Kaum hat der junge Hund die tapsige Welpenzeit hinter sich gebracht und beherrscht die ersten Grundkommandos, so vergisst er sie auch schon wieder. Plötzlich – diese Erfahrung machen fast alle Hundebesitzer – funktioniert fast gar nichts mehr. Derselbe Hund, der Herrchen oder Frauchen davor kaum von der Seite gewichen ist und beim Training mit Eifer bei der Sache war, rennt plötzlich im Wald davon, schaltet auf dem Hundeplatz auf Durchzug oder verbellt Radfahrer.

So anstrengend diese Veränderungen auch sein mögen: Sie sind normal und wichtig. Denn der vermeintliche Ungehorsam ist nur ein Symptom für die «Umbauarbeiten» im Gehirn des Hundes, die aus dem Youngster schliesslich einen gefestigten, erwachsenen Hund machen. «Jeder Hund kommt in die Pubertät, wobei dieser Begriff oftmals nicht ganz korrekt gebraucht wird. Die Pubertät bezeichnet nämlich eigentlich nur die Phase der körperlichen Reifung, bis der Hund abhängig von der Rasse mit sechs bis zwölf Monaten die Geschlechtsreife erlangt», sagt Marlen Maurer-Brandenberg, die sich mit ihrer 2009 gegründeten TSCHiGi-Hundeschule bei Zürich vor allem auf verhaltensauffällige sowie kleine Hunde spezialisiert hat.

Hormone fordern Hund und Halter
«Wirklich anstrengend ist aber in der Regel erst die anschliessende Adoleszenz, die Phase der seelischen und emotionalen Reifung», sagt Maurer-Brandenberg. Diese dauert je nach Rasse und individueller Veranlagung vom sechsten bis zum 24. Lebensmonat, bei grossen Hunden wie Doggen aber auch schon mal bis zum dritten oder gar vierten Lebensjahr. Bei der Arbeit der 37-jährigen Hunde- und Verhaltenstrainerin sind die «Flegeljahre» ein grosses Thema. «Es ist wichtig, dass Besitzer von Junghunden wissen, was auf sie zukommt», sagt sie. «Ansonsten probieren viele aus Frust, Unwissenheit und nicht zuletzt schierer Verzweiflung härtere Trainingsmethoden aus oder geben den Hund sogar ab.» Man müsse verinnerlichen, dass Junghunde sich nicht vorsätzlich daneben benehmen. Sie seien von den Veränderungen im Hormonhaushalt und Nervensystem selber überfordert.

Der pubertäre Anstieg der Geschlechtshormone, also von Testestoron beim Rüden sowie Östrogen und Progesteron bei der Hündin, löst auch diverse Veränderungen im Körper aus. Die gravierenden finden im Gehirn statt, das in dieser Phase einer Grossbaustelle gleicht. Zahlreiche Synapsen, das sind Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen, werden abgebaut, während die einzelnen Nervenzellen grösser werden. Die Nervenfasern werden verstärkt mit Myelin ummantelt. Diese Biomembran verhindert «Kurzschlüsse» im Kopf und sorgt für eine bessere und schnellere Reizweiterleitung.

Kluges Management statt Zwang
Langfristig führen die Umbauarbeiten zu vermehrter Leistungsfähigkeit und reiferem Verhalten. Kurzfristig kann aber durchaus der Eindruck entstehen, dass das Hirn vorübergehend ausser Betrieb ist. «Aus neurobiologischer Sicht entsteht in der Pubertät zeitweilig ein Frontalhirndefizit mit all seinen fatalen Folgen», erklären Tierärztin Sophie Strodtbeck und Hundetrainer Uwe Borchert in ihrem Ratgeber «Hilfe, mein Hund ist in der Pubertät!» Da das Frontalhirn der Teil des Gehirns ist, der Impulse kontrolliert, Handlungen plant und die Folgen von Handlungen abschätzt, ist klar, dass der pubertierende Hund all das vorübergehend nicht wirklich leisten kann.

