Das Kloster Einsiedeln gehört zu den bliebtesten Sehenswürdigkeiten der Schweiz. Ein besonders grosser Besuchermagnet ist dabei die Gnadenkapelle mit der berühmten schwarzen Madonna. Doch nicht nur Pilger kommen in der Gemeinde des Kantons Schwyz auf ihre Kosten. Denn untrennbar mit dem imposanten sakralen Barockbau verbunden sind die Einsiedler Pferde, die anmutigen «Cavalli della Madonna». Und das seit mittlerweile über tausend Jahren. Bereits zur Gründungszeit des Benediktinerklosters Einsiedeln im 10. Jahrhundert soll der Domprobst Eberhard aus Strassburg einige Pferde mitgebracht haben. 

Als erster handschriftlicher Beweis über eine grosse Zahl von Pferden diente rund hundert Jahre später eine Urkunde des damaligen Königs und späteren Kaisers Heinrich IV. vom Februar 1064. Sie bescherte dem Kloster das Amt eines Marschalls, der den Abt mit bis zu zwölf Pferden auf dessen Reisen zu begleiten und die Oberaufsicht über das Gestüt hatte, wie aus dem Klosterarchiv Einsiedeln hervorgeht. Damit war der Grundstein für die Pferdezucht gelegt. 

Der Marstall des Klosters Einsiedeln gilt somit als das älteste, noch bestehende Gestüt Europas. «Bis heute stehen hier noch Zuchtstuten aus den drei Stammlinien Quarta, Klima und Stella», sagt Ursula Kälin. Sie ist nicht nur Betriebsleiterin, sondern auch Mehrheitsbeteiligte der Marstall Kloster Einsiedeln GmbH. «Wir versuchen jedes Jahr ein, zwei Fohlen zu züchten und so einen kleinen Beitrag zum Erhalt der Zucht beizutragen.» In diesem Jahr haben mit Winner MKE, Waldfee MKE und Wolke MKE sogar schon drei Fohlen das Licht der Welt erblickt.

Eine Kommission für das Einsiedler PferdDie Pferdezuchtgenossenschaft Einsiedeln hat sich der Erhaltung und Förderung des Einsiedler Pferdeschlags verschrieben. Um einen Markt für die Klosterpferde zu schaffen, wurde eine Fachkommission gebildet, die eng mit dem Tierarzt und ehe­maligen Direktor des Nationalgestüts Pierre-André Poncet sowie dem Zuchtverband CH-Sportpferde zusammenarbeitet. Ein Ziel ist es, Pferdezüchter auf Stuten mit Einsiedler Blut zu sensibilisieren. Mitglieder können die Abstammungen und Nachkommen auf www.swisshorse.ch einsehen. Die Zucht mit Einsiedler Stuten wird dank der aus der Schenkung einer Pferdelieb­haberin gegründeten «Stiftung zur Förderung der Einsiedler Marstallzucht – Für das Einsiedler Pferd» finanziell unterstützt. Es locken Deckprämien für Stuten, Auffuhrprämien für an der Schau gezeigte Fohlen und die Preisverleihung «Einsiedler Pferd des Jahres».

Allrounder mit grossen Herzen
Nicht nur der dreifache Nachwuchs im März und April lässt das Herz der gebürtigen Einsiedlerin höherschlagen. Wenn sie über «ihre» Pferde spricht, spürt man eine beinahe kindliche Begeisterung. So wie früher. Die Vierbeiner aus dem Marstall haben sie nämlich schon als junges Mädchen angezogen. «Sie haben mich fasziniert, weil sie einfach Allrounder sind und ihr grosses Herz immer voll für den Menschen einsetzen», sagt Kälin. Ob das mit der spirituellen Umgebung zu tun hat, bleibt unbeantwortet. Doch bereits Geistliche wie Pater Ulrich bezeichneten die Tiere als fromm. «Das sind sie auch meistens», erzählt die 50-Jährige, lacht dabei herzhaft und fügt mit einem Zwinkern an: «Sie haben aber manchmal einen ‹Einsiedler-Grind› und wissen, was sie wollen.»

Einsiedler Pferde setzen ihr grosses Herz imm voll und ganz für den Menschen ein.

