Immer wieder kommt der Spruch, dass man aus einem «Spatzen keinen Kanarienvogel» machen kann. Damit ist gemeint, dass die Grundlagen schon vorhanden sein müssen, um ein Spitzentier zu züchten. Dennoch entsteht der Eindruck, dass es Züchter gibt, denen einfach alles gelingt. Egal welche Rasse oder welchen Farbenschlag sie züchten. Innerhalb kürzester Zeit sind sie auch hier an der Spitze zu finden. Andere wiederum, die es bereits seit Jahren versuchen, kommen nicht so richtig vom Fleck. Es kann schon verzwickt sein. Der Sache einmal auf den Grund gehen, scheint deshalb höchste Zeit.

Rassetauben sind Zuchtformen. Bei ihnen werden bestimmte Rassenmerkmale gezüchtet, die bei der Urform aller Rassetauben, der Felsentaube, nicht zu finden sind. Ein Blick auf die Felsentaube zeigt, wie ungeheuer vielfältig Rassetauben sind. Felsentauben sehen mehr oder weniger wie eine blaue Stadttaube mit schwarzen Binden aus. Da ist nichts zu sehen von besonderen Färbungen, Latschen, Hauben, Scheckungen, kürzerem oder längerem Schnabel. Das alles sind durch Mutationen hervorgerufene Formen. Dass das bei Rassetauben so ist, deutet auf ein sehr lockeres Gengefüge hin.

Ein Zuchtbuch ist wichtig
Pferde etwa sind hier wesentlich konstanter, was sich allein in ihrem einheitlichen Erscheinungsbild zeigt. Wenn man dann noch bedenkt, dass bei allen Taubenrassen mehr als 98 Prozent des genetischen Hintergrunds gleich sind, wird es interessant. Das heisst nämlich, dass weniger als zwei Prozent dafür sorgen, dass die Rassen der Züchter grundverschieden im Aussehen und Wesen sind. So unterschiedlich sind sie also doch nicht.

In der züchterischen Praxis sind somit alle Rassenmerkmale durch Selektion entstanden, da die Genetik ziemlich gleich ist. Noch dazu innerhalb einer Rasse. Erfolgreiche Züchter schaffen es folglich, die Genetik ihrer Tauben in geregelten Bahnen zu lenken und entsprechend zu selektieren. Das bedeutet, dass sie es schaffen genau zu erkennen, welche Tauben für die Zucht sinnvoll sind. Die Basis dazu ist bei den meisten ein ausführliches Zuchtbuch mit detaillierten Aufzeichnungen. 

[IMG 2]

Es gibt auch Züchter, die das überhaupt nicht nutzen und dennoch mit ihrer Rasse an der Spitze stehen. Sie halten ihren Zuchttierbestand jedes Jahr gleich und nehmen jene Tiere aus der Zucht, die sie für nicht geeignet ansehen. Schwierig kann es sein, dass man innerhalb kurzer Zeit nicht mehr weiss, woher dieses oder jenes Tier herstammt. Soll das funktionieren, ist eine grös­sere Menge nötig. In einem kleineren Bestand klappt das auf Dauer nur mit Zuchtbuchführung, wobei darunter maximal sechs Zuchtpaare zu verstehen sind.

Genau darin liegt der Erfolg vieler Züchter. Sie wissen ganz genau, wie welches Rassenmerkmal vererbt wird. Dazu braucht es viel Erfahrung. Jeder, der in der Taubenzucht aktiv ist, weiss, dass es immer noch etwas dazuzulernen gibt. Sinnvoll ist es, die Elterntiere genau zu beschreiben und die Nachzuchttiere ebenfalls. Dann entsteht innerhalb kürzester Zeit eine Auflistung, die verrät, wie sich dieses oder jenes Merkmal vererbt. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil in der Praxis. Schliesslich sind diese Erkenntnisse sowohl bei positiven als auch bei negativen Merkmalen nützlich. 

