Zwanzig Kilometer in vier Tagen legte Kater Aramis zurück, um nach dem Umzug wieder nach Hause zurückzukehren. Dass er seinen Geburtsort tatsächlich fand, ist ein kleines Wunder: Schliesslich hat er die Strecke Weingarten – Donzhausen im Kanton Thurgau nur ein einziges Mal zurückgelegt – und zwar im Auto. Ein ehemaliger Nachbar fand das Tier und erkannte, dass es sich um den Kater seiner ehemaligen Nachbarin Sandra Minder handelte. «Ich war total verzweifelt und suchte tagelang nach ihm», erinnert sich Minder: «Ich hätte nie gedacht, dass er so weit läuft!» Als sich ihr Nachbar dann bei ihr gemeldet habe, sei sie überglücklich gewesen – und habe Aramis sicherheitshalber umgehend einen Sender umgehängt. Zum Glück! Nur eine Woche später machte sich der Kater nämlich erneut auf den Weg – und konnte im Wald in Märstetten (mehr als zehn Kilometer vom neuen Zuhause entfernt) aufgegriffen werden. 

«Katzen legen unglaubliche Strecken zurück, um wieder in ihr altes gewohntes Zuhause zurückzukehren», sagt Ursula Niggli. Die Tierärztin hat in ihrer langjährigen Berufslaufbahn viele Geschichten erlebt. Die Katze einer Angestellten beispielsweise habe nach zwei Wochen in Laufen-Uhwiesen im Kanton Zürich die Heimreise ins 40 Kilometer entfernte Aadorf im Kanton Thurgau angetreten. Glücklicherweise sei das Tier auf halber Strecke aufgegriffen worden. 

Wenn die Hormone verrückt spielen
Häufige Gründe für das Weglaufen nach einem Umzug sind laut Niggli, dass die Katze am neuen Ort zu wenig lange drin behalten oder zu wenig sorgfältig an die neue Umgebung gewöhnt wird. «Katzen müssen sich im Quartier zuerst zurechtfinden und Plätze kennen, wo sie sich verstecken können. Sonst rennen sie bei der erstbesten Gefahr panisch davon und finden dann vielleicht nicht mehr nach Hause.» 

Auch die Hormone sind immer wieder daran schuld, dass Katzen – in diesem Fall insbesondere Kater – weglaufen. Niggli selber hätte ihren Kater auf diese Weise beinahe verloren – wäre nicht ein aufmerksamer Tierfreund gewesen. «Ich hatte verpasst, den kleinen Kater zeitig zu kastrieren. Die Hormone trieben ihn in die Ferne und er fand vermutlich nicht mehr zurück.» Der Briefträger habe den kleinen Ausreisser schliesslich in einem Weiler zwischen Marthalen und Rheinau gefunden – vier Kilometer von seinem Zuhause in Marthalen enfernt. 

Aramis ist sesshaft geworden
Beängstigende Hunde in der Nachbarschaft, ein neuer menschlicher oder tierischer Mitbewohner, zu wenig Aufmerksamkeit, Revierprobleme oder Lärm (etwa durch einen Umbau) sind weitere Gründe, dass eine Katze das Weite sucht – und nicht mehr heimkommt. So unterschiedlich die Ursachen auch sind, der Effekt ist derselbe: Untröstliche Besitzer, die sich den Kopf darüber zerbrechen, wo sich ihr Liebling wohl gerade aufhält. 

Auch Leo Ferraro war untröstlich. Der Journalist und Katzen-Fan musste nach einem schweren Scooter-Unfall lange Monate in Spitalpflege und später in einer Reha-Klinik verbringen. Zum Drama der Rückenverletzung kam eine Hiobs-Botschaft von zu Hause hinzu: Lieblingskater Fredi war verschwunden. «Die Nachricht knallte mich fast in die Narkose zurück», erinnert sich Ferraro. Krummbeinig, nervös und heftig schielend war ihm der Snow Bengal von all seinen Katzen am stärksten ans Herz gewachsen. Am zweiten Tag zu Hause – nach sieben Monaten Abwesenheit – habe die Katzentüre dann tatsächlich Klick gemacht: Fredi kehrte zurück. 

Auch bei Langstrecken-Kater Aramis ist inzwischen Ruhe eingekehrt. «Seit einem Jahr ist er brav zu Hause und es geht ihm sehr gut», erzählt Minder. Um nach Weingarten zu gelangen, habe der Kater damals sogar eine Brücke überqueren müssen – das gehe ihr immer wieder durch den Kopf: «Wenn ich daran denke, kommen mir die Tränen. Dann muss ich ihn fest knuddeln.»