Wie klingt es, wenn ein Vogel zwitschert, eine Maus piepst oder ein Regentropfen auf die Erde fällt? Wer selber gut hört, der kann sich ein Leben in vollkommener Stille nicht oder nur schwer vorstellen. Und erst recht nicht bei seiner Katze. Tatsächlich ist die Gehörlosigkeit aber eine Behinderung, die bei Katzen recht häufig auftritt. Unter weissen Katzen mit blauen Augen ist sogar der Grossteil von Geburt an einseitig oder auf beiden Ohren taub.

Der Grund dafür ist eine Gen-Mutation, die sich Leuzismus nennt. Dabei fehlen der Katze die Melanozyten, also jene Zellen, die unter anderem für die Fellfarbe und die Pigmentierung der Augen verantwortlich sind. Ihr Fell ist also eigentlich nicht weiss, sondern farblos, die darunterliegende Haut rosa und die Augen scheinen durch die fehlende Färbung der Iris blau. Die Melanozyten spielen aber auch im Innenohr eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Hörvermögens. Sind zu wenige Pigmentzellen vorhanden oder fehlen sie ganz, ist das Gehör nicht voll funktionsfähig oder die Katze wird ganz taub geboren.

Anders liegt der Fall bei Albino-Katzen. Sie verfügen im Gegensatz zu den leuzistischen Katzen über Pigmentzellen, die allerdings nicht in der Lage sind, den Farbstoff Melanin zu bilden. Für das Hörvermögen spielt das keine Rolle: Albinos können in der Regel normal hören. Bei weissen Katzen mit pigmentierten Augen tritt Taubheit auch weniger häufig auf, aber immer noch deutlich öfter als bei farbigen Katzen.

Ursachen für erworbene Hörprobleme
Neben den angeborenen, genetisch bedingten Hörproblemen können Einschränkungen des Gehörs auch im Leben einer bis anhin normal hörenden Katze jederzeit auftreten. Mögliche Ursachen dafür sind Erkrankungen der Ohren, wie durch Milben, Pilze oder Bakterien verursachte Entzündungen. Auch Tumore oder Polypen im Gehörgang können zu einem vorübergehenden oder vollständigen Hörverlust führen. Ebenso Unfälle, wie zum Beispiel ein Knalltrauma. Jedes Anzeichen eines Hörverlusts muss umgehend von einem Tierarzt abgeklärt werden. Denn bei rechtzeitiger Behandlung einer Entzündung mit Medikamenten oder der operativen Entfernung eines Polypen kann die Hörfähigkeit in vielen Fällen wieder vollständig hergestellt werden.

Nicht behandelbar ist die altersbedingte Schwerhörigkeit, die auch bei Katzen häufig auftritt. Diese entwickelt sich ab einem Alter von circa zehn Jahren schleichend: Die feinen Gewebestrukturen in den Ohren werden nicht mehr so gut durchblutet, das Gehör lässt allmählich nach.

Bei neugeborenen Kätzchen öffnet sich der Gehörgang um den fünften Lebenstag. Trotzdem lässt sich meist nicht sofort feststellen, ob eines der Katzenwelpen mit einem Hörproblem geboren wurde. Taube Kätzchen ahmen das Verhalten ihrer Geschwister nach, sodass ihre Behinderung womöglich lange Zeit unentdeckt bleibt. Von blind geborenen Menschen weiss man, dass ihr Tast- und Hörvermögen besonders gut ausgeprägt ist, weil Teile ihres Hirns, die ursprünglich zum Sehen vorgesehen waren, diese Funktionen mitübernehmen. Eine solche Umverteilung der Aufgaben im Gehirn gibt es offenbar auch bei gehörlosen Katzen.

Wie erkennt man die Behinderung?
Kanadische Wissenschaftler stellten vor ein paar Jahren fest, dass taube Katzen besser sehen als ihre normal hörenden Artgenossen: Sie reagierten schneller auf Bewegungen und konnten leuchtende Dioden am Rande ihres Gesichtsfeldes besser wahrnehmen. Katzen, die taub geboren wurden oder schon eine Weile lang nichts mehr hören, ist die Behinderung oft kaum anzumerken. Allerdings gibt es ein paar untrügliche Zeichen dafür, dass eine Katze nichts mehr hört. Taube Katzen reagieren nicht auf laute Geräusche, etwa durch herunterfallende Gegenstände, und drehen ihre Ohren nicht in die Richtung, aus der der plötzliche Lärm kommt. Sie merken es nicht oder erschrecken sogar, wenn man sich ihnen von hinten oder während sie schlafen nähert. Zweifelsfrei feststellen lässt sich eine Gehörlosigkeit beim Tierarzt mittels eines Audiogramms, das die Hörempfindlich­keit testet.

