Kaninchen sind Pflanzenfresser. Als solche suchen sie sich diejenigen Pflanzen und Pflanzenteile zusammen, die beim aktuellen Angebot ihrem Verdauungsvermögen und Nährstoffbedarf am besten entsprechen. Bei Hauskaninchen entfällt diese freie Wahl. Die Auswahl an Pflanzen, ja an Futter allgemein, und somit die Nährstoffversorgung ist auf das beschränkt, was durch den Halter gereicht wird. Und auf das, was angesichts der Jahreszeit gerade verfügbar ist. Bei einer ausschliesslichen oder überwiegenden Ernährung mit Grünfutter können also Hauskaninchen kaum je das Wachstum oder die Fortpflanzungsrate von Wildkaninchen erreichen. Dies, weil die Auswahl an Futtermöglichkeiten eingeschränkt und dadurch die Nährstoffversorgung nicht optimal ist. 

Nicht zuletzt deshalb wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Alleinfuttermischungen populär, die heute nicht mehr aus der Zucht und Haltung von Kaninchen wegzudenken sind. Dieses Futter, kombiniert mit Heu und Wasser, ermöglicht eine bedürfnisgerechte Fütterung von Kaninchen jeglichen Alters – und dies unabhängig von der Vegetationsperiode.

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Wildkaninchen-Zibben sind ab dreieinhalb Monaten das erste Mal trächtig und können bei ganzjähriger Vegetation bis zu acht Würfe pro Jahr setzen. Bei Hauskaninchen, die das bereitgestellte Futter in beliebiger Menge aufnehmen können, dauert es fast doppelt so lange bis zum Erreichen der Zuchtreife. Selbst bei einer Fütterung, bestehend aus Heu, Wurzelfrüchten und rationiertem Kraftfutter, wird die Zuchtreife ähnlich spät erreicht. Das bedeutet im Prinzip nichts anderes, als dass eine Unterernährung vorliegt.

Es gibt mehrere Gründe für eine solche späte Zuchtreife und somit für eine mögliche Unterernährung. Wildkaninchen mit hohem Energiebedarf suchen sich die Pflanzen mit viel Eiweiss und wenig Rohfasern heraus, die überdies gut verdaulich sind. Grundsätzlich ist es für Kaninchen wichtig, die Nahrung zu zerkleinern. Nur Nahrungsteile kleiner als 0,3 Millimeter gelangen in den Blinddarm, wo Rohfasern vorwiegend verdaut werden. Grössere Nahrungsteile mit unverdauter Rohfaser werden über den Hartkot ausgeschieden. Die Futterverwertung ist also umso besser, je kleiner die Futterteile sind. 

«Zweimalige» Aufnahme der Nahrung
Kaninchen bevorzugen blätterreiche Pflanzen wie Klee und Kräuter. Gräser werden erst dann gefressen, wenn Klee und Kräuter abgeweidet sind, denn Letztere sind besonders schmackhaft und lassen sich auch gut zerkleinern. Dadurch kann mehr Trockenmasse aufgenommen und verdaut werden. Je mehr Zeit für die Zerkleinerung und Aufnahme von Futter benötigt wird, desto schlechter wird es verdaut. 

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Der Weichkot aus dem Blinddarm wird vom After direkt aufgenommen und erneut verdaut. Wegen dieser zweimaligen Aufnahme der Nahrung und der damit verbundenen Auslastung des Verdauungssystems bleibt weniger Zeit für die eigentliche Aufnahme von «neuer» Nahrung, nämlich nur rund fünf Stunden. Das ist etwa die Zeit, die eine säugende Riesenkaninchen-Zibbe braucht, um 500 Gramm Alleinfutter zu fressen. Das ist ungefähr die Menge, die sie braucht. Stünde nur Nahrung mit weniger Energie zur Verfügung bräuchte sie deutlich länger, um ihren Energiebedarf zu decken, beziehungsweise sie würde in den fünf Stunden nie genügend Futter aufnehmen können. Deswegen können grosse Kaninchen (Mittel- und Grossrassen, ja sogar Kleinrassen) mit Heu und Gras nur ihren Grundbedarf decken; an die Aufzucht von Jungtieren ist so kaum zu denken.

