Wenn ein Hund Angst hat, kann er auf sehr unterschiedliche Art und Weise damit umgehen. Verhaltensweisen, die aus Angst heraus entstehen können, werden in Fachkreisen mit den aus dem Englischen stammenden 4F zusammengefasst: «fight» für den Kampf beziehungsweise die Aggression, «flight» steht für die Flucht, «freeze» bedeutet eine Art Starre, bis die Gefahr vorbei ist, und «flirt» bezeichnet die Beschwichtigung. Innerhalb dieser 4F kann das Angstverhalten zusätzlich stark variieren – je nach Auslöser und Verlauf.

Gut möglich also, dass manch aggressiver Hund in Wirklichkeit ein Angsthase ist. Darum ist es sinnvoll, Ängste bei Hunden genau unter die Lupe zu nehmen, die Ursachen zu klären und die Angst zu behandeln. Gründe für Angst lassen sich grob in drei Gruppen unterteilen. Einer der Gründe ist mangelnde Erfahrung: Hat ein Welpe von der 3. bis zur 14. Lebenswoche zu wenig positive Kontakte zu anderen Hunden oder Menschen ?gehabt, kann das im späteren Leben zu Ängsten führen. Auch zu geringe Gewöhnung an die Umwelt mit all den anderen Lebewesen, Autos oder Lärm kann eine Ursache für Angstverhalten sein.

Streicheln kann die Angst verstärken
Ein weiterer Grund für Angst kann in negativen Erfahrungen liegen. Auch sie haben gerade im Welpenalter einen entscheidenden Einfluss darauf, ob das erwachsene Tier eventuell unter Ängsten leiden wird. Je spezieller die Angst ist, zum Beispiel, wenn sich ein Hund nur vor Männern mit dunklen Stiefeln und Besen fürchtet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine negative Erfahrung vorliegt.

Der dritte Grund, wieso ein Hund Ängste entwickelt, liegt in der Bestärkung: Es gibt Tiere, deren Charakter von Haus aus sehr sensibel ist. Bei ihnen wie auch bei allen ängstlichen Hunden kann die Furcht durch uns Menschen verstärkt werden. Allerdings nicht durch negative Erlebnisse. Im Gegenteil: Ein Hund, der uns leidtut, bekommt Streicheleinheiten und liebevolle, beruhigende Worte. Doch beim Vierbeiner kommt eine ganz andere Botschaft an. Er fühlt sich belohnt und in seiner Angst bestärkt. Damit wird das Problem immer schlimmer.

Eine häufige Angst bei Hunden ist die Trennungsangst. Dass ein Hund nicht gern allein ist, liegt schon in seinen Genen begründet. Hunde sind Rudeltiere und somit sehr soziale Lebewesen. Obwohl Alleinsein nicht zu seinen Stärken gehört, gewöhnen sich die meisten Hunde problemlos daran, mehrere Stunden am Tag ohne ein anderes Rudelmitglied zu verbringen. Schwierig wird die Sache aber dann, wenn sich ein Hund so stark an seinen Besitzer bindet, dass er regelrecht in Panik verfällt, wenn dieser das Haus verlässt. Mehrere Besitzerwechsel erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hund Trennungsangst entwickelt. Symptome sind bei diesen Hunden ganz anders als beispielsweise bei einem Hund, der sich vor Donner fürchtet. Ein Vierbeiner mit Trennungsangst bellt, jault, winselt, er wird unsauber in der Wohnung, zerstört mitunter Gegenstände. In Anwesenheit des Besitzers folgt er ihm auf Schritt und Tritt, kontrolliert jede seiner Bewegungen und wird nervös bis aggressiv, wenn sich der Mensch darauf vorbereitet, das Haus zu verlassen.