Wie ein Hund auf den Hormoncocktail und die Neuorganisation des Gehirns reagiert, ist individuell. Zu den typischen Symptomen gehören schlechte Konzentrationsfähigkeit, die Anfälligkeit für Ablenkungen, leichte Erregbarkeit und Trennungsangst. Viele Vierbeiner entdecken jetzt ihren angeborenen Trieb zum Jagen oder Hüten. Artgerechte Haltung, stabile Strukturen und sinnvolles Training können die Pubertät nicht verhindern, die Auswirkungen aber durchaus abmildern. «In dieser Phase ist vom Besitzer vor allem Gelassenheit gefragt», sagt Maurer-Brandenberg. Natürlich könne man den Hund nicht einfach machen lassen, da sich so unerwünschte Verhaltensmuster etablieren. «Aber manchmal ist es sinnvoller, eine Situation durch kluges Management zu entschärfen, statt den Hund zum Gehorsam zwingen zu wollen.»

In der Praxis kann das zum Beispiel bedeuten, dass man einen Hasenjäger im Wald oder auf dem Feld vorübergehend besser an die Schlepp­leine nimmt. So verhindert man eine unschöne und gefährliche Situation sowie einen frustrierenden Teufelskreis. Denn wenn ein Hund das Weite sucht und auf Zuruf nicht mehr reagiert, wird der Besitzer nach einer Weile häufig ärgerlich, ändert Körperhaltung und Stimmlage und macht das Zurückkommen somit erst recht unattraktiv. Und ist der Hund nach seinem Ausflug, der für ihn ja durchaus befriedigend war, dann endlich wieder da, wird er eventuell auch noch bestraft, wodurch er höchstens lernt, beim nächsten Mal besser länger wegzubleiben.

Junge Hunde strotzen nur so vor Energie und verleiten den Besitzer oft dazu, sie körperlich oder mental überfordern. Das sollte man schon deshalb vermeiden, weil der Stresshormonspiegel in der Pubertät sowieso  hoch ist. Ein Umstand, der auch erklärt, warum manche Hunde plötzlich Angst in Situationen zeigen, die sie zuvor noch gelassen gemeistert haben. Spaziergänge, bei denen der Hund vielen Umweltreizen ausgesetzt ist, also zum Beispiel in der Stadt, seien mental enorm anstrengend, sagt Maurer-Brandenberg. Ruhephasen seien deshalb ebenso wichtig wie ausreichende Bewegung und Sozialkontakt zu Artgenossen. Ruhige Spaziergänge und Nasenarbeit tragen zur Entspannung bei. «Und einem völlig überdrehten Hund sollte man in der Regel mehr Pausen mit Kauknochen gönnen, statt ihn zum Agilitykurs anzumelden.»

Nicht jeder arbeitet für Trockenfutter
Häufig wechseln die Besitzer eines pubertierenden Hundes die Trainingsmethode. Da Leckerchen und Streicheln offenbar nicht richtig funktionieren, wird dann manches Mal zu Bestrafung oder Würgehalsband gegriffen. Das schädigt das Vertrauensverhältnis zwischen Zwei- und Vierbeiner und raubt dem Hund Selbstbewusstsein sowie die Freude am Training. «Stattdessen sollte man den Hund weiter positiv bestärken und gegebenenfalls die Belohnung anpassen», rät die Hundetrainerin. Nicht jeder Hund arbeitet für Trockenfutter, da muss man manchmal auf besondere Leckerbissen umsteigen oder das Tier mit Spielen oder Streicheleinheiten belohnen. Maurer-Brandenberg rät, die Trainingseinheiten möglichst kurz zu halten, damit der Hund die Lust nicht verliert.

Wer durchhält, wird belohnt. Denn  irgendwann ist der Ausnahmezustand vorüber. Und aus einem Jungspund, der durch die wilden Monate mit Geduld und liebevoller Konsequenz geführt wurde, wird ein ausgeglichener, zufriedener und gut erzogener Gefährte.

Literaturtipp:
Sophie Strodtbeck/Uwe Borchert: «Hilfe, mein Hund ist in der Pubertät!»
gebunden, 224 Seiten
Gräfe und Unzer Verlag
ISBN 3833834447
ca. Fr. 29.–