Sie frisst, frisst und frisst: Von Montag bis Sonntag beisst sich die Raupe durch Unmengen von Leckereien, bis sie vor lauter Fressexzessen schier platzt. Im Kinderbuchklassiker «Die kleine Raupe» von Eric Carle lernen bereits die Kleinsten, dass diese Völlerei mit der Verpuppung ein jähes Ende nimmt und dem Kokon nach wenigen Wochen ein wunderschöner Schmetterling entschlüpft. Gross werden, die Flügel ausbreiten, in die Welt fliegen – eine Metapher, die beflügelt.

Auch Noa Ammann. Seine Leidenschaft für diese Verwandlungskünstler ist im Alter von sechs Jahren entflammt, als er auf einem Streifzug durch die Natur mit seiner Familie am Waldrand Raupen erspähte und diese vorsichtig mitsamt Futter nach Hause transportierte. Raupe, Puppe, Schmetterling – was er da hautnah innert weniger Wochen zu sehen bekam, liess ihn nicht mehr los. «Zu beobachten, wie die Raupe in kürzester Zeit ein x-Faches an Gewicht zulegt und sich dann an einem dünnen Faden zu einem komplett anderen Wesen transformiert, fand ich überwältigend», erinnert er sich. Er, der bislang Bücher verschmähte, begann Fachbücher über Schmetterlinge und Insekten zu verschlingen und überflügelte mit seinem Wissen bald insektenkundige Erwachsene in seinem nächsten Umfeld. Der wissbegierige Knirps fiel auf, man verschaffte ihm Zugang zu Schmetterlingsprofis, die ihm eine Welt zeigten, die er nur aus Büchern kannte. Und mit jedem neuen Kontakt stieg der Wunsch, selbst auch seltenere Exemplare grosszuziehen.

Keine Zeit für Ferien

15 Jahre später: Aus dem kleinen Jungen ist nicht nur ein engagiertes Vorstandsmitglied des Vereins «Swiss Butterfly Breeders» geworden, sondern auch ein pas-sionierter Hobbyzüchter, der jährlich bis zu 700 Raupen und 20 bis 25 Arten hegt und pflegt. «In der Hochsaison habe ich manchmal bis zu 30 Käfige in der Wohnung – an Ferien ist von Juni bis August nicht zu denken», sagt Ammann schmunzelnd. Doch im Moment ist aufgrund einer zeitintensiven Weiterbildung erst einmal Pause mit Züchten angesagt. Noa Ammann geht es nicht einzig und allein um den spektakulären Akt der Metamorphose, sondern auch um die grösseren Zusammenhänge im Ökosystem. Ein Interesse, von dem er sich auch bei seiner Berufswahl leiten liess. Als Leiter der Grünflächenpflege des Inselspitals Bern und Mitglied der Nachhaltigkeitskommission setzt er auch bei der Bepflanzung des weitläufigen Areals biodiverse Akzente: Die vielen einheimischen Stauden und Blumen rund ums Spital sichern Insekten ein reichhaltiges Futterangebot. Und auf «Insektensafaris» führt er Interessierte durchs Gelände, um die Wichtigkeit naturbelassener Zonen im urbanen Raum sicht- und greifbar zu machen. Mittlerweile sind fast 40 Prozent der Fläche auf dem Areal biodivers, was dem Inselspital ein Zertifikat der Stiftung Natur & Wirtschaft eingebracht hat.

«Das Interesse an Insekten wächst», freut sich der 27-Jährige. Noch vor zehn Jahren sei er belächelt worden, heute erhalte er viel Zuspruch: «Das Bewusstsein, dass der Artenrückgang alle betrifft, ist durchaus da», so seine Beobachtung. Doch das Verständnis über die Zusammenhänge im Ökosystem sei bei weiten Teilen der Bevölkerung noch nicht verankert, findet der gelernte Landschaftsgärtner, der kurz vor der Meisterprüfung steht: «Nur wenige wissen, dass in einer Handvoll Erde mehr Organismen als Menschen auf dem ganzen Planeten leben und dass der Einsatz von Pestiziden quasi Massenmord ist.»

