Selbst wer wenig Erfahrung im Umgang mit Pferden hat, weiss: Legt ein Pferd seine Ohren an, dann ist Vorsicht geboten, weil es schlecht gelaunt ist oder Angst hat. Zeigen die Ohren hingegen aufgerichtet nach vorne, ist das Pferd aufmerksam und neugierig. Das Ohrenspiel ist sowohl für seine Artgenossen wie für den Menschen ein zuverlässiges Stimmungsbarometer.

16 Muskeln in jedem Ohr sorgen dafür, dass die trichterförmigen Lauscher sich unabhängig voneinander bewegen und sich wie eine Richtantenne in einem 180-Grad-Radius drehen können. Dadurch entgeht dem Pferd kaum ein Geräusch. Denn es kann zum Beispiel ein Geraschel im Unterholz nicht nur exakt orten, ohne seinen Kopf zu drehen, das Pferd hört auch deutlich besser als der Mensch. Es kann Töne im Ultraschallbereich über 30 Kilohertz wahrnehmen, während der Mensch bis rund 20 Kilohertz hört.

Wind macht oft nervös
Zusammen mit den Augen bildet das ausgezeichnete Hörvermögen ein perfekt aufeinander abgestimmtes Frühwarnsystem. Die Fähigkeit, anschleichende Raubtiere rechtzeitig wahrzunehmen und zu fliehen, hat dem Pferd in den vergangenen Jahrmillionen das Überleben gesichert.

Sein Gehirn ist in der Lage, aus einem Geräuschteppich einzelne Töne herauszufiltern und diese nach «ungefährlich» und «gefährlich» zu sortieren. Pferde gewöhnen sich schnell an gewisse Geräusche, was erklärt, weshalb Pferde auch neben einer Schiessanlage oder einem Flugplatz friedlich grasen. Dafür erschrickt das Pferd bei fremden Klängen, da alles Unbekannte potenzielle Gefahr signalisiert. Auch bei starkem Wind sind viele Pferde nervös und verängstigt. Denn sobald es stürmt und starke Böen wehen, werden nicht nur unbekannte Töne ans Pferdeohr getragen, der Wind verstärkt vertraute Laute und überlagert andere: Das Pferd kann nicht mehr alle Geräusche eindeutig zuordnen, es ist irritiert und verunsichert. Das kann auch der Fall sein bei einsetzender Schwerhörigkeit, sei es altersbedingt oder aufgrund von Ohrerkrankungen.

Die Ohren eines Pferdes stehen niemals still, nicht mal dann, wenn der Vierbeiner döst oder schläft. Trotz des 24-Stunden-Betriebs sind sie sehr pflegeleicht: Gesunde Pferdeohren müssen nicht gereinigt werden. Im Gegenteil, putzwütige Pferdebesitzer, die mit den Fingern oder Ohrenstäbchen im Gehörgang rumstochern, richten mehr Schaden als Nutzen an, kann doch das empfindliche Sinnesorgan dabei verletzt werden.

Äussere Ohrverletzungen sind häufiger
Von vielen Pferden geliebt wird hingegen das sanfte Kraulen respektive Ausstreichen der Ohrinnenseiten. Wenn sie das zulassen, ist das ein grosser Vertrauensbeweis ihrem Besitzer oder Reiter gegenüber. Gemäss Akupressur-Experten werden durch das sanfte Streicheln Reflexzonen im Ohr stimuliert: Das Gemüt des Pferdes beruhigt sich und die Energien fliessen angeblich freier. Tatsächlich senken manche Pferde dafür extra den Kopf und entspannen sich sichtbar.

Es ist allerdings ein Alarmzeichen, wenn sich Pferde plötzlich nicht mehr an den Ohren anfassen lassen – dann könnte eine Entzündung vorliegen. Kommen dazu noch weitere Abwehrsymptome wie vermehrtes Kopfschütteln, starkes Reiben des Kopfes an Gegenständen oder auffälliges Schiefhalten des Kopfes, dann muss die Ursache unbedingt abgeklärt werden.

Das Pferdeohr besteht aus dem äusseren Ohr mit der Ohrmuschel und dem äusseren Gehörgang, dem Mittelohr mit der Paukenhöhle (und den darin eingespannten Gehörknöchelchen), die vom relativ hoch sitzenden Trommelfell abgeschlossen wird, sowie dem Innenohr, das die Gehörschnecke und das Gleichgewichtsorgan enthält.

