In diesen Wochen bricht manchem Reiter beim Gedanken an einen Ausritt oder an die Dressurstunde der Schweiss aus. Das liegt natürlich nicht an aussergewöhnlich hohen Temperaturen – sondern daran, dass viele Pferde im Winter kaum wissen, wohin mit ihrer Energie. Die sonst so gemütliche Schrittrunde durch den Wald kann dadurch schnell zur Rodeo-Strecke werden.

Ob ein Pferd in der kalten Jahreszeit zum «Feuerstuhl» wird oder nicht, hängt von Haltung, Fütterung und Training, aber auch dem individuellen Bewegungsbedarf, abhängig von Rasse, Alter und Gesundheitszustand, ab. Natürlich sollte man auch abklären, ob das Pferd nicht buckelt oder davonstürmt, weil es Schmerzen hat. Zum Beispiel, weil es gesundheitliche Probleme hat, der Sattel nicht passt oder der Reiter mit zu harter Hand einwirkt – also Ursachen, die mit der Kälte nichts zu tun haben.

«Grundsätzlich haben in der kälteren Jahreszeit alle Pferde einen erhöhten Bewegungsbedarf. Denn die optimale Wohlfühltemperatur für Pferde liegt knapp über dem Gefrierpunkt», sagt Zoe Sanigar Zollinger, pferdepsychologische Verhaltenstherapeutin und Centered-Riding-Lehrerin der Stufe II aus Gränichen AG. Wie viel Spass Pferde an der Bewegung haben, gerade an Tagen, an denen die meisten Reiter am liebsten mit einer Tasse heisser Schokolade im warmen Reiterstübchen bleiben würden, kann man dort sehen, wo sie auch im Winter artgerecht gehalten werden und nach Herzenslust über schneebedeckte Weiden galoppieren können.

Heu und Stroh statt Kraftfutter
Doch viele Pferde verbringen den Winter überwiegend in der Box und kommen nur stundenweise auf den Paddock. «In freier Natur laufen Pferde grasend im Schritt etwa 20 Kilometer pro Tag, dieses Bewegungsbedürfnis ist angeboren und kann in der Boxenhaltung nicht befriedigt werden», erklärt die Trainerin. Wenn dann im Winter zusätzlich zum angeborenen Bewegungsbedürfnis der individuelle Bewegungsbedarf erhöht sei und zum Teil auch noch der Weidegang wegfalle, würden Pferde versuchen, das aus ihrer Not heraus unter dem Sattel oder an der Longe zu kompensieren.

Erschwerend kommt hinzu, dass im Winter wegen früher Dunkelheit, überfüllten Hallen und vereisten Reitplätzen oft weniger als gewohnt trainiert wird. «Zudem bekommen viele Pferde viel zu viel Kraftfutter im Vergleich zu ihren körperlichen Leistungen, was den Bewegungsbedarf noch weiter erhöht und oft gerade im Winter dazu führt, dass die Tiere sehr nervös werden», sagt Sanigar Zollinger. Die Trainerin empfiehlt, Pferde, die nicht übermässig stark beansprucht werden, ausschliesslich mit reichlich qualitativ hochwertigem, jedoch raufaserigem Heu, Stroh, Mineralfutter und Vitaminen zu ernähren. Viel Raufutter bedeutet auch lange Fresszeiten, die eine wichtige Grundlage für einen gesunden Magen-Darm-Trakt sind und erheblich zur psychischen Ausgeglichenheit eines Pferdes beitragen.

Sinnvolles Training statt Bocksprünge
Im Winter ist es in vielen Ställen gang und gäbe, das Pferd vor dem Reiten an der Longe «abbuckeln», also mit wilden Bocksprüngen davonpreschen zu lassen. Langfristig bringt das mehr Schaden als Nutzen. Denn abgesehen davon, dass ein paar wilde Runden keinen chronischen Bewegungsmangel wettmachen können und im schlimmsten Fall sogar Gelenke und Sehnen schädigen, lernt das Pferd so, dass Buckeln und unkontrolliertes Rennen nicht nur auf der Weide in Ordnung ist, sondern auch vom Reiter bereits bei der Arbeit am Boden toleriert wird. «Wir kommunizieren dadurch dem Pferd: Renne, was du kannst, so viel und so schnell du willst, achte nicht auf mich und achte nicht auf deine Körperhaltung und deine Beine», sagt Sanigar Zollinger. «Wir dürfen es dem Pferd dann auch nicht übel nehmen, wenn es dieses Lernergebnis anschliessend nicht nur an der Longe, sondern auch unter dem Sattel oder am Führstrick umsetzt.»

