Wann aus dem Wolf ein Hund geworden ist, weiss keiner so genau. Einige Forscher glauben, dass die Domestizierung vor ungefähr 15 000 Jahren ihren Anfang nahm, andere sagen, sie habe vor über 100 000 Jahren begonnen. So oder so war der Hund das erste Haustier überhaupt des Menschen und hat eine enorme züchterische Entwicklung durchgemacht – wer heute Rassen wie den Chihuahua, den Greyhound oder den Mops anschaut, der erkennt in ihnen nicht mehr viel Ähnlichkeit zu ihrem Vorfahr.

Tatsächlich unterschätzten Hundehalter oft die Verwandtschaft ihres Schützlings zum Wolf, sagt Evelyn Streiff, die in Eptingen BL das Ausbildungszentrum Triple-S für Mensch und Hund betreibt. «Aber jeder Hund hat den Wolf noch in sich.» Dem Hund seien weder gänzlich neue Verhaltensweisen angezüchtet noch Verhaltensweisen des Wolfes ganz abgezüchtet worden. Die jahrtausendelange Zuchtarbeit führte einzig dazu, dass – je nach Rasse – bestimmte Eigenschaften verstärkt oder abgeschwächt wurden.

So schrumpfte die Hirngrösse des Hundes und seine Sinnesleistungen sind schwächer als jene des Wolfes. «Hängeohren führen dazu, dass einige Arten Reize aus der Umwelt etwas weniger wahrnehmen, ein Stummelschwanz oder ein extrem langes Fell hemmen die innerartliche Kommunikation», sagt Streiff. Die schwächeren Sinne machen Hunde weniger schreckhaft, so ertragen sie das Leben mit dem Menschen besser.

Den Jagdinstinkt kontrolliert ausleben
Geblieben seien aber die Instinkte: Sozial­instinkt, Territorialinstinkt, Jagdinstinkt oder Sexualinstinkt. «Haushunde haben deshalb im Wesentlichen die gleichen Bedürfnisse und Ansprüche wie die Wölfe.» Streiff ist überzeugt, dass jeder Hundehalter sich genauer Gedanken dazu machen sollte, wie er diese Bedürfnisse seines Begleiters erfüllen könne. Denn: «Nicht erfüllte Bedürfnisse erzeugen Frust.»

Am meisten Spass habe der Hund an solchen Übungen, wenn er sie zusammen mit seinem Menschen machen dürfe, sagt Streiff. Denn genau gleich wie der Wolf ist er ein äusserst soziales Tier, das in seinem Rudel Kontakte und Sicherheit sucht. Sein «Rudel», sind sein Halter und dessen Familie. Das heisse aber nicht, dass der Hundehalter mit übermässiger Härte den Rudelführer markieren müsse, sagt Streiff. «Wir sollten durch unser eigenes Vorbildverhalten und souveräne Führung dem Hund zeigen, wie er sich in unserer Gesellschaft verhalten darf. Wenn wir eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu ihm aufbauen, braucht es keine Härte, er wird sich sowieso an uns orientieren.» 

Leider werde der Hund oft nicht verstanden. «Keiner versteht seine Kommunikation, zumal diese ja in vielen Hundeschulen auch nicht gelehrt wird», sagt Streiff. Wenn ein Hund knurre etwa, habe er zuvor schon viele Signale gesendet, die keiner wahrgenommen habe. Erst wenn er durch die Laute auf sein Problem aufmerksam mache, reagierten die Halter. «Und um ein erwünschtes Verhalten zu bestätigen, gibt man ihm Leckerchen und hat keine Ahnung, dass man sich dadurch einfach eine ‹Leistung› erkauft.»

Nur eine Mahlzeit pro Tag
Auch bei der Ernährung sollten Halter laut Streiff im Hinterkopf behalten, dass der Hund vom Wolf abstammt. «Wölfe würden nicht zwei oder drei Mal am Tag kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen – sie fressen nach einer erfolgreichen Jagd grosse Mengen aufs Mal und dann lange nichts mehr.» Deshalb empfehle sie, Hunde einmal am Tag zu füttern, nicht häufiger. Sogar Fastentage, um dem wölfischen Fressverhalten besonders nahe zu kommen, könnten für manche Rassen sinnvoll sein. 

Zwar haben Hunde im Gegensatz zum Wolf Enzyme zum Verdauen von Stärke. Nahrungsbestandteile also, die in Form von Getreide oft im Trockenfutter enthalten sind. «Aber dass Hunde Stärke verdauen können, heisst nicht automatisch, dass es gut für sie ist», sagt Streiff. «Wir können ja auch weis­sen Zucker verdauen, aber er ist trotzdem ungesund.» Trotzdem müsse es nicht unbedingt «Wolfsnahrung» aus Frischfleisch und Knochen sein. Ein qualitativ gutes Trockenfutter ohne künstliche Zusatzstoffe sei für die meisten Hunde kein Problem.

Ganz wichtig ist laut Streiff, den Hund als Individuum anzusehen. «Man kann nicht jeden Hund pauschal mit einem Wolf vergleichen – und nur weil jemand viel über Wölfe weiss, heisst das noch nicht, dass er seinen Hund gut kennt.»