Je nach Lokalisation der Beschwerden unterscheidet die Veterinärmedizin zwischen Erkrankungen am Aussen-, Mittel- und Innenohr. Unterschieden wird auch zwischen erworbenen und angeborenen Ohrbeschwerden. Zu Letzteren gehören eine unregelmässige Ohrstellung und Hängeohren, die vor allem ein kosmetisches Problem darstellen, das oft mit einem kleinen chirurgischen Eingriff  verbessert werden kann. Auch Stummelohren können angeboren sein und treten bei Shetlandponys gehäuft auf, sie können aber auch auf einen Unfall, eine Bissverletzung oder eine Vergiftung mit Mutterkorn zurückzuführen sein.

Häufiger sind äussere Verletzungen der Ohrmuschel wie offene Wunden, Risse, Perforationen, Quetschungen oder Blutergüsse durch Unfälle, Schläge oder Bisse von anderen Tieren. Während ein kleiner Kratzer selber desinfiziert und versorgt werden kann, gehören grössere Ohrverletzungen in die Hände eines Tierarztes – nicht nur um den bestmöglichen kosmetischen Effekt zu erzielen, sondern auch um eine Wundinfektion zu verhindern. Diese könnte sonst eine Ohrmuschel-Phlegmone («Einschuss») hervorrufen, die zu Abszessen oder einer Knorpelnekrose führen kann.

Milchig-weisse Flüssigkeit, die das Fell am vorderen Rand der Ohrmuschel verklebt, kann auf eine Fistel oder Zyste hindeuten, die ebenfalls von einem Tierarzt behandelt werden müssen. Das Gleiche gilt für Warzen, Sarkoide und andere Hauttumore, die so gross werden können, dass sie das Ohrspiel beeinträchtigen und das Pferd dadurch irritieren.

Der feine, aber sehr dichte, plüschige Fellbesatz am Rand der Ohrmuschel wirkt wie eine Schutzbarriere gegen Eindringlinge von aussen, wie Fremdkörper oder Insekten. Das sogenannte «Clippen», also das Ausrasieren der Ohren, wie es früher vor allem in der Sport- und Showszene oft praktiziert wurde, ist deshalb tierschutzwidrig.

Bei Pferden, die viel im Gelände unterwegs sind, aber auch auf der Weide und in der Box, können trotzdem Fremdkörper wie harte Strohhalme, kleine Steine, Holzteilchen oder Tannennadeln ins Ohr geraten. Sind diese so gross, dass sie das Pferd stören, wird es das unmissverständlich verkünden und zwar durch Kopfschütteln und Kratzen am Ohr (an Gegenständen oder mit den Hinterhufen). Wird der Gegenstand nicht fachgerecht entfernt, droht eine eitrige Entzündung des äusseren Gehörgangs.

Tückische Insekten und Parasiten
Eine solche Otitis externa (Aussenohrentzündung) kann auch durch Insekten und Parasiten verursacht werden, die neben den Verletzungen das andere grosse Übel für Pferdeohren darstellen. Mit Repellents (Vergrämungsmittel) und Ohrmützen kann man in der insektenreichen Zeit einem Befall zwar vorbeugen, verhindern lässt er sich jedoch nicht in jedem Fall.

Sobald Symptome wie Juckreiz, kahle Stellen am Ohr und vermehrtes Kopfschlagen des Pferdes auftreten, muss an einen Befall mit Kriebelmücken, Zecken oder Flöhen gedacht werden. Ein plaqueartiger Belag im Ohrinnern deutet auf einen Befall mit Milben hin. Einige Milbenarten sondern eine wachsartige Substanz ab, die mit der Zeit als Pfropf den Gehörgang verschliessen kann.

Sämtliche Entzündungen des äusseren Gehörgangs müssen vom Tierarzt behandelt werden, da der Infekt sonst auf das Mittel- und Innenohr übergreifen und das Hörvermögen oder den Gleichgewichtssinn des Pferdes beeinträchtigen kann. Neben den bakteriellen Infektionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitsstörungen, die zur Schädigung des Hörorgans führen können, zum Beispiel Gehirnerkrankungen, Abszesse, Blutvergiftungen oder ein Schädeltrauma durch einen Sturz oder Schlag.