Es kommt nicht auf die Dauer des Spaziergangs an, sondern auf die Qualität», sagt Julia Osterwalder. Die 70-Jährige trifft man oft auf der Zürcher Allmend, unterwegs mit ihren drei Hunden: U’Cjaro, ein stolzer Afghane von zehn Jahren, Heaven, eine verspielte dreijährige Bolonka-Hündin, und die spanische Strassenhündin Baila, mit elf Jahren die Älteste im Bunde.

Drei völlig unterschiedliche Hunde hat sie, in Rasse, Alter, Charakter und Biografie, und genau das gelte es zu berücksichtigen. Für sie gebe es keine Faustregeln. Es zähle die Verfassung des Tieres – und seine Vorlieben. Nicht die Stunden, die man laufe, seien wichtig, sondern wie. Sicher nicht immer die gleiche Strecke. Auch nicht immer den gleichen Weg auf dem Asphalt im Quartier. «Hunde brauchen Abwechslung wie wir Menschen auch», ist Osterwalder überzeugt. Das sieht auch eine Tierärztin so. Im ersten Moment sagt Ursula Iljazi zwar: «Zwei Stunden am Tag, das ist das Minimum.» Aber sie räumt gleich ein, dass es nicht allein um die körperliche Bewegung gehe. Die Tiere brauchen Abwechslung. Laufen, flanieren, Feld, Wald, Wiese. Und es komme darauf an, wie alt das Tier sei.

Auch der Geist will bewegt sein
Es geht also auch Iljazi vor allem um die Qualität. Wer jeden Tag den gleichen Spaziergang mache, mit der Freundin plaudernd oder – noch schlimmer – ständig am Handy, handle unfair dem Tier gegenüber. «Das ist nicht klug, denn der Hund ist so geistig zu wenig ausgelastet und gehorcht auch weniger.» Dann nütze es auch nichts, wenn man zwei Stunden unterwegs sei. Der Spazierweg wird zu seinem eigenen Garten, zu seinem Territorium. Hier passiert nichts, was Besitzer und Hund zusammenschweissen könnte, der Hund verliert das Interesse und büxt dann gerne mal aus.

Natürlich könne man zwischendurch auch plaudern, die grosse Aufmerksamkeit aber gehöre dem Hund, hält Iljazi fest. Man kann Spiele einbauen, Dinge verstecken, eine Runde joggen, Kunststücke machen, Unterordnung üben, den Hund mit anderen Hunden spielen lassen oder nach den regulären Kursen auch andere Weiterbildungsmöglichkeiten besuchen, zum Beispiel Mantrailing (Personensuche). Eines aber steht für die Tierärztin zuvorderst: «Nur immer an der Leine laufen, das ist eine Vergewaltigung des Hundes», das sei kein Hundeleben. Wer keine Möglichkeit habe, den Hund frei laufen zu lassen, wer ihm nur seinen Rhythmus aufzwinge, der solle sich besser einen Elektrohund zulegen, sagt die Tierärztin.

Die SKN-Instruktorin und Tiertherapeutin Petra Weibel ist aus diesem Grund umgezogen, als in ihrem Kanton Leinenzwang eingeführt wurde. Auch ihr ist wichtig, dass ihre Hunde sich frei bewegen können. Die Frage sei nicht die Länge des Spaziergangs, sondern, was während dieser Zeit passiere. Und es sei von Hund zu Hund verschieden, sagt sie. «Es kommt darauf an, wo der Hund in seinem Lebensrhythmus steht. Er steht im Mittelpunkt, mit seinem Alter, seiner Gesundheit, mit seiner Verfassung.»

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Julia Osterwalder verlässt mit ihren Hunden öfters mal die
eingetretenen Pfade, legt «Rudelsitzungen» oder Übungen ein, um
den täglichen Spaziergang spannender zu gestalten.
Bild: Charlotte Heer Grau

Im Stechschritt unterwegs sein, flanieren, Velo fahren, es hat Platz für alles, finden beide Fachfrauen. Und ja, immer wieder stehen bleiben und dem Hund sein eigenes Tempo lassen, schauen, was ihn interessiert. Zu Hause hat man dann einen ausgeglichenen Hund. Wenn er aber immer noch aufgedreht ist, dann war es vielleicht zu wenig, oder auch zu viel. Mit einem entsprechenden Spiel kann man ihn noch einmal beschäftigen oder beruhigen: «Wir müssen versuchen, zu verstehen, was der Hund für seine innere Ruhe braucht», sagen die Frauen. Es gebe heute viele sinnvolle Beschäftigungen für die Hunde.

Wenn einem die Fantasie ausgeht, gibt es mittlerweile viele gute Fachleute oder auch Internetportale, die man zurate ziehen kann. Oder man kann an einem Kurs teilnehmen, auch wenn die Hundeschule absolviert ist, Mantrailing, Agility oder eine Hundeplauschgruppe. Etwas, das beiden Spass macht. Ein grosses Anliegen ist den Fachfrauen auch, dass man sich nicht einen Hund für einen bestimmten Zweck zulege, das gehe oft schief. Stattdessen muss man bereit sein, sich auf das Tier einzustellen: «Hunde haben die Gabe, sich uns anzupassen, und versuchen, uns alles zu geben, was wir wollen. Dabei können sie sich auch überfordern.»

Eine Mischung, damit jeder zufrieden ist
Das ist ein Punkt, der auch Julia Osterwalder am Herzen liegt: «Man kann viel falsch machen, genau wie bei der Kindererziehung. Und oft sieht man es erst im Nachhinein, dann ist es viel schwieriger, das gutzumachen.» Wenn man den Hund mit Gewalt in eine Richtung zwängt, die ihm nicht liegt, dann überfordert man ihn. Der Afghane zum Beispiel werde oft als Renntier ausgewählt. U’Cjaro aber habe diese Ambitionen ganz und gar nicht: «Er ist ein Geniesser und hat nicht den Bewegungsdrang wie meine früheren Afghanen.» Osterwalder machte mit U’Cjaro Dogdancing, bis sie merkte, dass es ihm zu viel wurde. Was er heute gerne macht, ist im Stadtquartier flanieren: «Er schaut in jeden Laden rein und beobachtet die Menschen, schaut sie an, er läuft nicht an den Leuten vorbei. Diese Momente mit mir allein unterwegs, die schätzt U’Cjaro sehr, in der Beziehung ist er sehr speziell», sagt sie lachend. Der Bolonka-Hündin Heaven hingegen ist nichts zu viel. Sie arbeitet und lernt gerne. Osterwalder macht mit ihr Dogdancing und Agility, was mit der elfjährigen Baila nicht möglich ist. Sie mag keine Turbulenzen.

Der tägliche Spaziergang besteht darum aus einem Mix, der allen liegt: Laufen, an den Fluss oder die Wiesen hoch. Zwischendurch innehalten, schnüffeln lassen oder Geschicklichkeitsspiele machen, wie über Baumstämme balancieren, sich eine halbe Stunde hinsetzen und einfach sein, oft auch zusammen mit anderen Hunden und ihren Leuten, «Rudelsitzungen», nennt das Julia Osterwalder. «Rudelsitzungen»? Eine schöne Idee finden das Tierärztin Ursula Iljazi und Hundetrainerin Petra Weibel. Letztere fügt lachend hinzu: «Und dann teilt man sich einen Cervelat und geht ganz erfüllt nach Hause.»