Umdenken erwünscht

Noa Ammann will zusammen mit den «Swiss Butterfly Breeders» solche Zusammenhänge beleuchten, denn «Wissen schafft Verständnis». Bereits einfache Massnahmen könnten den Artenrückgang eindämmen. «Unser Sauberkeitswahn auf Grünflächen ist für Schmetterlinge alles andere als förderlich», hält er fest und plädiert für eine gewisse Unordentlichkeit: Nicht alles kurzschneiden und zum Verschwinden bringen – schon gar nicht mit dem für Insekten oftmals tödlichen Laubbläser. Auch biodiverse Nischen im Garten sind eine wirkungsvolle Massnahme gegen den Artenschwund: «Insekten profitieren mehr, wenn 100 Gärten kleine, biodiverse Ecken aufweisen, als wenn zehn Gärten zu hundert Prozent biodivers sind. Solche Mini-Inseln ermöglichen Vernetzung und retten Leben.» Denn: Fehlen Lebensräume, können selbst Zuchtbemühungen das Aussterben einer Population nicht verhindern.

Ammann wünscht sich nicht nur ein Umdenken in der Gesellschaft und bei Gartenfreunden, sondern auch bei Liegenschafts- und Forstdiensten, deren teils brachiale Eingriffe Lebensräume von Insekten komplett vernichten. Und er hofft auf die Jüngsten: Der Verein «Swiss Butterfly Breeders» besucht mit seinen Schmetterlingskästen auch Schulen, damit die nächste Generation ein Verständnis für die faszinierenden Abläufe im Ökosystem entwickelt. «Kinder sind meist heillos begeistert nach unseren Besuchen und bitten dann ihre Eltern, etwas für die Schmetterlinge auf dem Balkon oder im Garten zu tun», so Ammann.

«Das Interesse an Insekten wächst.»

Noa Ammann, Landschaftsgärtner und Hobbyzüchter

Wie starten?

In der Tat: Die Aufzucht von Schmetterlingen ist für die ganze Familie ein Abenteuer. Für den Einstieg empfehlen sich Brennnessel- oder Rüebliraupen, die relativ einfach zu finden sind und zu wunderschönen Tagfaltern mutieren. «Die Raupensuche ist ähnlich wie die Schatzsuche: Wenn man nach zweistündiger Suche ein Exemplar entdeckt, ist das etwas vom Aufregendsten überhaupt», ist sich Ammann sicher, der oft Stunden investiert, um eine bestimmte Raupe in freier Wildbahn zu finden. Wer es auf seltenere Arten abgesehen hat, tut gut daran, mittels Artenschutzliste zu prüfen, ob die Zucht legal ist. Für weniger Geduldige empfiehlt es sich, direkt eine Futterpflanze im Garten oder auf dem Balkon anzubringen. Hier leisten Brennnesseln, Dill, Rüebli oder Fenchel gute Dienste. Wer kein fixfertiges Gehege zur Hand hat, kann mit einer Holzkiste und einem feinmaschigen Moskitonetz selbst eines konstruieren. Während der Aufzucht lauten die goldenen Regeln des Profis:

  • Jungraupen nicht mit den Fingern berühren, sondern von selbst auf die Futterpflanze kriechen lassen oder mit einem Pinsel vorsichtig heben. Die Umplatzierung mittels Finger kann zu inneren, irreversiblen Verletzungen führen.
  • Futter auf Krankheiten untersuchen. Nur gesunde, frische Blätter ins Gehege stellen. Wird das Futter zwecks längerer Haltbarkeit in Wasser gestellt, die Öffnung beim Gefäss abdecken, damit die Raupen nicht ertrinken.
  • Auf gute Hygiene achten! Kot regelmässig entfernen, sonst bildet sich Schimmelpilz. Kranke Raupen isolieren, Gefässe nach der Aufzucht gründlich reinigen.
  • Nicht aufgeben, wenn es einmal nicht klappt. Auch bei erfahrenen Züchtern kommt es hin und wieder zu Ausfällen. Besser: Fehler ermitteln und den nächsten Versuch wagen.

Obwohl Noa Ammann sich für alle in der Schweiz lebenden rund 3700 Schmetterlingsarten engagiert, hat es ihm ein Exemplar besonders angetan; die Metamorphose seines Lieblingsfalters prangt als Tattoo auf seinem rechten Unterarm. Es ist der Totenkopfschwärmer – der schnellste aller Schmetterlinge. Im Flug erreicht er Geschwindigkeiten von bis zu 70 km/h. «Er fliegt jedes Jahr von Afrika über die Alpenpässe bis zu uns, wo er sich auf Kartoffelfeldern vermehrt, um dann wieder Richtung Süden durchzustarten.» Und er ist ein durch und durch listiges Kerlchen: Weil er wegen seines verkürzten Saugrüssels nicht im Flug trinken kann, imitiert er mittels Botenstoffen den Geruch der Bienen, dringt in die Waben ein und klaut den Honig. «Ein geniales Tier», sagt Ammann lachend.