Herr Pagan, Sie sind Marathonläufer. Als Direktor des Zolli können Sie Ausdauer brauchen.
Ausdauer kann man im Leben immer brauchen. Wenn man einen Zoo gestalten darf, kommt man nicht von heute auf morgen zu Resultaten. Bis aus Visionen Machbares entsteht, dauert es häufig seine Zeit.

Aktuellstes Beispiel ist das Ozeanium, das geplante Grossaquarium für Meerestiere. Erste Konzepte gab es im Jahr 2008. Am 19. Mai stimmen die Baslerinnen und Basler darüber ab, ob es realisiert werden darf. Haben Sie Angst vor diesem Sonntag?
Ich bin gespannt, auch etwas angespannt. Wir stellen fest, dass die Menschen zum Teil eine Meinung haben, ohne das Projekt zu kennen. Bei Informationsveranstaltungen machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Leute am Schluss sagen: «Ich bin skeptisch reingekommen, aber ihr habt mich überzeugt.»

Weshalb braucht es das Ozeanium?
Der Zolli hat mit dem Vivarium eine fast 50-jährige Geschichte mit der nassen Welt. Aber als Antwort auf die Probleme der Weltmeere wollen wir noch einen Zacken zulegen: mitten in Basel, in einem Binnenland, dem urbanen Menschen näherbringen, woran Ozeane leiden, und vor allem, was man dagegen tun kann. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern via Begeisterung für diese Tiere.

Das Ozeanium
Das Ozeanium ist ein Grossaquarium, in dem der Zolli die Besucher anhand von 30 Themen durch verschiedene Meereslebensräume führen will. Der 100-Millionen-Bau soll privat, zu einem Grossteil über Spenden finanziert werden. Gegen den Bebauungsplan, dem das Kantonsparlament mit grosser Mehrheit zugestimmt hatte, ergriff ein Komitee der Basler Grünen, unterstützt von Tier- und Umweltschutzorgansationen, das Referendum. Sie halten das Konzept für antiquiert und werfen Betreibern von Meeresaquarien vor, durch Wildfänge zur Zerstörung von Korallenriffen beizutragen. Am 19. Mai stimmt die Basler Bevölkerung über das Grossprojekt ab.

Wessen Idee war das Ozeanium?
Die Basler Regierung kam auf uns zu und sagte, dass es allenfalls die Möglichkeit für ein Projekt auf der Heuwaage gäbe. Dann entstand bei uns die Idee.

Ich dachte, es sei Ihr persönliches Projekt. Das Ozeanium soll den Besucher auf eine Reise nehmen, die an die Segelreise erinnert, die Sie im Jahr 2000 gemacht haben – den Rhein-Rhone-Kanal hinunter ins Mittelmeer, dann über den Atlantik.
(lacht) Nein, die Idee kam eher aus dem Kuratorium. Wir machen auch im Vivarium eine Reise durch Küstengewässer. Das wollten wir im Ozeanium auf eine Weltreise ausdehnen.

Sie waren mit Ihrer Frau ein Jahr auf dem Segelschiff unterwegs. Sieht man auf einer solchen Reise viele Meerestiere?
Natürlich. Wir waren konfrontiert mit der Schönheit und den Schattenseiten des Meeres. Wenn wir auf der Atlantiküberfahrt fischten, um uns zu ernähren, fingen wir nicht selten Plastiksäcke. Wir wurden beim Baden von Quallen genesselt und Delfine kamen in die Nähe des Boots, um damit zu spielen. 

Ozeanium-Gegner sagen, es brauche keine Erlebnisse mit lebendigen Tieren, um Menschen für die Natur zu interessieren. Ein digitales Vermittlungskonzept, eine virtuelle Unterwasserwelt, erreiche dasselbe.
Unsere Erfahrung im Zolli zeigt, dass die Direktbegegnung mit dem lebendigen Tier durch nichts zu toppen ist. Man kann, und Zoos tun das, mit Tablets oder Computeranimationen Zusatzinformationen vermitteln.

Den Gepard auf der Jagd etwa …
Ja. Es wird auch nie Blauwale oder Weisse Haie im Ozeanium geben.

Aber Sie werden echte Fische und Meerestiere zeigen. Wie viele werden Sie für das Ozeanium aus dem Meer fangen?
Präzise Zahlen kann ich noch nicht sagen. Im heutigen Vivarium halten wir ungefähr 3000 Tiere, im Ozeanium könnten es gegen 10 000 sein. Da gehören aber auch Wirbellose wie Anemonen, Korallen oder Seesterne dazu. Manche Tiere züchten wir selber, manche erhalten wir von anderen Aquarien und ein Teil wird direkt aus dem Meer kommen.

