Wer das Verhalten der Kaninchen studiert, muss kein Meister der Beobachtung sein. Sie oder er stellt schnell einmal fest, dass Kaninchen keine Hasen sind und Hasen sich klar von Kaninchen unterscheiden. Zum Beispiel kommen Kaninchen blind zur Welt. Hasen sind eher Einzelgänger. Vom Verhalten der einen kann nicht auf das Verhalten der anderen geschlossen werden.

Die Haltung der Kaninchen muss auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sein. Entscheidend ist, dass die Tiere ihre biologischen Funktionen ausüben können. Und dass sie nicht in Stresssituationen kommen. Heute werden Stallungen intensiv unter die Lupe genommen; man will wissen, ob die Tiere ihr arteigenes Verhalten ausüben und zeigen können.Die Ausgestaltung des Stalles beginnt mit der Bodenbeschaffenheit, aber auch die Tier­ernährung und selbst die klimatischen Verhältnisse spielen eine wichtige Rolle. Mit der Klima-Veränderung wird hier ein Faktor wohl in Zukunft noch stärker gewichtet werden müssen, denn wie können sich die Tiere in einem Temperaturbereich, der weit über dem Optimum des Organismus eines Tieres liegt, wohlfühlen?

Haltungssysteme können neuerdings nach Konzepten mit sogenannten Funktionskreisen beurteilt werden. Um treffende Aussagen zu machen, muss man die Tiere täglich aufmerksam beobachten.

Erholung und Schlaf:
Kaninchen haben über den ganzen Tag verteilt Fress- und Beschäftigungsaktivitäten, mit einem Höhepunkt zu den Fütterungszeiten. Mittags, vor allem bei hohen Tagestemperaturen, sind Ruhephasen angezeigt, aber auch in der Nacht. Die Kaninchen haben einen täglich wiederkehrenden Bewegungsablauf, den Kaninchenhalter mehrfach schon beobachtet haben und deshalb schnell feststellen, wenn etwas nicht stimmt. Dann stellt sich die Frage: Liegt es an der Bodenfläche respektive Einrichtung des Stalles – oder wodurch sind bestimmte Körperfunktionen beeinträchtigt?

Aktivität und Bewegung:
Als Fluchttiere sind Kaninchen sehr bewegungsaktive Haustiere. Sie hoppeln gern und schlagen Haken. Eine gut durchdachte Stallaufteilung sowie ein korrektes Anbringen der Heuraufen, Futtergeschirre und Tränkenippel erlaubt den Tieren, den Stall selbst auch entsprechend zu strukturieren. Einmal festgelegte Versäuberungsplätze sind vom Tierhalter zu respektieren. Die Verhaltensindikatoren für das Aktivitäts- und Bewegungsverhalten sind neben dem zaghaften Gehen (bei den ersten Schritten der Jungtiere ebenfalls feststellbar) das Hoppeln (mehr oder weniger schnell) und das fluchtartige Rennen. Hier ist darauf zu achten, dass die Bodenoberflächen nicht feucht und rutschig sind.

Sexual- und Fortpflanzungsverhalten:
Die Fortpflanzungsbereitschaft der Zuchttiere gehört in eine erfolgreiche Tierhaltung. Dies erfordert von den weiblichen und männlichen Tieren eine gewisse körperliche Fitness. Die Hauptindikatoren für den Funktionskreis Reproduktion sind das Fortpflanzungs-, Nestbau-, Geburts- und Säugeverhalten.

Fressverhalten:
Eine unzureichende räumliche Strukturierung, aber auch Beschäftigungsarmut zeigen sich in Verhaltensabweichungen. Kaninchen sind vom Wesen her interessiert an allen möglichen natürlichen Materialien. Diese dienen auch der zusätzlichen Rohfaseraufnahme. Um die Attraktivität der Beschäftigungsmaterialien hoch zu halten, gibt es Tierhalter, die regelmässig einen Wechsel vollziehen; Stroh sollte aber nie fehlen. Sind zu wenig Beschäftigungsmaterialien vorhanden, so zeigen sich diese an Manipulationen an Haltungseinrichtungen – insbesondere Beissen ins Gitter der Türen – oder anderen stereotypen Bewegungsmustern. Die Indikatoren im Ernährungsbereich sind eine ungestörte Wasser- und Futteraufnahme (insbesondere in Gruppen oder grossen Würfen), die Futterbearbeitung (ausreichendes Kauen) und die Nahrungssuche.