Der unbekümmerte Rudelführer
Ebenfalls eine häufige Angst ist jene vor unbekannten Geräuschen. Hat ein Hund Angst vor Donner, Blitz oder Silvesterkrachern, wird diese im Lauf der Jahre meist schlimmer. Selbst ein leiser Knall oder ein schwacher Donner können dann schon Panik auslösen. Schüsse, Sirenen oder laute LKW sind ebenfalls mögliche Auslöser einer Geräuschangst. Betroffene Hunde flüchten oft panisch in Keller, unter Betten oder hinter Sofas. Sie suchen Schallschutz. Sie hecheln, ihr Blick wird panisch, sie speicheln und zittern. Für eine erfolgreiche Therapie darf der Besitzer dem verängstigten Hund keine Aufmerksamkeit schenken, sondern sollte fröhlich gestimmt etwas anderes tun. So lernt der Hund, dass keine Gefahr droht. Der Rudelführer ist ja unbekümmert. In schlimmen Fällen hilft ein Hundetrainer. Zur Prophylaxe ist Training mit einer Geräusche-CD empfehlenswert.

Auch Angst vor bestimmten Menschen kommt ab und an vor – mit unterschiedlichen Auslösern. Ein Motorradhelm, ein Rollator, ein Gehstock – manchmal scheint es beinahe rätselhaft, was Hunde alles in Angst und Schrecken versetzen kann. Jene Tiere, die im Welpenalter wenig Menschenkontakt hatten, haben es am schwersten, denn nur die frühe Konfrontation und das Lernen, dass alle diese Gegenstände keine Bedrohung bedeuten, machen den Hund zu einem angstfreien Wesen. Es kann aber auch einen konkreten Vorfall in der Vergangenheit gegeben haben, der ein Trauma ausgelöst hat. So fürchten sich Hunde aus ausländischen Tötungsstationen überproportional häufig vor Menschen mit Handschuhen.

Eine für den Besitzer besonders lästige Angst bei Hunden ist jene vor dem Autofahren. Dies vor allem, wenn ein Tierarztbesuch oder eine Urlaubsreise anstehen. Hinter der Angst vorm Autofahren steckt in der Regel eine von drei Ursachen: Der Hund ist nicht in einer abwechslungsreichen Umwelt aufgewachsen, im Jugendalter nie Auto gefahren oder hat schlechte Erfahrungen gemacht. Dazu zählt ein Unfall ebenso wie Reiseübelkeit, die bei Hunden relativ häufig vorkommt. Betroffene Tiere pressen sich im Auto oft an die Tür, haben zurückgelegte Ohren und einen ängstlichen Blick. Seltener wehren sie sich massiv gegen das Einsteigen.

Hat ein Vierbeiner Angst vor Hunden, Menschen, Gewittern und Trennungen, reagiert er also auf fast alles in der Umgebung verängstigt, dann leidet er unter einer allgemeinen Umweltangst. Diese Tiere sind meist mehrfach traumatisiert oder in einem Zwinger ohne Umweltreize aufgewachsen – in den schlimmsten Fällen beides gleichzeitig. Sie brauchen sehr erfahrene Besitzer, um sich in einem Rudel sicher zu fühlen.

Schwere Angstprobleme behandeln
Jede Form dieser Ängste kann sich auch als Aggressivität äussern. Deshalb ist es oft schwierig, echte Aggressionen von Angst zu unterscheiden. Viele Vierbeiner sind also nicht entweder ängstlich oder aggressiv, sondern oft ängstlich und genau deswegen aggressiv – also beides zugleich.

Für Hunde mit schweren Angstproblemen empfiehlt es sich, einen erfahrenen und behutsamen Hundetrainer zu konsultieren oder in eine verhaltenstherapeutische Sprechstunde zu gehen. Die wichtigsten Dinge, die jeder Hundehalter selbst gegen die Angst seines Vierbeiners tun kann, sind ein geregelter Tagesablauf, körperliche und geistige Auslastung für das betroffene Tier und richtige Reaktionen, um Ängste durch Loben oder Streicheln nicht zusätzlich zu verstärken. Tanja Warter, Tierärztin