Im Jahr 2006 zieren Stars und Sternchen wie Michael Schumacher und Michelle Hunziker die Werbeplakate des Bauernverbands – gekleidet in blaue Hemden, bestickt mit dem Schweizer Symbol schlechthin: dem Edelweiss. Umgangssprachlich als Bauern- oder Schwingerhemd bekannt, hat das Edelweisshemd seinen Ursprung jedoch weder bei den Bauern noch bei den Schwingern. Woher es tatsächlich stammt und wer die charakteristische Edelweissstickerei erfunden hat, bleibt unklar. Verschiedene Produzenten beanspruchen die Erfindung des Kulthemds für sich. Der Kulturwissenschaftler Tobias Scheidegger hat sich intensiv mit dem Edelweisshemd beschäftigt und zahlreiche Publikationen dazu verfasst. Eines steht fest: Das Hemd ist eine relativ junge Erscheinung. Erst in den 1960er-Jahren wurde der Stoff erstmals von der Firma Gugelmann & Co. im bernischen Roggwil gewebt.

Heute gibt es in der Schweiz nur noch eine einzige Weberei, die den originalen Edelweissstoff herstellt – die Firma Meyer-Mayor aus dem zürcherischen Russikon. Laut einem Artikel des «St. Galler Tagblatts» beliefert sie vor allem Ateliers, Designer und Trachtenschneidereien, die auf Swissness setzen. Die grossen Anbieter von Edelweisshemden hingegen beziehen den Stoff günstiger aus dem Ausland. Der besondere Barchent, ein aufgerauter Baumwollstoff, zeichnet sich durch seine hohe Reissfestigkeit aus. Daher ist das Edelweisshemdbesonders auf dem Sägemehlplatz ein vertrauter Anblick. Im Jahr 1978 wurde erstmals ein Schwinger darin fotografiert.

Edelweiss und Swissness

In den 1990er-Jahren erlebte die Schweiz einen regelrechten Aufschwung von neuinterpretierten Traditionen und Folklore. Produkte mit Kuhmotiven, dem Schweizerkreuz und Edelweiss überschwemmten laut Scheidegger den Markt. Begriffe wie «Made in Switzerland» und «Swissness» wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts schnell zuSynonymen für Qualität – sowohl im In- als auch im Ausland. Das Edelweiss selbst hatte bereits seit der Zeit des Alpinismus um 1870 eine steile Karriere hingelegt. Laut Scheid-egger vereint die Bergblume Moderne,Nationalismus und Alpenverherrlichung – passend zum Zeitgeist des «Swiss Ethno Booms» der 1990er. Richtig populär wurde das Edelweisshemd jedoch erst nach der PR-Aktion des Bauernverbands im Jahr 2006. Laut dem Kulturwissenschaftler stand der Verband seit den 1990ern vor der Herausforderung, die Landwirtschaft in einemmodernen, positiveren Licht zu präsentieren. 2006 startete er eine gross angelegte Kampagne, in der Prominente in eben diesen Edelweisshemden posierten. Die Aktion sollte die wachsende Kluft zwischen der bodenständigen Bauernwelt und den kosmopolitischen Stadtmenschen überbrücken.

Sennenhemd

Das Edelweisshemd wird oft auch als Sennenhemd bezeichnet. In der Innerschweiz gab es jedoch ein traditionelles Sennenhemd. Es war ein weisses Leinenhemd mit Kapuze. Die weisse Farbe erleichterte die Reinigung in der Kochwäsche, während die Kapuze den Nacken und Kopf vor piksenden Heuhalmen schützte, wenn das Heu auf dem Rücken getragen wurde. Zudem hielt der Leinenstoff den Tragenden schön kühl. Es war ein ideales Arbeitshemd. Im 17. und 18. Jahrhundert war die Kleidung der Bauernschaft regional aber sehr unterschiedlich. Diese Vielfalt ging Mitte des 19. Jahrhunderts mit der industriellen Kleidungsproduktion und der Gründung des Schweizer Bundesstaates jedoch zunehmend verloren.