Herr Kiewert, Sie verzichten auf tierische Mal-Materialien. Was für tierische Bestandteile sind in Farben, Pinseln oder Bildträgern enthalten?

Ich lebe seit 2008 vegan und achte daher auch darauf, dass ich keine tierlichen Materialien für meine Malerei verwende. Es gibt in Farben zum Beispiel Pigmente wie Elfenbeinschwarz aus Tierknochen oder Karminrot, das aus Schildläusen hergestellt wird. Es gibt Pinsel mit Schweineborsten oder Marderhaaren und Malmittel wie Eitempera oder Leime aus Tierhäuten oder Tierknochen, die in traditionellen Grundierungen verwendet werden. Da diese Materialien allerdings nicht essenziell sind zum Malen, kann gut auf sie verzichtet werden.

Was gab den Ausschlag dafür, dass Sie sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier auseinanderzusetzen begannen?

Während meines Kunststudiums habe ich mich zunehmend mit Gesellschaftskritik beschäftigt und mich auch praktisch an verschiedenen Aktionen etwa im Rahmen der Umwelt- und Antiatom-Bewegung beteiligt. Diese aktivistische beziehungsweise gesellschaftspolitische Dimension wollte ich auch in meine Malerei einfliessen lassen. Ich suchte nach einem Thema, das sich mit malerischen Mitteln umsetzen lässt. Da mich zum einen unser ambivalentes Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren schon seit meiner Kindheit beschäftigt und es zum anderen auch schon seit den Höhlenmalereien in der Bildenden Kunst thematisiert wird, erschien es mir gut geeignet, um es mit den Mitteln der Malerei neu zu verhandeln.

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Im Werkzyklus «Animal Utopia» zeigen Sie, wie Nutztiere aus ihren Ställen ausgebrochen sind und sich in für Menschen konzipierten Orten - Wohnungen oder Städten - aufhalten. Wieso in Räumen, die nicht an die tierischen Bedürfnisse angepasst sind?

Im Titel «Animal Utopia» steckt zwar die Utopie drin, allerdings sind meine Bildwelten der heutigen Alltagswelt entlehnt und die Transformation hin zu einer zukunftsfähigen, klimagerechten Gesellschaft ist noch nicht vollendet. Die Frage nach guten Lebensbedingungen für Menschen und andere Tiere bleibt insofern in den Bildern noch offen. Grünere Städte ohne Autos etwa wären ja nicht nur für andere Tiere, sondern auch für uns Menschen Orte mit höherer Lebensqualität. Wenn sich auf meinen Gemälden, den Mastanlagen und Schlachthöfen entrückt, Kühe, Hühner und Schweine die von Menschen geprägten Räume erobern, geht es mir dabei zunächst auch um Irritation. Denn es gibt heute weitaus mehr Hühner und andere sogenannte Nutztiere als Menschen, aber wir bekommen sie kaum zu Gesicht. In meinen Bildern treten diese Tiere als handelnde Subjekte in Erscheinung und begegnen den Menschen auf Augenhöhe. Die heute vorherrschende Objektivierung dieser Tiere zu schieren Ressourcen und Waren wird so zurückgewiesen.

Besteht bei diesen Bildern nicht die Gefahr, dass die Tiere vermenschlicht dargestellt werden? Oder möchten Sie damit eine Angleichung von Mensch und Tier antizipieren?

Was die grundlegenden Bedürfnisse und das Streben nach einem erfüllten Leben angeht, so sind andere Tiere, insbesondere die Tiere, die zu Abertausenden eingesperrt und getötet werden, uns sehr ähnlich. Die überhöhten Unterschiede zwischen Menschen und anderen Tieren sind lediglich graduell, wie auch die Wissenschaft immer weiter untermauert. Mir geht es also nicht um Vermenschlichung, sondern darum, dass nichtmenschliche Tiere als empfindungsfähige Individuen mit ihren je eigenen Bedürfnissen und Interessen und ihrer je eigenen Sicht auf die Welt wahr- und ernst genommen werden.

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In Ihren Arbeiten zeigen Sie Menschen und Nutztiere in trauter Gemeinschaft. Wie sähe aus Ihrer Sicht ein ideales Zusammenleben von Mensch und Tier aus?

Das Zusammenleben von Menschen mit anderen Tieren sollte auf freiwilliger Basis geschehen. Wir müssen also zuallererst aufhören, Tiere zu züchten, einzusperren und zu töten und ihre Lebensräume zu zerstören. Wenn wir aus der Tierhaltung aussteigen und uns direkt von Pflanzen ernähren, werden gut die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen frei, die dann als Habitate für andere Tiere wieder zur Verfügung stünden und auch ein riesiges Potenzial zur CO2-Speicherung darstellen und dem Arten-sterben entgegenwirken können. Dann müssen wir, wie vorhin schon angeklungen, bei der Planung von Städten und Landwirtschaft die anderen Tiere mitdenken und ihre Bedürfnisse und Interessen ernst nehmen. Wir müssen schauen, wo und wie andere Tiere schon Umwelt mitgestalten, und die Möglichkeiten und Räume dafür erweitern. Wir teilen uns die Welt schliesslich mit den anderen Tieren und sind auch existenziell von ihnen abhängig, etwa von Insekten, die Pflanzen bestäuben, oder Regenwürmern, die mit für fruchtbare Böden sorgen. Die Transformation hin zu einer global gerechten Multispezies-Gesellschaft wäre also ein Gewinn für Menschen und nichtmenschliche Tiere. Dieser Wandel ist nötig, um überhaupt die Grundlagen für einen auch in Zukunft noch bewohnbaren Planeten zu erhalten.

