Der Grossteil unserer Rinder, schätzungsweise 85 bis 90 Prozent, tragen keine Hörner. Viele Kälber werden also noch vor ihrer vierten Lebenswoche enthornt. Unter lokaler Betäubung werden die Ansatzstellen der Hornzapfen mit einem Brennstab ausgebrannt. Dieser Prozess wird durch die Narkose schmerzlos gemacht. Jedoch ist es für die Kälber noch einige Zeit schmerzhaft, wenn sie irgendwo anstossen. Auch Phantomschmerzen sind nicht auszuschliessen und durch das Enthornen sind die Resonanz- und Druckverhältnisse im Kopf für einige Zeit oder gar das ganze Leben lang gestört.

Um diesen hornverhindernden Eingriff umgehen zu können, wird immer mehr auf die Züchtung von hornlosen Tieren gesetzt. Dies ist aufgrund der Dominanz des Erbfaktors «hornlos» über «behornt» relativ rasch zu erreichen. Es gibt einige Rassen, wie die Aberdeen Angus, Deutsch Angus, Polled Hereford und Galloway, bei denen die Hornlosigkeit seit Langem genetisch verankert ist.

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Doch was fehlt den Rindern ohne Hörner eigentlich? Das Horn ist eine Bildung aus Haut, in welche ein Knochenzapfen hineinwächst. Dieser ist durchblutet und mit Nerven versehen. Hörner dienen zur Wärmeregulierung. Da warme Atemluft bis in die Hornspitzen gelangt und die Hörner gut durchblutet sind, kann über die Hornoberfläche Körperwärme abgegeben werden.

Dank den Nervenbahnen, die sie durchziehen, sind Hörner auch Sinnesorgane, mit denen feinste Berührungen wahrgenommen werden können. Dass alle Tiere, die Hörner tragen, Wiederkäuer sind, lässt einen Zusammenhang zwischen dem speziellen Verdauungsprozess und den Hörnern vermuten. Studien dazu gibt es noch kaum, jedoch wird angenommen, dass die Hörner die aus dem Verdauungsprozess freigesetzten Kräfte aufhalten und wieder ins Tier zurückleiten.

Praktisch sind Hörner auch zur Fellpflege, etwa wenn es auf dem Rücken juckt. «Hornkühe können sich gegen natürliche Feinde wie Wölfe besser verteidigen als unbehornte Artgenossen», sagt Priska Welti. Die Urner Bergbäuerin setzt sich für die Haltung behornter Tiere ein.

Rangkämpfe ausfechten

Rinder können aber nicht nur potenziellen Angreifern mit ihren Hörnern deutlich machen, dass sie unerwünscht sind. Auf diese Weise kommunizieren die Mitglieder einer Kuhherde auch untereinander. In Rindergruppen existiert immer eine Hierarchie, die alle Mitglieder kennen, um deren Plätze jedoch immer wieder neu gerungen wird. Durch die Hierarchiegeprägt sind die Abstände, die die Kühe einander gegenüber einhalten.

Bei horntragenden Kühen sind diese mit bis zu drei Metern wesentlich grösser als bei hornlosen Tieren, wo die Individualdistanz nur etwa einen Meter beträgt. Hier liegt auch die Ursache, wieso viele Landwirte ihre Rinder enthornen. Behornte Tiere benötigen in einem Laufstall weit mehr Ausweichmöglichkeiten, was folglich einen grösseren Stall bedingt. Dies ist ein finanzieller Mehr-aufwand und auf manchen Betrieben schon rein flächenmässig kaum möglich. «Für behornte Kühe hätten wir den Stall grösser bauen müssen, mit breiteren Laufgängen, breiteren Fressgittern und grösseren Laufhöfen», sagt Hans-Rudolf Wettstein, der stellvertretende Forschungsleiter des AgroVet-Strickhof im zürcherischen Lindau. Dies sei für den Neubau des Milchviehstalles auf dem Ausbildungs- und Forschungsbetrieb aus baurechtlicher Sicht nicht möglich gewesen. Hans-Rudolf Wettstein gibt zu bedenken, dass die grösseren Laufflächen, die Hornkühe benötigen, auch mehr verschmutzte Fläche und somit eine gesteigerte Ammoniak-Emmission bedeuten.

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Bei engen Raumverhältnissen kommt es zwischen horntragenden Kühen häufiger zu Auseinandersetzungen. Dies führt zu Stress und einem erhöhten Verletzungsrisiko. Enthornte Kühe verhalten sich in der Gruppe meist ruhiger als behornte. Es kann aber auch hier durch Kopfstösse zu Prellungen oder Rippenbrüchen kommen.

Auch für den Menschen besteht im Umgang mit Hornkühen ein grösseres Verletzungsrisiko. Gerade in einem Betrieb, wo sich relativ oft unerfahrene Studierende und Lernende bewegen würden, sei die Unfallgefahr im Umgang mit Hornkühen aus ihrer Sicht zu hoch, so Hans-Rudolf Wettstein. Bei einem engen, aufmerksamen und fachmännischen Mensch-Tier-Bezug und genügend Platz ist es aber gut möglich, Kühe mit Hörnern zu halten, findet Priska Welti, die sich für die Förderung der Horntierhaltung mittels einer finanziellen Unterstützung durch das Bundesamt für Landwirtschaft ausspricht.

Denn der wirtschaftliche und zeitliche Aufwand sei deutlich grösser. Ein weiterer wirtschaftlicher Aspekt sieht Hans-Rudolf Wettstein als Grund, wieso viele Landwirte sich für die Haltung und Zucht hornloser Tiere entscheiden: Diese sind leichter verkäuflich, ihr Marktanteil liegt bei rund 85 Prozent. «Das Zuchtziel bei den Milchkühen geht deutlich in Richtung genetisch hornloser Tiere.»

Hauptsächlich dreht sich die Frage zur Haltung von Kühen mit oder ohne Horn um die Stallgrösse und -form. Die vermehrte Umstellung von Anbindeställen auf Laufställe in den vergangenen 40 Jahren hat die Enthornung nämlich befeuert. Die Haltung von Hornkühen in genügend grossen Laufställen mit schutzbietenden Liegeinseln kombiniert mit Weidegang scheint eine Lösung, die das Tierwohl gut berücksichtigt.

Fotowettbewerb für den Hornkalender 2024
Die IG Hornkuh Uri und Schwyz führt einen Fotowettbewerb für den Hornkalender 2024 durch. Noch bis Ende Juni 2023 können Fotos von Horntieren eingesandt werden. Die besten Einsendungen werden auf der Website publiziert und einige davon sogar im Hornkalender abgedruckt.
ighornkuh-uri.ch unter Fotowettbewerb