Interview
«Von Wühlmäusen lernen wir auch etwas über uns»
Während Hausmäuse in Gebäuden leben, fühlen sich Wühlmäuse draussen wohl. Ihre Anwesenheit kann trotzdem Ärger verursachen. Welche Rolle dabei die Persönlichkeit der Tiere spielt und was Forscher von den kleinen Nagern noch alles lernen können, das weiss die Biologin Jana Eccard.
Frau Eccard, was unterscheidet Wühlmäuse von anderen Mäusen?
Äusserlich durch die kleineren Ohren und kurzen Schwänze. Insgesamt ist der Körper kompakter. Aber sie fressen auch etwas anderes: Wühlmäuse leben von Gräsern und Samen, während echte Mäuse (das ist die zoologisch korrekte Bezeichnung für Ratten und Mäuse) Allesfresser sind und auch gerne mal Fleisch fressen. Ansonsten gibt es bei beiden Nagetiergruppen grössere und kleinere Arten, Waldbewohner und Wiesenbewohner, Einzelgänger und solche, die in Gruppen leben.
Kann es denn passieren, dass man Wühlmäuse im Garten hat?
Wenn sie sich unter dem Zaun durchwühlen können und es in Ihrem Garten nett ist, dann bleiben sie gerne.
Wie erkennt man das bzw. was unterscheidet die Wühlmaus vom Maulwurf?
Feldmäuse, die auch zu den Wühlmäusen gehören, haben offene Bauten mit Ein- und Ausgängen. Zwischen den Löchern kann man Laufgänge erkennen und kleine Abbissstücke von Grashalmen finden. Die Schermaus, die grösste der Wühlmause, ist schwieriger vom Maulwurf zu unterscheiden, da beide die Ausgänge der Bauten verwühlen. Der Maulwurf schiebt die Erde senkrecht nach oben aus dem Loch, während die Schermaus seitlich schiebt. Der zugewühlte Ausgang befindet sich beim Maulwurf also direkt mittig unter dem Erdhügel oder bei der Schermaus seitlich am Rande. Wenn Sie die beiden unterscheiden wollen, können Sie den Hügel vorsichtig abtragen und nach weicher Erde stochern, sie verrät die Position des Eingangs.
Wie werde ich die Wühlmäuse wieder los?
Üben Sie sich in Gelassenheit. Wühlmäuse kommen und gehen in Wellen, in manchen Jahren gibt es gar keine Tiere, in anderen ist alles voll. Machen Sie die Bereiche, die Ihnen wichtig sind, wühlmaussicher, indem Sie ein Drahtgitter eingraben. Das klappt gut bei Hochbeeten oder neugepflanzten Obstbäumen. In grossräumigeren Bereichen ist auf Katzen und die Natur am ehesten Verlass, denn die Wühlmauspopulation bricht nach dem Sommer eh zusammen. Wenn es in einem Jahr wenig Wühlmäuse gibt, können Sie auch versuchen, sie mit Geräuschen oder Gerüchen zu vergrämen, aber in Jahren mit vielen Tieren können die aus ihrem Garten nirgendwo hin, wo nicht schon andere wohnen, sie müssen also bleiben. Und selbst wenn Sie die Wühlmäuse in solchen Jahren vergiften würden, rücken neue aus dem Nachbargarten nach.
Was macht Wühlmäuse für die Forschung interessant?
Wir können ihr ganzes Leben und das ihrer Kinder in einem Sommer erforschen. Damit erfahren wir Dinge über Kompromisse im Leben, über Konsequenzen einer Strategie, die wir an langlebigen Tieren gar nicht erfassen könnten. Zudem sind Wühlmäuse Säuge Tiere wie zum Beispiel Insekten. Wir lernen an ihnen also auch etwas über uns. Zum Beispiel haben auch Wühlmäuse verschiedene Persönlichkeiten.
Wie äussert sich das?
Es gibt mutige Tiere, die für die Suche nach Nahrungsquellen oder Paarungspartnern grosse Risiken aufnehmen. Dieses kann belohnt werden, aber auch tödlich enden, weil Wühlmäuse die Lieblingsspeise vieler Raubsäuger und Raubvögel sind. Andere Individuen sind scheuer, sie finden vielleicht nicht so viel Nahrung und haben weniger Paarungspartner, können dies aber durch Langlebigkeit ausgleichen. So können beide Strategien nebeneinander existieren und je nach Umwelt mehr oder weniger von Vorteil sein. Zum Beispiel müssen Mäuse in der Stadt flexibler und innovativer sein. Sie können neue Futterquellen schneller erschliessen und sind nicht so ängstlich. Ob sie dieses durch das Leben in der Stadt lernen oder ob diejenigen, die es nicht lernen können, in der Stadt schneller aussterben und die Fähigkeiten bereits genetisch fixiert sind, ist aber noch unklar.
Hausmäuse und Ratten gelangten durch den Menschen in alle Teile der Erde. Wie sieht es mit der Wühlmaus aus?
Wir haben kürzlich eine Wühlmauspopulation in Irland untersucht, deren Vorfahren vor etwa 100 Jahren durch Baumaterialen versehentlich dorthin verschleppt wurden. Es gab vorher gar keine Wühlmäuse in Irland, nur echte Mäuse. Die Wühler haben sich ausgebreitet und tun dies immer noch, wobei sich die Ausbreitungskante der Wühlmauspopulation langsam über ganz Irland schiebt. Das geht mittlerweile seit vielen Hundert Generationen so, weil Wühlmäuse sich mehrmals im Jahr fortpflanzen.
Und sind die mutigsten Tiere die schnellsten «Entdecker»?
Wir sind in viele irische Wälder gefahren und haben dort Wühlmäuse kurz gefangen und in einem Tierpersönlichkeitstest untersucht. Und haben festgestellt: im Gegenteil! Es ist eine Population von ganz vorsichtigen und flexiblen Pionieren entstanden, die es nur entlang dieser Ausbreitungskante gibt. Erst wenn sich die Population etabliert hat, rücken andere Persönlichkeitstypen nach, die nicht so vorsichtig und nicht so flexibel sind und vermutlich konkurrenzstärker untereinander. Scheinbar braucht es ganz andere Eigenschaften, um sich in einer unbewohnten Welt zu etablieren als sich in einer von Artgenossen bereits bewohnten Welt durchzusetzen. Wer weiss, vielleicht trifft das auch auf Menschen zu!
Zur PersonJana Eccard ist Professorin für Tierökologie an der Universität Potsdam, Deutschland. Sie beschäftigt sich damit, wie Tiere an die Umwelt angepasst sind und welche Vor- und Nachteile ihnen bestimmte Verhaltensweisen bringen. Insbesondere die Persönlichkeit und Lernfähigkeit von Kleinsäugern wie Wühlmäusen sind Teil der Forschung ihrer Arbeitsgruppe.
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