Die Frau weiss, wie man anpackt. Sie nimmt die gefrorenen Küken und Fische ohne Scheu in die Hände bereitet diese als Futter vor. «Wir arbeiten hier mit Wildtieren», erklärt Flavia Schuler, «da gehören auch solche Arbeiten dazu.» Schon bald wird sie bei ihrer Vorbereitung beäugt. Fischotterdame Ida begutachtet die Szenerie neugierig – sie riecht auch den heute fremden Besucher. «Die Tiere erkennen einen. Wenn ich mit dem Auto zur Anlage fahren, wurde ich früher von dem einen Männchen mit einem lauten Rufen begrüsst.»

Seit 1988 hegt und pflegt der Fischotterverein Männedorf ZH in der Nähe des Hallenbades eine Fischotteranlage. Die Tiere werden nicht nur zum Anschauen gehalten, sondern sind Teil des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes (EEP). Ziel ist es, die genetische Population von vom Aussterben bedrohten Tierarten zu erhalten. Dazu zählt auch der Fischotter, der vor Jahren in der Schweiz als ausgestorben galt. Ende des 19. Jahrhundert galt der Fischotter als invasiv und wurde wegen seines begehrten dichten Felles bejagt. Erst 1952 wurde die Art unter Schutz gestellt. Nun werden nach rund 20-jähriger Abwesenheit wieder vereinzelt Tiere bei uns gesichtet, so beispielsweise zwischen Thun und Bern an der Aare.

Flavia Schuler bei der Otterfütterung

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Zwei Jungtiere sorgen für Freude
Ist es nicht problematisch, diese Wildtiere in einem Gehege einzusperren? «In unserer Anlage haben wir einen natürlichen Flusslauf nachgebildet, zudem sind die Becken sehr tief. Die Tiere stammen nicht aus Wildfang. Sie kennen nichts anderes, als ein Gehege», sagt Schuler. Zudem helfen sie hier mit, die Tierart auch für die Zukunft zu erhalten. «Sie sind nicht einfach zur Unterhaltung der Besucher da», sagt die 38-Jährige. Die Anlage, welche die zehn Aktivmitglieder des Fischottervereins pflegen und putzen, umfasst zwei Aussengehege, die zusammen rund 350 Quadratmeter gross sind. Normalerweise lebt ein Fischotterpärchen in der Anlage. Sind diese gross genug, werden sie in andere Anlagen, die am EEP-Programm beteiligt sind, verlegt.

«Doch nun haben wir seit Jahren wieder zwei Jungtiere», erzählt Schuler, die in Männedorf aufgewachsen ist. Ida und Ivo haben im Oktober 2020 für Nachwuchs gesorgt. Die Fischotterdame stammt aus der Ukraine, Vater Ivo aus dem Zoo Zürich. «Die Ereignisse haben sich im vergangenen Jahr überschlagen. Zuerst war die grosse Freude über den Nachwuchs, dann die Trauer über den Tod von Ivo.» Beim Fischotter wurde ein Tumor diagnostiziert. Das Tier musste schlussendlich eingeschläfert werden. «Da flossen nicht nur bei mir die Tränen», erinnert sich Schuler, die seit drei Jahren als Vizepräsidentin des Fischottervereins amtet. Die Liebe zu den Tieren scheint in der Familie zu liegen: Vereinspräsident ist ihr Schwager Michi Burlet. Die Tiere im Gehege gehören dem Verein, die Aufsicht darüber hat aber ein externer Fachmann. Martin Wehrle, Kurator und Tierarzt beim Tierpark Goldau, ist der Ansprechpartner, der die Oberaufsicht hat.

Die Fischotter sind nicht einfach zur Unterhaltung der Besucher da.

Flavia Schuler
Fischotterverein Männedorf

Nun wird der Verein bald umziehen: Denn der Vertrag für das Gelände läuft aus, an dem Ort wird nun eine Alterssiedlung gebaut. Nach langer und mühseliger Suche ist nun klar: Auf dem Areal des Spitals Männedorf kann eine neue Fischotteranlage erstellt werden, die zwischen 300 und 400 Quadratmeter gross ein soll. «Die Planung ist angelaufen. Nun suchen wir Spenden, um die Baukosten zu stemmen. Der Unterhalt der Anlage und die Pflege der Fischotter wird ausschliesslich mit Jahresbeiträgen unserer rund 300 Mitglieder finanziert», erklärt Schuler.

