Eines steht für Iris Bachmann fest: «Das Pferd sollte anhand seiner Persönlichkeit gewählt werden. Diese muss zu derjenigen des künftigen Reiters passen und selbstverständlich zu der vorgesehenen Nutzung des Pferdes.» Was die Leiterin des Forschungsteams beim Schweizer Nationalgestüt Avenches von Agroscope propagiert, ist aber natürlich leichter gesagt als getan. Denn wie lässt sich der Charakter eines Pferdes beurteilen? Und wovon hängt seine Gemütslage ab?

Im Rahmen ihrer Arbeit beim Nationalgestüt hat die Zoologin schon manche Studie zu solchen Themen durchgeführt, unter anderem vor drei Jahren, als fünf Hengsten und fünf Stuten beigebracht wurde, dass ein tiefer Ton ein Rüebli im Eimer auf der anderen Seite des Paddocks voraussagt, während der Eimer bei einem hohen Ton leer bleibt. So weit, so einfach. Beim Test streuten die Wissenschaftler jedoch ab und an einen dazwischenliegenden Ton ein, um herauszufinden wie das Tier gelaunt ist. Ist es positiv gestimmt, sollte es optimistisch zum Eimer gehen, weil es von einer Karotte im Eimer ausgeht, während ein negativ eingestelltes Pferd eher stehen bleiben sollte, weil es kein Rüebli erwartet. Die Resultate liessen allerdings keine eindeutige Aussage zu.

Kürzlich publizierten Verhaltensforscher der deutschen Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen einen ähnlichen Test. Anstelle von verschiedenen Tönen, ging es um offene und geschlossene Kisten, die mit Rüebli gefüllt sind. Steht die offene Kiste rechts, gelangt das Pferd an das Gemüse; steht sie dagegen links, ist sie verschlossen und die Belohnung bleibt ihm verwehrt.

Das Pferd sollte anhand seiner Persönlichkeit gewählt werden. Diese muss zu derjenigen des künftigen Reiters passen und selbstverständlich zu der vorgesehenen Nutzung des Pferdes.

Iris Bachmann
Schweizer Nationalgestüt Avenches

Offen, neugierig und verzeihend
Was aber, wenn sie plötzlich offen, aber mittig auf dem Platz steht? «Bei einem Versuch mit 17 Pferden zeigten sich Boxenpferde tendenziell eher pessimistischer als Pferde in anderer Haltung», sagt die Versuchsleiterin Isabell Marr. Denn diese Rösser steuerten die mittig stehende Kiste in Erwartung einer Belohnung an. Sie waren also, zumindest in diesem Moment, optimistisch. 

Tatsächlich zeigten sich laut Marr auch Parallelen zum realen Alltag der Pferde. «Auffällig war in dieser Studie, dass die Pferde, die eher zum Pessimismus neigten, schwieriger in der Grundausbildung waren oder einst als ‹schwieriges› Pferd gekauft wurden.» Dennoch bedarf es weiterer Untersuchungen, um zu aussagekräftigen Erkenntnissen zu gelangen. Zumal auch Pferde Stimmungsschwankungen haben können, die nicht mit ihrer eigentlichen Gemütslage einhergehen. 

Basis für solche Tests ist der sogenannte kognitive Bias. Ruth Herrmann, die in Olten SO eine Tierarztpraxis mit dem Schwerpunkt Verhaltensmedizin führt, erklärt es auf uns Menschen gemünzt: «Wenn es mir gut geht, dann sehe ich die Welt und meine Mitmenschen positiver. Wenn es mir schlecht geht, nehme ich auch meine Umwelt negativer wahr. Besonders augenfällig wird das bei ambivalenten Situationen.» So könne man etwa eine neutrale Bemerkung je nach Stimmungslage als Kompliment, neutral oder als Kritik auffassen. Laut Herrmann sind solche Tests daher nur aussagekräftig, wenn man mit Sicherheit weiss, dass das Pferd wirklich gelernt hat, wo es eine Belohnung erhält und wo nicht. Das müsse vorab in jedem Fall überprüft werden. 

Wer nun nicht zigmal über den Paddock laufen möchte, um Kisten hin und her zu hieven, aber dennoch wissen möchte, ob er auf einem eher positiv oder negativ gestimmten Pferd reitet, der sollte in die Beobachterrolle schlüpfen. Iris Bachmann von Agroscope beschreibt einen Optimisten so: «Ein optimistisches Pferd zeigt sich eher offen und erkundungsfreudig, probiert neugierig etwas aus, ist tolerant gegenüber Menschen und verzeiht ihm vielleicht sogar kleinere Fehler, ohne gleich anhaltend ängstlich oder verschlossen zu werden.»

Ein optimistisches Pferd zeigt sich eher offen und erkundungsfreudig, probiert neugierig etwas aus, ist tolerant gegenüber Menschen und verzeiht ihm vielleicht sogar kleinere Fehler, ohne gleich anhaltend ängstlich oder verschlossen zu werden.

Iris Bachmann
Schweizer Nationalgestüt Avenches

Da das tierische Verhalten zuweilen aber wechselhaft ist, sollte man auch beim Beobachten auf die Situation achten. So kann das Pferd unter Artgenossen völlig anders aufgelegt sein als bei seinem Halter auf dem Trainingsplatz. Interpretationsspielraum bleibe fast immer, sagt die Tierärztin Ruth Herrmann. Manchmal sei es aber eindeutig, fügt sie schmunzelnd hinzu. «Ich hatte ein Welsh-Mountain-Pony, dass ich als optimistisch bezeichnen kann.» Es versuchte immer an Futter zu kommen. Wurde es vom Heuhaufen weggescheucht, näherte es sich von der anderen Seite und kam so zum Fressen. Stand sein Futterbecken nach dem Weidegang nicht im Stall bereit, ging es gar nicht erst rein, sondern schnurstracks dorthin, wo das Pony es vermutete, erzählt Herrmann. «Und das alles ohne Anzeichen von Ärger oder Frust.»

Rechts oder links?
Einen weiteren interessanten Aspekt, wie man Optimisten erkennen kann, fügt die Verhaltensforscherin Isabell Marr hinzu. Ihr zufolge sind Pferde, die bevorzugt mit dem rechten Vorderbein starten, eher Optimisten und diejenigen, die links beginnen eher Pessimisten. Ein Verhalten, das auch andere Tierarten an den Tag legen, zum Beispiel Hunde oder Mäuse. Bevorzugen sie die rechte Pfote, verhalten sie sich in ungewohnten Situationen ruhiger und stressresistenter als ihre linkspfotigen Artgenossen. Kein Wunder also, dass Vollblüter mehrheitlich linksseitig sind. 

Wer sich ein Fohlen zulegt, hat übrigens noch Einfluss auf die künftige Gemütslage des Tieres. Denn die Persönlichkeit eines Pferdes hängt nicht allein von der Genetik ab, sondern ebenso von Einflüssen und Erfahrungen aus der Umwelt wie Haltungsbedingungen, sozialen Beziehungen oder Nutzungsformen, und ist somit einzigartig für jedes Individuum. Daher raten auch alle Expertinnen und Experten dazu, von Anfang an und ein Leben lang auf die individuellen Eigenheiten und Bedürfnisse des Pferdes einzugehen. Nur so wird es ein wirklich optimistischer Zeitgenosse.