrieb. Von den in der Lagune auf Jamaica herumschwimmenden Fischen, potenzieller Nahrung, wollen sie nichts wissen. 

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 Bild: Daniela Ebinger

Stattdessen warten Chicky und Pepe auf ihr Kommando. Sie schiessen los. Tauchen ab und springen elegant in die Luft. Noch ein Sprung und noch einer. Schön synchron und weg sind sie. Chicky taucht direkt vor der Plattform auf und übergibt Kissling, was sie am Grund der Lagune gefunden hat. Es ist eine Zahnbürste. «Zum Glück sind unsere Tiere gewohnt, alles, was sie finden, uns zu bringen», sagt der Trainer, nimmt dem Delfin den gefährlichen Gegenstand aus dem Maul, lobt ihn und gibt ihm einen Fisch.

Dennis Kissling wird als Trainer auf Jamaica bei den Delfinen bleiben. Das gehört mit zu den Bemühungen der Connyland-Verantwortlichen, ihre Tiere nicht im Stich zu lassen. In der ganzen strapaziösen Zeit stand für Nadja Gasser stets an erster Stelle, ihre Tiere an einen geeigneten Platz zu bringen. Nebst gut ausgebildeten Trainern waren ihr auch die Umgebung und der weitere Bezug zu den Menschen für die Delfine wichtig. Sie suchte auf der ganzen Welt. Besuchte zahlreiche Orte und nahm diese genau unter die Lupe. Auf Jamaica wurde sie fündig. 

Einiges funktioniert hier anders
Secret bekommt von Kissling das Signal, mit dem Flipper zu winken. Doch der junge Del­fin hat nur Schabernack im Sinn und spritzt seinen Trainer nass. Ruhig wiederholt dieser den Befehl – jetzt klappt es. «Nicht immer funktioniert alles reibungslos. Es sind Lebewesen, sie haben nicht immer die gleiche Stimmung, und sie testen immer mal wieder die Grenzen aus», sagt Kissling. 

Für einige Übungen erhalten die Delfine hier andere Signale als in der Schweiz. Secret und Chicky hätten sich ziemlich schnell daran gewöhnt, erzählt Kissling. «Es war einfacher die zwei Tiere umzugewöhnen, als das ganze Team in Jamaica.» Auch er muss sich umgewöhnen. Nicht alles funktioniert in der Karibik so reibungslos und zügig wie in der Schweiz. Aber das ist egal: Hauptsache, Chicky und Secret haben hier Spass – und ihren Frieden.

Rückblick:«Die letzte Saison der Delfine» in der «Tierwelt» vom 19. September 2013