«Wir sollten Tiere nicht hinsichtlich der Nutzbarmachung betrachten.»

Sie kritisieren in Ihren Werken die Ausbeutung der Nutztiere und zeigen diese in fiktiven Situationen als Haustier. Doch auch Haustiere erfüllen für ihre Halter immer einen, oft psychologischen Nutzen. Wie also stehen Sie zur Haltung von Haustieren?

Auch bei dem Bildstrang der Interieurs geht es mir um Irritation. Schweine, die nicht auf dem Spaltenboden liegen, sondern auf Holzparkett oder Teppichen, stellen die Kategorien von Haus- und Nutztier in Frage. Wie schon gesagt, sollte die Beziehung zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren auf Freiwilligkeit basieren. Das ist bei sogenannten Haustieren sicherlich ebenso wenig der Fall wie bei Nutztieren. Zwar werden Haustiere heute oft als Familienmitglieder gesehen, trotzdem sind sie meist vollkommen von Menschen abhängig und werden in ihrer Entfaltung beschränkt. Auch hier gilt, dass wir aufhören müssen andere Tiere für unsere Zwecke zu züchten und gefangen zu halten.

Finden Sie, dass Haustiere gegenüber Nutztieren bessergestellt sind?

Haustiere werden meist nicht geschlachtet, sondern beerdigt, das sagt eigentlich schon das Wesentlichste zu der unterschiedlichen sozialen Stellung. Also ja, Haustiere sind in unserer Gesellschaft ohne Zweifel bessergestellt als Nutztiere, wenngleich sie auch nicht frei sind. Die Ambivalenz in der Beziehung ist bei machen Spezies besonders frappierend. So werden Kaninchen sowohl als Haustiere als auch als Nutztiere und ebenso als Versuchstiere von Menschen gehalten, und wenn sie frei leben, manchmal auch als Schädlinge bekämpft. Hier zeigt sich einmal mehr, dass wir all diese erfundenen Kategorien über Bord werfen müssen und andere Tiere nicht mehr durch die Schablone der Nutzbarmachung betrachten sollten.

Im Bilderzyklus «Ruinen» zeigen Sie Schweine oder Rinder, die vor zerfallenen Schlachthöfen oder Milchverarbeitungsbetrieben weiden. Gibt es Ihrer Meinung nach eine vertretbare Weise, tierische Lebensmittel zu konsumieren, oder nicht?

Nein, für mich gibt es gar keine vertretbare Weise, andere Tiere für menschliche Zwecke zu nutzen. Wenn wir unsere Empathie nicht mehr gegenüber anderen Tieren abschotten, sondern sie als Subjekte ihres eigenen Lebens ernst nehmen, stellt sich die Frage gar nicht mehr, ob wir sie in irgendeiner Art und Weise ausnutzen sollten.

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Kinder mit Tieren sind ein wiederkehrendes Motiv in Ihren Bildern. Haben Kinder einen besseren Zugang zu Tieren und einen besseren Umgang mit ihnen als Erwachsene?

Ich denke, dass der Speziesismus, also die Abwertung von Lebewesen alleine aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit, eine Ideologie ist, die wie jede andere Ideologie erst sozial erlernt werden muss. Also ja, ich bin der Meinung Kinder haben zunächst eher einen unmittelbareren Zugang zu anderen Tieren und schieben sie nicht, wie die meisten Erwachsenen es gelernt haben, um Tierausbeutung vor sich zu legitimieren, in Schubladen wie Nutztier, Wildtier oder Haustier. So sind Kinder auch meist sehr schockiert, wenn sie mitbekommen, was zum Beispiel mit den Tieren geschieht, aus denen Wurst und Schnitzel bestehen.

Sie wählen oft eine sehr drastische Bildsprache, etwa bei den «Schlachtplatten», wo Sie halbwegs zu Lebensmitteln verarbeitete Tiere zeigen. Gäbe es denn nicht auch eine subtilere, etwas feinfühligere Art, auf das Tierleid aufmerksam zu machen?

Zu Beginn meiner Auseinandersetzung mit dem Mensch-Tier-Verhältnis vor etwa 15 Jahren konnte ich nicht anders, als die Gewaltförmigkeit dieses Verhältnisses ganz direkt zu thematisieren. Seit vielen Jahren versuche ich nun mit meiner Kunst positive Gegenbilder zur Tierindustrie zu schaffen. Implizit verweisen die Bilder befreiter Tiere, die sich in einem für sie fremden Kontext bewegen, ja darauf, dass diese Tiere heut eallermeist noch eingesperrt sind und ausgebeutet werden. So möchte ich auf eine eher subtile Weise die Betrachterinnen dazu einladen, unser ambivalentes Verhältnis zu anderen Tieren zu hinterfragen und im besten Fall den Speziesismus und die Tierausbeutung hinter uns zu lassen.

Zur Person
Hartmut Kiewert Der 1980 in Koblenz geborene Künstler studierte in Halle Malerei und Grafik. Momentan lebt er in Leipzig. Seine Werke, die sich mit der Mensch-Tier-Beziehung auseinandersetzen, wurden an diversen Ausstellungen in Deutschland gezeigt.