Nachwuchs noch ohne Namen
Die Fischotterbetreuer arbeiten alle ehrenamtlich. «Wenn ich Stalldienst habe, bin ich zwei Mal täglich in der Anlage», sagt Schuler. Kurz vor Arbeitsbeginn um 6.30 Uhr und später am Abend nochmals um 20 Uhr. «Die Pflege der Tiere ist intensiv. Man muss sich auch gut auskennen. Ich studiere viel Fachliteratur und weiss inzwischen, ob es den Tieren gut geht oder nicht.»

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Woher kommt ihre Liebe zu den Tieren? «Ich bin sehr naturverbunden. Meine Eltern haben eine Hütte in den Bergen, wo wir als Kinder oft waren.» Zudem hat Schuler auch immer Haustiere gehabt wie Zwerggeckos oder Chinchillas. Auch um Pferde hat sie sich gekümmert. «Und in der Freizeit wandere ich gerne. Ich bin ein Naturmensch. Neben den Fischottern bleibt aber nicht mehr viel Zeit.» Zudem arbeitete sie bis vor Kurzem in einem Tierfachgeschäft.

Falvia Schuler steht nun im Aussengehege – dieses wird wöchentlich geputzt, so wie die Wasserbecken, in denen sich die Fischotter tummeln. Ein Pfiff. «Ida», ruft Schuler und schnalzt mit der Zunge. In der Hand hält sie einen Brocken Fleisch. «Die Tiere sind eigentlich recht scheu. Aber mich kennen sie inzwischen.» Es blubbert. Ein paar Luftblasen sind im trüben Wasser zu sehen. Und schon taucht eines der Jungtiere auf und schaut neugierig in die Richtung von Schuler. Noch wurden die Jungtiere, die rund sechs Monate alt sind, nicht untersucht. «Wir wissen nicht, welches Geschlecht sie haben. Deshalb haben sie noch keine Namen», sagt Schuler.

Grosse Sympathie im Dorf
«Ich freue mich darüber, dass ich den Wildtieren so nahe komme. Das Privileg haben nicht viele. Zudem bekommt man von den Tieren viel Liebe zurück.» Eines sei aber klar: Fischotter seien Wildtiere und nicht Schmuse­tierchen, die man streicheln kann. «Sie haben ihren ganz eigenen Willen.»

Der Fischotter ist das Wappentier der Gemeinde Männedorf. Das hat aber nicht damit zu tun, dass hier viele Otter leben. Das Wappen geht auf einen Eberhard Ottikon aus dem 15. Jahrhundert zurück. Der Otter nimmt wohl Bezug zum Namen Ottikon. «Ein Dorfpolizist hatte einst am Stammtisch die Idee, dass man die gefährdeten Tiere nicht aussterben lassen dürfe, weil sie so stark mit Männedorf verbunden seien», erzählt Schuler. So entstand 1983 der Fischotterverein. Der Verein geniesst gros­se Sympathie im Dorf am rechten Zürichsee Ufer mit seinen rund 10’000 Einwohnern.

«Fast jedes Kind, das in Männedorf aufgewachsen ist, kennt die Fischotter und hat sie mit dem Kindergarten oder der Schule mal besucht», sagt Schuler. So geniesst der Fischotterverein ein gros­ses Ansehen im Dorf. Als der Verein aufgrund der Aufgabe des heutigen Standortes vor einer ungewissen Zukunft stand, war die Betroffenheit gross in der Bevölkerung. Als der neue Standort beim Spital feststand, gab es viele positiven Reaktionen. «Die Anteilnahme hat uns sehr gefreut», sagt Schuler. Und lacht herzlich. Denn im Hintergrund ist Otterdame Ida aufgetaucht und scheint ihre Pflegerin zu begrüssen.

www.fischotterverein.com