Dies deckt sich mit der Erkenntnis, dass ausgewachsene Wildkaninchen in Lebensräumen mit ganzjähriger Vegetation höchstens zwei Kilo wiegen, in Lebensräumen mit jahreszeitlich begrenzter Vegetation kann das Gewicht bis auf 0,8 Kilo sinken. Folglich können sich nur Zwergkaninchen allein mit Grünfutter ernähren und gleichzeitig den Bedürfnissen von Wachstum und Fortpflanzung gerecht werden. Und dies auch nur, sofern die Möglichkeit besteht, die energiereichen und leichtverdaulichen Pflanzen zu wählen.

Energiebedarf deckenDie Tierschutzverordnung sagt zum Thema Fütterung: «Fütterung und Pflege sind angemessen, wenn sie nach dem Stand der Erfahrung und den Erkenntnissen der Physiologie, Verhaltenskunde und Hygiene den Bedürfnissen der Tiere entsprechen.» Und weiter heisst es: «Tiere sind regelmässig und ausreichend mit geeignetem Futter und mit Wasser zu versorgen.» Konkret bedeutet das, dass die Zusammensetzung des Futters der Physiologie des Kaninchens ent­sprechen (zum Beispiel Anteile von Rohfaser und Eiweiss) muss. Ob nun einheimisches Getreide verfüttert wird oder importiertes Soja, spielt vor dem Gesetz keine Rolle. Wichtiger ist es, die Futtermenge dem Energiebedarf anzupassen, also an Phasen wie Trächtigkeit, Säugen, Wachstum oder Zuchtruhe sowie der Witterung.
Als Kontrolle eignet sich, Tiere regel­mäs­sig zu wiegen und so Gewichtsverlust oder übermässiger Zunahme vorzubeugen. So lohnt es sich, Zibben nach dem Werfen und vier Wochen später zu wiegen. Gewichtsverluste weisen auf Unterernährung während der Säugeperiode hin. 

Darmflora ab fünftem Tag entwickelt 
Jungtierverluste gab es schon immer und sind bei Haus- und Wildkaninchen auf Darmkokzidiose zurückzuführen, beim Hauskaninchen zusätzlich auf Bakterien wie E. coli, Clostridien oder Salmonellen. Gründe dafür sind oft eine Haltung, die nicht dem Verhalten des Wildkaninchens entspricht. So dauert die Säugeperiode in freier Wildbahn nur etwa drei Wochen und die Jungtiere sind abgesehen vom Säugen, das täglich nur wenige Minuten dauert, von der Mutter getrennt. 

Das steht im krassen Gegensatz zur in der Rassenzucht heute üblichen gemeinsamen Unterbringungen in Doppelställen und dem Absetzalter von acht Wochen bis vier Monaten und mehr. So können sich die Jungtiere mit Erregern infizieren, die von der Mutter ausgeschieden werden. Und sie gelangen an das Futter der Mutter, das eigentlich nicht ihren Bedürfnissen entspricht. Die Verdauung von Jungtieren ist erst im Alter von sechs bis acht Wochen fertig entwickelt, bis dahin sollten sie nur Futter mit wenig Stärke (maximal 10 Prozent) und viel Rohfaser (mindestens 16 Prozent) verabreicht bekommen. 

Die Darmflora entwickelt sich ab dem fünften Lebenstag mit der Aufnahme von Nesteinstreu, beim Wildkaninchen sind das Heu, angewelktes Gras oder Laub. Besteht die Einstreu dagegen nur aus Stroh und Holzspänen, verzögert sich die Entwicklung der Darmflora. Züchter tun also gut daran, den tragenden Zibben viel Heu oder gar angewelktes Gras für den Nestbau zur Verfügung zu stellen und regelmässig wenig Heu über das Nest mit den Jungtieren zu streuen. Das Verständnis der natürlichen Lebensweise von Kaninchen, einschliesslich Fütterung und Fortpflanzung, hilft, die Tiere artgerecht zu halten. Einfache Überlegungen zu Einstreu, Fütterung und Grössenverhältnissen ermöglichen, dass sich Kaninchen ihrem natürlichen Potenzial entsprechend entwickeln können.