Damit ist klar, dass man in der Zucht sehr schnell nach vorne kommen kann. Wer nämlich Erkenntnisse zum Beispiel über die Vererbung der Bindenführung bei Rasse «X» hat, kann diese problemlos auch auf die Rassen «Y» und «Z» übertragen. So funktioniert es  mehr oder weniger mit jedem Rassenmerkmal. Nun gibt es aber in der Zucht nicht nur perfekte Tauben. Züchter wollen sie jedoch verbessern, und hier kommt wieder die Selektion ins Spiel. Sie ist der Schlüssel zum Erfolg. Ehrgeizige Züchter sind hier äusserst konsequent. Lieber ein Paar weniger, als einfach noch mal einige Paare zusammenzustellen. Die wirklich guten Nachzuchttiere stammen nämlich fast immer von ganz wenigen Paaren.

Anatomische Kenntnisse von Vorteil 
Eine weitere Komponente der Genetik kann es sein, verschiedene Farbenschläge miteinander zu kreuzen, um nach vorne zu kommen. Es gilt aber genau zu unterscheiden zwischen der genetischen Grundlage von Farbenschlägen und der entsprechenden Ausstellungsqualität. Dass manche Farbenschläge wunschgemäss aussehen, hat wieder mit Selektion zu tun. Erleichternd ist, dass heute viele Fachbücher zur Vererbung zur Verfügung stehen. Diese Literatur versteht aber lediglich ein ganz kleiner Teil der Züchterschaft. Zudem sind viele Unwahrheiten und sogenannte Spezialisten im Umlauf. Unter ihnen befinden sich viele, die keine Spitzentiere zu den Ausstellungen bringen. Erfolg verspricht also das Zusammenspiel von genetischen Kenntnissen und züchterischer Praxis.

Einkreuzungen fremder Rassen sollten nur den wirklichen Spezialisten vorbehalten sein. Aufgrund der genetischen Nähe funktioniert fast alles. Doch ist es wichtig, das Ziel klar vor Augen zu haben und dann auch wieder entsprechend zu selektieren. Anatomische Kenntnisse sind hier ein riesiger Vorteil. Dass hierzu genaueste Zuchtbuchführung vonnöten ist, versteht sich von selbst. Ausserdem müssen sich Züchter eingestehen, wenn es nicht funktioniert hat. Gerade dann ist Selektion unverzichtbar. Sonst kann eine Zucht innerhalb kürzester Zeit regelrecht an die Wand gefahren werden.

Die Haltung muss stimmen 
Zu guter Letzt kommt noch der Haltungsaspekt hinzu. Erfolgreiche Züchter halten ihre Tauben ideal, das heisst nicht nur art-, sondern vor allem rassengerecht. Eine Pfautaube braucht ein anderes Umfeld, als eine belatschte Trommeltaube oder eine glattfüs­sige Farbentaube. Eine Taube mit hellem Augenrand ist anders zu halten als eine Taube mit rotem Augenrand. Wie eine Rasse ideal zu halten ist, muss der Züchter selber austüfteln. Ein Patentrezept gibt es nicht. Jeder muss sich aber vor Augen führen, dass seine Rahmenbedingungen die Rasse vorgeben. Sonst sind umfassende Umbaumassnahmen unverzichtbar. Ein erfolgreicher Züchter macht das. 

Was immer unerlässlich ist, ist ein ausreichendes Platzangebot. Nur dann kann sich das Gefieder ideal ausbilden. Dieses ist die Gewähr, dass eine Taube perfekt aussehen kann. Ein regelmässiges Bad und die genaue Beobachtung des Gefiederzustandes müssen schon sein. Auch ein rassenangepasstes Futter samt eventuellen Fütterungszusätzen gehört dazu. 

Spätestens jetzt wird deutlich, dass erfolgreiche Züchter mehr tun als andere. Von der aufwendigen Ausstellungsvorbereitung ganz abgesehen.