Besser ist es, den Energieüberschuss gezielt in sinnvolles, gymnastizierendes Training zu lenken. «Wenn mein junger Warmblüter Schneeluft im Hintern hat, arbeite ich ihn ruhig und konzentriert in Basisübungen an der Hand», sagt Sanigar Zollinger. Die Arbeit an der Hand im Wechselspiel zur Arbeit auf dem kleinen und dann auch wieder grösseren Zirkel mit Übertreten der Hinterhand, also des hinteren Drittels des Tieres, im Schritt fordere das Mitdenken des Pferdes und verhindere so auch, dass das Pferd einfach mal drauflosrase.

Meist reichen kurze Sequenzen mit viel Lob für die Bemühungen des Pferdes. Anschliessend kann man auch auf einem grösseren Zirkel an der Longe arbeiten und das Pferd hat die Möglichkeit, sich in einem gymnastisch hilfreichen, gelösten und sinnvollen Trab, Schritt oder Galopp zu bewegen. Dieses Training könne auch wunderbar im Gelände stattfinden – eine gute Grundausbildung und klare Spielregeln vorausgesetzt, ansonsten besteht die Gefahr, dass das Pferd mit dem Reiter spazieren rennt.

Überhaupt zeigen sich Ausbildungsmängel in den Wintermonaten besonders deutlich. Fehlende Anlehnung und Durchlässigkeit, gepaart mit Verspannungen, psychischem Stress und erhöhtem Bewegungsbedarf werden zu einer explosiven Mischung. «Ein Pferd, das gelernt hat, sich auf das Gebiss zu legen, sich hinter die Zügel zu verkriechen oder sich im Genick und Rücken festzumachen, kann im Fall des Falles nicht kontrolliert werden», sagt die Expertin.

Solch ein widerspenstiges Verhalten ist gefährlich und fühlt sich für den Reiter wie auch für das Pferd unangenehm an. Es versteht nicht, was der Reiter von ihm will, da die Reiterhilfen aufgrund fehlender Durchlässigkeit des Pferdes nicht verständlich ankommen, fühlt sich dementsprechend führerlos und hat durch verspannte Muskeln und unverständliche Hilfen oft Schmerzen. Dass ein Herden- und Fluchttier unter diesen Umständen schreckhafter ist oder alleine entscheidet, den unangenehmen, wenn nicht sogar schmerzhaften physischen Wahrnehmungen davonzurennen, verwundert nicht.

Oberstes Ausbildungsziel sollte also sein, dem Pferd das Vertrauen in die Reiterhand und die Reiterhilfen zurückzugeben – am besten gemeinsam mit einem erfahrenen Ausbilder. Beherrschen Pferd und Reiter das kleine Einmaleins, empfiehlt Sanigar Zollinger, das Pferd in kleinen Volten im Schritt zu arbeiten und Vor- und Hinterhandwendungen zu reiten. Diese Übungen fördern die Konzentration und das Gleichgewicht unter dem Reiter sowie Losgelöstheit, sie aktivieren die Hinterhand und holen das Pferd aus dem Vorwärts-Drang.

Winterweide statt Training im Matsch
Für viele Reiter ist es im Winter allerdings nicht so einfach, eine Umgebung zu finden, in der sie ohne Sicherheitsrisiken trainieren können. Denn obwohl gymnastizierende Arbeit unter dem Sattel und an der Hand theoretisch auch im Gelände durchgeführt werden kann, ist das mit einem Pferd, das nicht sicher an den Hilfen steht und das im Winter besonders knackig ist, nicht empfehlenswert – schon gar nicht, wenn der Feldweg vereist oder vom Regen rutschig ist.

Eine Möglichkeit kann es sein, mit Pferd und Hänger regelmässig zur nächsten Halle oder Allwetter-Reitplatz zu fahren. Eine Alternative für gesunde Pferde ist eine Winterauszeit auf einer gut geführten, grosszügigen Winterweide. Dort kann sich das Pferd nach Herzenslust bewegen, seinen natürlichen Bedürfnissen nachkommen und eine Trainingspause geniessen. Und der Reiter kann die Zeit zum Beispiel nutzen, um sich mit Reitunterricht auf guten Schulpferden oder der Suche nach einem Stall mit besseren Haltungsbedingungen auf den nächsten Winter vorzubereiten.