Hilft der Zoo so mit, Meerestiere an den Rand der Ausrottung zu bringen?
Auf keinen Fall. Wir werden keine bedrohten Tierarten aus dem Meer entnehmen. Und wir fangen auch nicht Fische mit dem Schleppnetz. Wir geben Bestellungen auf bei Leuten, die wir gut kennen und die für uns diese Tiere gezielt sammeln. 

Damit sind die Tiere noch nicht in Basel. Tierschützer monieren, beim Transport würden vier von fünf Fischen sterben.
Diese Zahl ist falsch respektive hat nichts mit dem Ozeanium oder dem Zolli zu tun. Es mag stimmen, dass es dubiose Transporteure gibt. Doch der Transport unserer Fische erfolgt unter höchststehenden Bedingungen. Über 98,5 Prozent kommen in gutem Zustand an.

Was sagen Sie zum Vorwurf, dass 98 Prozent der Aquarienfische im ersten Jahr eingehen?
Würde das stimmen, dürften wir kein Vivarium betreiben – seit 50 Jahren nicht. Wir haben es ausgerechnet: Würden 80 Prozent der Fische beim Transport sterben und vom Rest 98 Prozent in einem Jahr, müssten wir jährlich den gesamten Bestand im Vivarium erneuern. Das wäre nicht nur ein Geschäftsunsinn: Die Behörden kontrollieren uns jedes Jahr, sie würden das nicht zulassen.

Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie im Ozeanium?
Mit 500 000 bis 700 000 pro Jahr. Am Anfang werden es mehr sein, da werden wir schauen müssen, dass das Erlebnis positiv ist und die Besucher nicht in eine «Druggete» geraten. 

Das Ozeanium liegt nicht unmittelbar beim Zoo. Wird es für ihn zur Konkurrenz?
Nein, der Zolli wird seine Attraktivität behalten. Zudem hat er in den Monaten Oktober bis Februar Tage mit nur 30 bis 40 Besuchern, im Frühling bei schönem Wetter dafür 5000 bis 6000. Das Ozeanium bietet da eine Art Antisaisonalität.

Haben Sie neben dem Ozeanium weitere Erweiterungspläne für den Zoo?
Das nächste Grossprojekt ist die Totalsanierung des Vogelhauses. Ansonsten ist der Zoo, hier mitten in der Stadt, mehr oder weniger abgesteckt. Eine Reserve haben wir mit dem Parking vor dem Haupteingang. Es gibt Pläne, ein unterirdisches Parkhaus zu bauen, dann könnten wir den Platz für die Tiere nutzen.

Gibt es schon Ideen, wie?
Eine wäre, die Afrika-Anlage zu erweitern.

Sie wollen den Tieren mehr Platz geben?
Ich bin immer etwas vorsichtig, wenn es rein um die Fläche geht. Fläche soll dazu dienen, eine Anlage gut zu gestalten. So haben Tiere auch auf eingeschränktem Raum ihre Wechsel, ihre Rückzugsgebiete und können ihr natürliches Verhaltensrepertoire zeigen.

In freier Wildbahn schwimmt ein Korallenfisch ja auch nicht durchs halbe Meer.
Nein. Er lebt in Nischen, die wir ihm auch im Vivarium und im Ozeanium bieten, indem wir Korallenriffe wachsen lassen. Er kann nicht einfach die Nase hinausstrecken und denken, er gehe nun auf einen «Sonntagsschwumm». Dann macht es schwupp – und er ist weg. 

Sie sagten einmal, Sie möchten einst auch den Pazifik mit dem Segelschiff überqueren. Reicht das Ozeanium doch nicht, um den Lebensraum Meer kennenzulernen?
(schmunzelt) Das Ozeanium wird für ganz vieles reichen, was Vermittlung, Bildung und Schönheit des Meeres anbelangt. Aber für eine Reise mit dem Segelschiff wird es nicht gross genug sein.

Olivier Pagan ist seit 2002 Direktor des Zoos Basel. Zuvor arbeitete er dort als Zootierarzt und als Kurator für Elefanten, Javaneraffen und Malaienbären. Der 56-Jährige ist am Neuenburgersee aufgewachsen und ein begeisterter Segler und Marathonläufer.