Interview
Präsidentin der IG Maultier: «Mulis wollen arbeiten»
Maultiere werden seit Jahrtausenden gezüchtet, um die Fähigkeiten von Eseln und Pferden in einem Tier zu vereinen. Die Präsidentin der IG Maultier, Linda Peter, erklärt im Interview, wozu Maultiere in der Lage sind und welche Vorurteile sie ständig korrigieren muss.
Frau Peter, was können Maultiere (kurz: Mulis)?
Ein Muli kann alles, was ein Pferd auch kann. Die Vielseitigkeit ist ein grosser Vorteil. Die meisten werden geritten und in der Disziplin Bodenarbeit ausgebildet. Ein Pluspunkt fürs Reiten ist die Trittsicherheit in schwierigem Gelände. Besonders prädestiniert sind sie zum Säumen und Trekking in den Bergen. Trainierte Tiere können mit weniger Kalorien und Wasser, als es ein Pferd braucht, grössere Lasten über weitere Distanzen tragen: 150 Kilos bis zu 40 Kilometer täglich.
Maultiere wurden früher gezielt für die Arbeit gezüchtet. Wie viele gibt es heute noch, die in der Armee oder in der Landwirtschaft eingesetzt werden?
Sehr, sehr wenig. Etwa 20 Tiere sind es noch in der Armee. Ein paar wenige rücken Holz, transportieren Käse, säen auf dem Feld oder pflügen den Boden – aber kaum mehr aus Notwendigkeit. Die Maschine ist schneller und stärker, Zugtiere dafür bodenschonender und nachhaltiger. Zudem: Die Mulis wollen arbeiten. Sie sind Schwerarbeiter und unterfordert mit ein bisschen Ausreiten oder kleinen Übungen auf dem Reitplatz. Ihre Beine und ihr Kopf wollen gebraucht werden.
Verhalten sich Maultiere eher wie Pferde, weil die Mutter ein Pferd ist?
Charakterlich haben sie eher mehr vom Vatertier, weshalb es für Pferdeleute nicht einfach ist, auf Mulis umzusteigen. Pferd und Esel ticken nicht gleich. Das Muli aber trägt beides in sich. Es ist stark geprägt von der Herde, in der es aufwächst und gehalten wird. Mulis sind charakterlich, aber auch vom Aussehen her individueller als Pferde. Das macht die Zucht auch unberechenbarer: Zwei Fohlen derselben Eltern können eine ganz andere Grösse oder Farbe haben.
Wie unterscheidet sich das Lernverhalten von Maultieren im Vergleich zu Pferden oder Eseln?
Experimentelle Studien haben gezeigt, dass Mulis intelligenter sind als die Artgenossen ihrer Eltern. Intelligent heisst für uns Menschen aber nicht «gäbiger». Ein Muli stellt Befehle viel schneller infrage, checkt die Rangordnung zwischen sich und dem Menschen immer wieder ab und will selber denken. Selbst denkende «Kollegen» sind anstrengender, es braucht viel Geduld und Wissen. Aber wenn man sie einmal im Boot hat, ist das Zusammenspiel unbeschreiblich. Gut ausgebildete Mulis sind unbezahlbar, weil sie für alles zu haben sind.
Welche Rassen haben sich in der Zucht bewährt?
Man kann grundsätzlich mit jeder Pferderasse Maultiere züchten. Da gibt es keine Grenzen. In der Schweiz wurde seit jeher die Zucht des Freiberger-Maultiers staatlich gefördert. Diesen Status verlieren wir zunehmend: Die finanzielle Zuchtförderung ist ganz weg. Weil das Muli sich selbst nicht fortpflanzen kann, sind wir nicht beitragsberechtigt. Jährlich kommen in der Schweiz nur noch zwei bis drei Fohlen zur Welt.
[IMG 2]
Kann das die Nachfrage decken?
Nein. Und die Folge ist, dass wir abhängig sind von spanischen Importtieren. Spanien hat eine lange Zuchttradition – wunderbare Mulis mit eleganten Gängen, aber eben nicht die einheimische, ursprüngliche Rasse. Sie sind nicht ausgebildet oder grob behandelt worden. Ein Maultier vergisst Letzteres nicht, was wiederum die negativen Vorurteile bedient. Wir freuen uns also über jeden Pferdezüchter, der den Mut zum Maultierfohlen hat.
Welche Ausschlusskriterien für Zuchttiere gibt es?
Die Elterntiere, im Besonderen die Pferdestute, müssen charakterlich top sein, sprich: ausgeglichen und verlässlich. Das ist das A und O. Ansonsten gilt das gleiche wie in der Pferdezucht: Gesundheitlich nicht einwandfreie Tiere sind von der Zucht auszuschliessen.
Gibt es auch Ponys als Zuchtstuten?
Nein, das ist keine sinnvolle Kombination. Man züchtet Mulis seit 6000 Jahren, um die Grösse und Stärke des Pferdes mit der Genügsamkeit und Zähheit des Esels zu kombinieren. Ponys eignen sich deshalb nicht. Es gibt allerdings nicht wenige «Weideunfälle», bei denen ein Eselhengst ungeplant eine Shetty-Stute gedeckt hat. Das ergibt kleine Mulis, die für Erwachsene nicht zu reiten sind.
Was fasziniert Sie persönlich an Maultieren?
Mulis sind etwas Besonderes – in jeglicher Hinsicht. Ihr Charakter ist vielschichtiger, die Herausforderungen in der Zusammenarbeit grösser, ihre Treue aber auch. Muli und ihre Besitzenden sind oft auf eine Art seelenverwandt.
Was sind besondere Herausforderungen?
Die Vorurteile immer wieder zu widerlegen und zu beweisen, dass Mulis alles andere als stur und böswillig sind. Als Muli-Besitzerin wird man nie ganz akzeptiert und oft belächelt in der Pferdewelt. In den letzten Jahren ist man uns jedoch offener begegnet, weil man vorbildlich ausgebildete Mulis in der Öffentlichkeit zu sehen bekommt. Das ist Aufgabe der IG Maultier. Wir kämpfen dafür, dass das Muli nicht komplett von der Bildfläche verschwindet und das Wissen erhalten bleibt. Da sind wir gerne stur.
Maultier vs. Maulesel:
Pferdestute + Eselhengst = Maultier
Eselstute + Pferdehengst = Maulesel
Laut dem Historischen Lexikon der Schweiz betrug der Maultierbestand hierzulande vor 80 bis 160 Jahren durchschnittlich 3200 Tiere. Etwa zwei Drittel lebten im Kanton Wallis, wo die Zucht früh gefördert wurde. Heute ist der Bestand auf tiefem Niveau stabil. Maulesel haben sich nie durchgesetzt. Das Maultier bringt mehr gewünschte Eigenschaften mit. Zudem ist die Trächtigkeit und das Abfohlen für eine Eselstute risikoreich. Vom Aussehen her sind Maultiere und Maulesel jedoch kaum zu unterscheiden.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren