Tapsige Bewegungen, übergrosse Pfoten und ein dünnes Schwänzchen: Je kleiner und jünger eine Katze ist, desto herziger. Kein Wunder möchten denn auch viele Katzenfreunde ihre neuen Lieblinge möglichst früh mit nach Hause nehmen. Tatsächlich kommen viele «Züchter» diesem Wunsch denn auch gerne nach.

Gerade direkt ab Bauernhof wechseln Katzenbabys nicht selten bereits ab der achten Woche die Hand. Zum Beispiel Flipsi. Die schwarz-weisse Katzendame lebt seit rund einer Woche bei einer Familie in Aarau. Beim Zeitpunkt der Trennung von Mutter und Geschwistern war Flipsi gerade einmal neun Wochen alt. 

«Das ist zu früh», sagt Helen Sandmeier vom Schweizer Tierschutz STS entschieden. «Wir raten zu einer Abgabe im Alter von 12 bis 14 Wochen.» Eine Zeitspanne, die sich auch mit den Vorgaben des Schweizerischen Katzenverbands FFH deckt. Gemäss den entsprechenden Reglementen muss ein Kätzchen mindenstens 12 Wochen alt sein. «Diese 12 Wochen sind als Mindestalter zu betrachten. Je nach Wurf oder Rasse können es aber auch 14 oder sogar mehr Wochen sein», sagt Jürg Keller, Präsident des Katzen- und Edelkatzenklubs Bern. Dieses Mindestalter sei wichtig, damit die Grundimmunisierung vor der Abgabe durchgeführt werden könne. Gleichzeitig bräuchten die Jungen genügend Zeit mit Mutter und Geschwistern, damit die Sozialisierung gelinge. Fehlt diese «Kinderstube» drohen Verhaltensstörungen wie Unsauberkeit, Angst und Aggression. 

Mehr Zeit zum Angewöhnen

Gemäss Verhaltensmedizinerin Andrea Heiniger aus Wermatswil ZH lässt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt nicht mit einer fixen Wochenzahl beantworten. Vielmehr müssten verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Zwar warnt auch sie davor, dass zu früh abgegebene Katzen später ein gestörtes Sozialverhalten zeigen können. Gleichzeitig weist sie aber darauf hin, dass eine frühe Abgabe unter bestimmten Umständen durchaus angezeigt sein kann. 

Dann nämlich, wenn das Umfeld, in welchem ein Kätzchen die ersten Wochen verbringt, sich stark von seinem späteren Lebensumfeld unterscheidet – etwa in Bezug auf die Reizdichte. «In solchen Fällen holt man die Katze besser früh zu sich, eventuell sogar bereits mit acht Wochen. So hat sie die besseren Chancen, sich noch ausreichend anzugewöhnen und relativ stressfrei zu leben», sagt Heiniger. 

Einstufung in Freund und Feind

Die ersten Wochen sind gemäss Heiniger so wichtig, weil die Katze in dieser Zeit ihr individuelles Referenzsystem mit indiviuellen Referenzwerten ausbildet. Sie lernt ihr Lebensumfeld kennen mitsamt seinen Geräuschen, Gerüchen, Geschmäckern, Gegenständen und Lebenwesen – und merkt sich, wer grundsätzlich ungefährlich und Freund beziehungsweise gefährlich und Feind ist. Nach den ersten paar Wochen werden alle neuen Reize mit bereits bekannten verglichen. Findet die Katze einen vergleichbaren Referenzwert, den sie als ungefährlich erlebt hat, wird der neue Reiz als ungefährlich eingestuft und alles ist gut. Findet die Katze hingegen keinen ähnlichen Referenzwert, bedeutet dies eine potenzielle Gefahr und löst Angst aus. 

Entsprechend wichtig ist es darum, dass eine Katze in den ersten sieben Wochen lernt, dass Menschen grundsätzlich gut und nett sind. «Katzen, die bis zu diesem Zeitpunkt zu wenig, gar keine oder schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, werden ihr ganzes Leben lang Menschen gegenüber mehr oder weniger stark misstrauisch sein», sagt Heiniger.

Kommunikation von der Mutter lernen

Auch wenn es im Einzelfall also besser sein kann, ein Kätzchen früh von seinem Erst-Umfeld zu trennen, gibt es unbestrittene Nachteile, nämlich Defizite im Sozialverhalten. «Im geschützten Umfeld und unter Anleitung und Aufsicht der Mutter lernen und trainieren die Jungen eine fein abgestufte Kommunikation sowie Konfliktlösungsstrategien», erklärt Heiniger. Diese Lernzprozesse dauerten zwar bis ins Erwachsenenalter an, die «grossen Meilensteine» würden aber eben in der frühen Kindheit gesetzt. Darum plädiert auch Heiniger dafür, dass man eine Katze, welche in einem wie beschrieben passenden Umfeld aufwächst, eben doch bis mindestens bis zur zwölften Woche bei der Mutter lässt.

Ob die Jungen länger als diese zwölf Wochen in ihrem ersten Zuhause gelassen werden können, hängt nicht zuletzt davon ab, ob und wie stark sich die Mutter noch um ihre Jungen kümmert – und ob sie ihnen überhaupt noch gewachsen ist. «Für eine Kätzin mit sechs oder sogar mehr Jungen kann es sehr anstrengend sein, sich um all diese ‹Teenager› zu kümmern», sagt Heiniger. Wenn man merke, dass die Kätzin genervt und überfordert sei, sei der Zeitpunkt für den Auszug gekommen. 

Gut beobachten müsse man auch, ob einzelne Tiere von ihren Geschwistern gemobbt und belästigt würden. Nach der zwölften Woche entwickelten die Kätzchen nämlich geschlechtertypische Verhaltensweisen. So würden etwa die Kater ihre Liebe zu Raufspielen entdecken und damit ihre inzwischen körperlich unterlegenen Schwestern und unter Umständen auch die Mutter überfordern. Auch dies könne ein Signal dafür sein, dass eine Trennung nötig sei: «Sonst üben die Katerchen kein gutes Sozialverhalten, sondern mobben und pöbeln und die Geschwister machen schlechte Erfahrungen und bekommen Angst vor anderen Katzen.»

Stabiles Fundament

Am besten finde man ein Kätzchen, welches in einem reichhaltigen Umfeld gross werde und mindestens bis zur zwölften Woche bei der Mutter und den Geschwistern bleiben könne, lautet Heinigers Fazit: «Andernfalls fehlen dem Kätzchen Lebenserfahrungen, die nur noch gepflastert werden können. Aber diese ‹Pflaster› sind niemals gleich belastbar wie ein solides und gutes Fundament.»

Katze Flipsi hat gemäss den Ausführungen von Heiniger bezüglich Umfeld gute Aussichten. Sowohl auf dem Bauernhof als auch an ihrem jetzigen Lebensplatz gehen viele Leute ein und aus und das Kätzchen wird intensiv gestreichelt und unterhalten. Ob sie aber längerfristig Probleme mit anderen Katzen hat oder etwaige Verhaltensstörungen zeigt, weil sie bereits mit neun Wochen von der Mutter und den Geschwistern getrennt wurde, wird sich erst noch zeigen.