Es treffen sich zwei Hunde. Da fragt der eine: «Wie heisst du?» Der andere antwortet: «Ich weiss nicht genau: Nein oder Pfui.» Natürlich ist dieser Witz, der inner- und ausserhalb der Hundeszene erzählt wird, nicht ganz ernst gemeint. Doch wirklich weit von der Realität entfernt ist er leider auch nicht. Denn «Nein», «Pfui» oder «Aus» werden von vielen Hundebesitzern unterwegs und zu Hause geradezu inflationär benutzt – zum Beispiel, wenn der Hund einen Artgenossen begrüssen, eine Herde Schafe beobachten, einer Duftspur folgen oder mit dem Quietschtier zum Spiel auffordern will.

Keine Frage: Hunde brauchen Grenzen. Sie sollten lernen, dass Frauchens Handtasche kein Kauknochen ist, sie das Steak auf ihrem Teller wirklich selber essen will und Radfahrer keine potenziellen Beutetiere sind. Doch ständige Verbote verderben langfristig nicht nur allen Beteiligten den Spass am Zusammenleben. Mit dem übermässigen Gebrauch der «Nein»-Sprache wird man zudem keinen zufriedenen, selbstbewussten Hund bekommen, der sich angemessen verhält und gerne folgt. Auch das schärfste «Nein» bringt abhängig von Temperament, Erziehung und Situation oft nur wenig. Wenn vor dem ­Beagle ein Hase aus dem Gebüsch springt, verhallt es vermutlich ungehört. Einige Hunde ignorieren das Kommando auch in Situationen mit weniger grosser Ablenkung.

Aus Frust kann Aggression entstehen
Andere Hunde wiederum würden schon gerne gehorchen, wissen aber nicht genau wie. Am Tonfall oder der Lautstärke erkennen sie zwar, dass Herrchen ungehalten darüber ist, dass sie dem Postboten übers Gesicht schlecken, haben aber vielleicht nie gelernt, wie sie den netten Herrn mit Leckerchen in der Tasche denn sonst begrüssen sollen. Läuft es richtig schlecht, interpretiert der Vierbeiner das Schimpfen so, dass sein Besitzer selber ganz aufgeregt ist, den Postboten also vermutlich gefährlich findet.

Und dann gibt es auch noch Hunde, die beim «Nein» fast in sich zusammenfallen und zum Beispiel in ihrem Körbchen verschwinden. «Solche Hunde wirken auf den ersten Blick toll erzogen. Vielleicht wagen sie aber auch nicht mehr, mit ihrem Menschen zu kommunizieren und eigene Entscheidungen zu treffen. Das ist keine gute Grundlage für eine Beziehung», sagt Nicole Fröhlich. Die Hundetrainerin leitet seit 1998 «NF footstep» in Maienfeld GR, bietet Alltagscoaching für Mensch und Hund, Seminare und Ferienwochen an und bildet auch Trainer aus. «Wird der Frust zu gross, weil der Hund sich ständig überhört oder unterdrückt fühlt, kann es zu unguten und gefährlichen Situationen kommen. Denn aus Frustration kann leicht auch aggressives Verhalten entstehen.»

Fröhlich plädiert dafür, das «Nein» und ähnliche Wörter nur sehr sparsam  einzusetzen und auch grundsätzlich weniger Kommandos in der Hundeerziehung zu nutzen. «Wir orientieren uns mit unseren Trainingsmethoden vor allem an gut sozialisierten Hundemüttern und frei lebenden Strassenhunden», sagt Fröhlich. Dort finde man kein aggressives Dauerknurren – in der menschlichen Sprache «Nein!», «Pfui!», «Aus!» –, aber auch keine ständige positive Bestärkung. Jeder Hund habe in der Gruppe seinen Platz, bringe seine Stärken ein und handle im Rahmen der Gruppenregeln eigenverantwortlich. «Wir unterschätzen oft, wie hoch entwickelt die Sozial- und Selbstkompetenz der Hunde ist und wie selbstständig sie mitdenken und mitarbeiten, wenn wir sie denn nur lassen», sagt Fröhlich.