Ursula Kälin
Betriebsleiterin Marstall Kloster Einsiedeln

Das ändere aber nichts daran, dass es charakterlich tolle Pferde seien, bei denen es sich aber «nur» noch um einen Schlag und nicht mehr um eine eigenständige Rasse handle. Das liege daran, dass sie sich nicht von anderen europäischen Warmblutrassen unterscheiden lassen, erklärt Kälin. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden vor allem Anglo-Normannen in der Zucht eingesetzt. 

Der Vielseitigkeit der Einsiedler tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: Sie eignen sich für den Reitschulbetrieb, am Wagen, bei der Bodenarbeit und beim Sport. Durch ihr Interieur, also ihre psychischen Eigenschaften, können sie sich auf jeden Reiter einstellen. «Wir haben Pferde, die im Sport alles geben, doch mit Kindern dann gemütlich durch das Gelände laufen oder Gymkhanas, also Geschicklichkeitswettbewerbe mitmachen», sagt Kälin, die Reitstunden, Reitlager für Kinder, spezialisierte Kursangebote für Reiter, und Führungen anbietet.

Steckbrief Cavalli della MadonnaAktive Blutlinien: Quarta ist die älteste Linie. Sie zeichnet sich durch einen kraftvollen Gang und ein lebhaftes Wesen aus. Die Klima-Stammlinie steht für Robustheit und einen starken Knochenbau. Die Sella-Linie ist aus einer nord-deutschen Stute und ihrer Tochter «Sella» entstanden.
Erscheinungsbild: kräftig, aber auch edel; harte Hufe; dünnes Langhaar; grosse Ohren; breite Stirn.
Farben: alle, ausser Schimmel. Stockmass: 160 bis 175 Zentimeter. Charakter: ausgeglichen bis temperamentvoll.
Eignung: Fahren, Freizeit, Dressur, Springen, Western.

Rund 40 Pferde sind im traditionsreichen und modern renovierten Marstall untergebracht, darunter 26 Pensionspferde aus der Marstallzucht und auch anderer Rassen. Die oberste Maxime für alle Vierbeiner ist eine artgerechte Haltung. Das bedeutet laut Kälin vor allem viel Auslauf und die Möglichkeit zu sozialen Kontakten. «Das Herdentier Pferd profitiert sowohl physisch als auch psychisch von Gruppenhaltung, weil Spielen, Laufen, Wälzen und Fellpflege ein Pferd freundlich und ausgeglichen machen.» Bei der Zusammensetzung der Gruppen achtet das achtköpfige Marstall-Team darauf, dass sie ausgewogen sind und kein Pferd ausgegrenzt wird. 

Die Pferde haben manchmal einen ‹Einsiedler-Grind› und wissen, was sie wollen.

Ursula Kälin
Betriebsleiterin Marstall Kloster Einsiedeln

Hohe Kosten für die Aufzucht
Zu erwerben sind die edlen Pferde übrigens auch. Die Erlöse reichen aber kaum, um die Zucht- und Unterhaltungskosten zu decken. Allein die Aufzucht eines dreijährigen Pferdes verschlingt 10 000 bis 15 000 Franken – und darin sind noch nicht die Ausbildungskosten enthalten. Dazu kommen Ausgaben für den Hufschmied, Tierarzt und Versicherungen. Um sich trotzdem über Wasser halten zu können, hilft die Tatsache, dass 22 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zum Marstall gehören. Denn als Landwirtschaftsbetrieb gibt es vom Bund Subventionen. «Ohne landwirtschaftliche Direktzahlungen wäre unsere Existenz gefährdet», sagt Kälin.

Das wäre äusserst bedauerlich, da die Zucht der altehrwürdigen «Cavalli della Madonna» ein grosses Privilieg für die leidenschaftliche Rösselerin sei. Und nicht nur für sie. Auch die Pferdezuchtgenossenschaft Einsiedeln setzt sich tatkräftig für die Klosterpferde ein (siehe Box links). Schliesslich sind die edlen Tiere, wie ihre Förderin Ursula Kälin es formuliert, «ein kulturhistorisches Erbe, das hoffentlich noch lange erhalten bleibt». 

Der Marstall des Klosters Einsiedeln kann im Rahmen einer Führung besichtigt werden. www.marstall-einsiedeln.ch