Eine Katze, die von einem Tag auf den anderen nichts mehr hört, ist hingegen auffallend verwirrt und verunsichert. Ihre Reaktion ist dem Wesen entsprechend individuell: Die einen Katzen reagieren auf plötzlichen Hörverlust gereizt und sogar aggressiv, andere suchen verstärkt die Nähe zu ihren Besitzern oder ziehen sich vollkommen zurück. Doch dieses Verhalten dauert in der Regel nicht lange an. «Katzen sind sehr anpassungsfähig und gewöhnen sich erstaunlich schnell an eine Behinderung, auch an einen Verlust des Hörvermögens. Trotzdem stellen taube Katzen einige besondere Anforderungen an ihre Umgebung und an ihre Besitzer», sagt die Berner Katzentherapeutin Barbara Rutsch.

Rutsch ist Gründerin von Handicapcats.ch, einer Internet-Plattform zur Vermittlung von behinderten Katzen in der Schweiz sowie solchen, die positiv getestet sind auf Katzenleukämie oder Katzenaids. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass taube Katzen nur schwer ein neues Plätzchen finden, an dem alle relevanten Faktoren erfüllt sind. Denn der Halter einer hörbehinderten Katze muss in der Lage sein, für ihre Sicherheit zu sorgen und sich darum bemühen, dass sie nicht in eine Situation gerät, in der sie wegen des fehlenden Gehörs Schaden nehmen könnte. Während für Katzen, die von Geburt an nichts hören, Freigang in einer ruhigen, nicht zu stark befahrenen Umgebung möglich ist, ist dieser für Katzen mit erworbener Taubheit eher ein Risiko. Hier sollte über ein gesichertes Aussengehege nachgedacht werden.

Auch die Interaktion mit Artgenossen im Freien sowie die Integration einer tauben Katze in eine Gruppe gestalten sich unter Umständen schwierig. Da sie die Abwehr- und Drohlaute der anderen Katze nicht hört, kann es auf beiden Seiten zu Missverständnissen kommen. Versteht sich eine taube Katze jedoch gut mit den anderen Katzen in einem Haushalt, kann sie sich an ihnen orientieren und stark von dieser Gemeinschaft profitieren. «Im Allgemeinen ist die Haltung einer tauben Katze mit Artgenossen zu empfehlen», sagt Rutsch. Den Haltern rät sie ausserdem, einer tauben Katze genügend Aufmerksamkeit zu schenken: «Denn eine taube Katze lebt isolierter als eine hörende.» Dazu führt man am besten täglich zur gleichen Zeit ausgiebige Spielsequenzen und Streicheleinheiten ein.

Eigene Art der Kommunikation
Ausserdem muss sich der Besitzer der Behinderung seiner Katze stets bewusst sein und sich entsprechend verhalten. Gehörlose Katzen erschrecken sich sehr leicht, deswegen sollte sich der Mensch bemerkbar machen, wenn er sich ihnen nähert. Vibrationen durch feste Schritte auf dem Boden oder Luftzüge durch Klatschen oder andere Handbewegungen können die Tiere sehr wohl wahrnehmen. Da mit einer gehörlosen Katze nicht gesprochen werden kann, ist die Interaktion eingeschränkt. «Katze und Mensch müssen sich um eine neue, eigene Art der Kommunikation bemühen», sagt Rutsch. Das können unterschiedliche Handzeichen sein oder eine besondere Form der Verständigung über Blicke und Augenkontakt.

Geduld und Verständnis – und nicht unbedingt eine ringhörige Wohnung – sind auch deshalb gefragt, weil taube Katzen oft die Tendenz zu sehr lautem Miauen und Mauzen haben. Dies rührt daher, dass sie sich selber nicht hören können und die Vibrationen ihrer eigenen Stimme erst ab einer gewissen Lautstärke wahrnehmen können. Gelingt es dem Menschen jedoch, sich auf das Handicap seines Haustieres einzustellen, steht einem erfüllten Katzenleben nichts im Weg und die taube Katze wird genauso zufrieden und glücklich wie ihre hörenden Artgenossen.