Kluges Management
Natürlich bedeutet das nicht, dass man den Hund einfach mal loslassen und darauf hoffen sollte, dass er schon selber rechtzeitig lernt, dass er Autos besser aus dem Weg geht. Bis der Hund so weit ist, dass er in allen Lebenslagen souverän reagieren kann, braucht er zu seiner und zur allgemeinen Sicherheit gewisse Grenzen. Und diese sollten besser nicht mit Schimpfen, sondern durch kluges Management gesetzt werden. So wird ein leidenschaftlicher Jäger im Wald vorsorglich angeleint, ein Hund, der mittags immer Schüler am Gartenzaun an­kläfft, zur besagten Tageszeit einfach ins Haus geholt. Und wenn der Junghund gerade im Zahnwechsel ist, räumt man die Schuhe in den Schrank und bietet ihm Alternativen an.

«Der beste Weg ist, erst kein Fehlverhalten entstehen zu lassen», sagt Fröhlich. So habe ihre Kollegin deren jungen Labrador bei Besuchern immer zunächst an der Leine behalten. «War etwas Ruhe eingekehrt, sass der Besuch, durfte der Kleine guten Tag sagen. Statt ihn dann freizulassen und zuzuwarten, dass er die Leute am Tisch bedrängte oder beim Essen zu betteln begann, hat sie ihn an der Leine behalten.» Der Labrador sei schnell ruhig geworden und habe sich hingelegt. Sie hätten ihm weder Aufmerksamkeit geschenkt noch ihn fürs Hinlegen gelobt oder gar belohnt. «Belohnungen fördern oft die Aufregung. Zudem besteht die Gefahr, dass der Hund denkt, er müsse sich erst aufregen, dann hinlegen, um belohnt zu werden. Wir möchten weder eine Erwartungshaltung schüren noch den Hund aus seiner Ruhe herausholen, um ihn zu bestätigen», erklärt Fröhlich. Nach kurzer Zeit wurde die Leine überflüssig. Der Vierbeiner begrüsste den Besuch ruhig und legte sich danach entspannt auf seine Decke.

Auf die Signale des Hundes achten
Überhaupt kann die Leine eine gute Unterstützung sein. Vorausgesetzt, der Mensch achtet darauf und respektiert, was sein Hund ihm sagen will. Wenn junge Hunde beim Spaziergang einen Artgenossen sehen, werden sie in der Regel langsamer, gehen einen kleinen Bogen, bleiben vielleicht stehen und zeigen andere natürliche Kommunikations­signale. «Wir sollten das bestärken, indem wir auch verlangsamen, ebenfalls einen Bogen gehen und dem Hund die Zeit geben, die Begegnung mit den ihm angeborenen Verhaltensweisen zu meistern», rät Fröhlich.

Die Realität sehe leider anders aus. Der Mensch überhöre das, was der Hund ihm mitzuteilen versucht, gehe im gleichen Tempo weiter frontal, mit Spannung auf den anderen Hund zu oder ziehe ihn gar hinter sich her. Das kann zu Missverständnissen und Konflikten zwischen den Tieren führen. Springt einer der Hunde dann in die Leine oder stürmt vorwärts, wird er vom Herrchen oft mit «Nein» oder «Pfui» korrigiert oder gar zurückgerissen. Dabei tut der Hund nur, was ihm beigebracht wurde. Zudem lernt er so, dass sein Besitzer nicht auf seine Signale achtet, wird künftig weniger kommunizieren sowie das Vertrauen in seinen Menschen etwas verlieren. «Hunde brauchen einen guten Rahmen und Zeit, um eigene Lösungen zu finden», sagt Fröhlich. «Dies lohnt sich, denn so erziehen wir ‹Freidenker›, die sich gut in unserem menschlichen Alltag zurechtfinden und gehorsam sind, weil sie sich bei und mit uns wohlfühlen und nicht, weil sie manipuliert wurden oder mit ‹Nein!› oder ‹Pfui!› durchs Leben gehen müssen.»