Auch Fische haben Empfindungen. Das macht die Episode deutlich, die Meeresbiologin Angélique Vallée-Sygut erzählt, als sie durch den Rohbau des Süsswasser-Aquarium-Vivariums Aquatis führt, das Ende September in Lausanne seine Türen öffnen wird. Vor knapp einem Jahr kam als einer der ersten Fische ein gut ein Meter langer Alligatorhecht nach Lausanne, aus einem Aquarium in Singapur. 

Insgesamt zehn dieser Fische, die ausgewachsen bis zu drei Meter lang werden und in freier Wildbahn im US-amerikanischen Mississippi leben, sollten in die Schweiz einreisen. Doch da der Transportunternehmer bisher nie Fische dieser Art und Grösse transportiert hatte, kam Alligatorhecht Nummer eins allein, als Test. «Eigentlich ging alles sehr gut», sagt Vallée-Sygut, die das ozeanografische Museum Monaco leitete, bevor sie 2016 den Posten als Aquatis-Direktorin übernahm. «Aber der Fisch hat hier einfach nicht gegessen.» Man bot ihm unterschiedliche Nahrung an und gab ihm sogar Rochen ins Becken, damit er etwas Gesellschaft hatte. «Gesundheitlich konnten wir keine Probleme feststellen. Er war einfach deprimiert», sagt Vallée-Sygut. 

Ein Drittel der Fische sind schon da
Was dem Alligatorhecht schliesslich half, war die Ankunft seiner Artgenossen drei Monate später. Während zwei bis drei Tagen habe er ständig ganz nahen Körperkontakt mit seinen Mitfischen gesucht, was ungewöhnlich sei. Danach sei er zu normalem Verhalten zurückgekehrt und habe wieder gegessen. Heute ist er gesund und schwimmt in einem der provisorischen Becken im Quarantänebereich von Aquatis.

In mehreren aufgestellten Becken und Wänden voller kleiner Aquarien schwimmen dort schon fast 3500 Fische von 50 unterschiedlichen Arten. Doch das ist erst ein Teil dessen, was Aquatis ab Herbst zeigen will: Es wird das grösste Süsswasser-Aquarium-Vivarium Europas sein, in 46 Aquarien, Vivarien und Terrarien auf zwei Stockwerken sollen an die 10 000 Fische und mehr als 100 Reptilien und Amphibien den Besuchern eine Reise durch die Süsswasserwelten von fünf Kontinenten ermöglichen. 

«Viele Leute denken, Süsswasserfische seien langweilig», sagt Vallée-Sygut. «Wir werden ihnen aber unglaubliche Fische zeigen, die mit ihrer Grösse, Form und ihren Farben überraschen.» Man wolle die Besucher so für Themen der nachhaltigen Entwicklung und des Schutzes bedrohter Lebensräume sensibilisieren. «Nur drei Prozent des Wassers auf unserer Erde ist Süsswasser. Es ist eine Ressource, die wir unbedingt schützen müssen.»

Noch braucht es viel Fantasie, um sich die bunte Unterwasserwelt vorzustellen, die hier im Entstehen begriffen ist. Es dominiert roher Beton und man muss aufpassen, nirgends über unebenen Boden, über Holzlatten oder Kabel zu stolpern. Im unteren Stockwerk, wo die Besucher den Lebensräumen der Rhone von deren Ursprung am Gletscher über den Genfersee bis zur Einmündung ins Mittelmeer in der Camargue folgen werden, ist erst ein einziges Vivarium fertiggestellt. 

Hinter der Glasscheibe sucht man allerdings vergeblich nach Bewohnern. Vallée-Sygut erklärt, dass hier Feuersalamander, Laubfrosch, Gelbbauchunke, Kammmolch und Blindschleiche einziehen werden. Aber solange die Bauarbeiten noch für Lärm und Erschütterungen sorgen, sind die Tiere im alten Vivarium von Lausanne untergebracht. 

Salamander und Komodowaran
Dieses schloss im Dezember 2015 aus finanziellen Gründen seine Tore, zwei Drittel seiner Bewohner werden künftig in Aquatis ein Zuhause finden. So auch Westafrikanische Krokodile, die in ihrer ursprünglichen Heimat selten geworden sind, und ein Komodowaran, dessen Artgenossen indonesische Inseln bewohnen und der ausgewachsen mehr als drei Meter lang werden kann.

Sowohl Krokodile als auch Komodowaran werden im oberen Stockwerk einquartiert, wo der Rundgang durch Afrika, Asien und Ozeanien führen wird. Im Treppenhaus hinauf schrauben Arbeiter gerade einen Spinosaurus zusammen, seine massiven, mit spitzen Zähnen versehenen Kiefer liegen noch auf dem Boden. Der gewaltige Dinosaurier lebte in der Kreidezeit in Sumpfgebieten und ernährte sich von Fleisch und Fisch. In Aquatis steht er fürs Thema Evolution, dem auch ein grosses Aquarium mit Arten gewidmet wird, die bis heute urzeitliche Charakteristiken bewahrt haben – wie der Löffelstör, der Belugastör, der Russische Stör und der Alligatorhecht. 

Im oberen Stockwerk stehen in einem Becken bereits Beton-Mangroven auf ihren Stelzwurzeln im seichten Wasser, ihre Kronen sind zum Schutz vor Dreck und Staub noch in Plastik gehüllt. Ein gewaltiger Baumstamm liegt auf dem Boden und wartet darauf, aufgerichtet zu werden, damit Orchideen und weitere Pflanzen auf ihm wachsen können – es ist das Zentrum von Aquatis, wo der Rundgang in einem mehr als 500 Quadratmeter grossen amazonischen Tropenhaus enden wird. 

Der grösste Fisch Südamerikas
Auf Gerüsten arbeiten Beton-Künstler an künstlichen Bäumen. Zahlreiche echte Pflanzen befinden sich noch in einem provisorischen Gewächshaus vor dem Gebäude. Und bereits lässt sich ein Teil der drei Becken erahnen, durch die ab Herbst tropische Fische schwimmen werden.

Einige davon sind bereits im Quarantänebereich einquartiert. Beispielsweise Schwarze Pacus, eng mit den Piranhas verwandt, aber deutlich grösser. Leopold-Rochen, bei denen man die männlichen von den weiblichen Tieren trennen musste, weil sie seit ihrer Ankunft letzten Sommer bereits fünf Mal Nachwuchs hatten. Und zwei Vertreter der grössten Fischart Südamerikas: Mit ihren goldenen Schuppen und einer Länge von mehr als einem Meter sind die beiden Ara­paima bereits heute eindrücklich. Laut Vallée-Sygut könnten sie mit den Jahren aber mehr als vier Meter lang werden. Und damit die Besucher zum Staunen bringen.