Sozialverhalten:
Rangordnungskämpfe sind Teil des natürlichen Verhaltensmusters bei Kaninchen. Klar haben stabile Gruppen Vorteile, da diese Art von harten, bis zu Verletzungen führenden Auseinandersetzungen, in der Regel nur bei der Gruppenzusammenstellung stattfindet. Ein wichtiger Indikator im Funktionskreis des Sozialverhaltens sind die Sozialstruktur und die Ausweich- und Rückzugsmöglichkeit. Haben Tiere Wunden, so zeigt das ein verstärktes Auftreten von Aggressionen, Rangkämpfen und Bissverletzungen an.

Fell und Haut:
Das Fell eines Kaninchens übernimmt mehrere Funktionen. Bei den Haustieren wird die Körperdecke als «Integumentum commune» bezeichnet – man versteht darunter den Schutz des Tieres gegen chemische oder thermische Einwirkungen. Die äussere Haut setzt sich aus verschiedenen Hautschichten zusammen: Die äusserste Haut wird als Epidermis (Oberhaut), die Dermis als die eigentliche Lederhaut und die Unterhaut als die Subcutis bezeichnet. Die Kaninchenhalter sollten die Haut unter dem in Fell regelmässig überprüfen. Werden Verletzungen festgestellt, so ist zu überprüfen, ob es sich dabei nur um Schwellungen, Narben oder offene, frische Wunden handelt. Wunden können mit einer Wundsalbe oder anderen Medikamenten behandelt werden. Ziel ist es, die Wunde so schnell und so gut wie möglich verheilen zu lassen und die Ursache dafür zu kennen, sodass nicht weitere Tiere sich verletzen können.

Komfort und Sauberkeit:
Kaninchen sind wie die meisten Tiere sehr sauber. Mit den Hinterbeinen erreichen sie die Körperteile zum Kratzen; selbst die Ohren sind für die Reinigung kein Problem. In diesem Zusammenhang des Komfortverhaltens werden auch oft die thermoneutralen Zonen erwähnt, bei welchen die Tiere selbst wählen können, wo sie sich aufhalten können. Für den Sommer mit hohen Temperaturen sind Abkühlungsvorrichtungen mehr und mehr in Erwägung zu ziehen, um positiv auf das Wohlbefinden einzuwirken und eine Überhitzung der Tiere zu vermeiden. Die Luftfeuchtigkeit im Bereich 60 bis 80 Prozent spielt dabei eine wichtige Rolle. Man weiss auch, dass hohe Staub- und Ammoniakkonzentrationen in den Ställen die Gesundheit (insbesondere das Atmungssystem) belasten und vermehrt zu Aggressionen führen. Der Liegeplatz darf nicht zum Kotplatz verkommen und umgekehrt. Wenn darauf geachtet wird, dass der Liegeplatz immer trocken ist, koten und harnen die Tiere auch weniger und dem Sauberkeitsgebot wird Rechnung getragen.

Verhaltensabweichungen
Abweichungen vom Normalverhalten werden in drei Kategorien unterteilt:

  • Ethopathien: Das ist ein Fehlverhalten, das anderen Artgenossen Schmerzen und Verletzungen zufügt. Als Ursachen werden neben fehlenden Umweltreizen auch genetische, also züchterische Effekte angegeben. Ebenso können nervenschädigende Parasiten für Ethopathien verantwortlich sein.
  • Stereotypien sind ständig wiederkehrende Bewegungsabläufe, die kein Ziel verfolgen; zum Beispiel Gitterbeissen.
  • Technopathien sind auf schlechte Haltung zurückzuführen, welche zu Beeinträchtigungen oder gar Verletzungen des Tieres führen können.