Der orange Riese befindet sich im Wandel: Letzten Oktober gab die Migros bekannt, die Preise von mehr als 1000 Produkten auf Tiefpreis-Niveau senken zu wollen. Das betrifft nicht nur Alltags-, sondern auch Fleischprodukte. Doch dies hat seinen Preis: Gegenüber der Samstagsrundschau von SRF bestätigte Konzernchef Mario Irminger im November, dass die Migros das Ziel aufgegeben habe, bei Importfleisch gleiche Mindeststandards zu garantieren wie bei Schweizer Fleisch. Er lässt durchblicken, dass die Gründe finanzieller Natur sind. Die Migros kläre Kundinnen und Kunden zwar über Ökologie und Nachhaltigkeit auf. Aber: «Wir haben keinen erzieherischen Auftrag. Wir verkaufen das, was gefragt ist», so Irminger.

Pro Nutztier, Stiftung für das Tier im Recht (TIR) und der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen (DBT) sowie 67 weitere Institutionen wandten sich am 27. Januar in einem offenen Brief an die Migros-Direktion. «Dieser Entscheid widerspricht diametral dem von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler geprägten Grundsatz der gesellschaftlichen Verantwortung der Migros», ist im Brief zu lesen. Zudem verletze sie dadurch ihr konkretes Versprechen an die Generation M, die Schweizer Tierhaltungsstandards bei all ihren Produkten aus dem Ausland einzuführen. «Dieser Vertrauensbruch macht das beteuerte Nachhaltigkeits-Engagement der Migros unglaubwürdig.» Die Organisationen appellieren an den orangen Riesen, den Entscheid aus mehreren Gründen zu überdenken.

«Handel prägt Konsumverhalten»

Die Aussage von Mario Irminger, dass die Migros keinen erzieherischen Auftrag habe, bezeichnen die Tierschutzorganisationen als «realitätsfern»: «Menschen greifen zu Produkten, die attraktiv und günstig sind – egal, ob sie anderen schaden.» Der Handel präge das Konsumverhalten durch die Produkte, die er anbietet. Er könne sich seiner Verantwortung nicht entziehen, sondern müsse Vorbild sein. Als Beispiel wird im Brief der Import von Käfigeiern genannt: 1987 teilten Migros und Coop ihren Lieferanten mit, keine Käfigeier mehr anzunehmen. «Nachdem der Handel sich dazu entschieden hatte, diese nicht mehr anzubieten, wurden sie seitens Kundschaft nicht mehr vermisst», argumentieren die Organisationen im Brief. Als erstes Land weltweit hat die Schweiz die Käfighaltung für Legehennen fünf Jahre später verboten.

Produkte zu importieren, die unter Bedingungen erzeugt werden, die in der Schweiz verboten sind, heble den hierzulande geforderten Tierschutz aus. «Das Anbieten von Billigfleisch durch die Migros führt dazu, dass im Ausland die Produktion tierquälerisch erzeugter Produkte gefördert wird», schreiben die Tierschutzorganisationen. Werde der Markt von billigem Importfleisch überschwemmt, das unter tierquälerischen Bedingungen produziert wurde, erschwere dies den einheimischen Anbietern, konkurrenzfähig zu produzieren. Das gefährde sowohl die Existenz dieser Betriebe als auch Arbeitsplätze. «Die Konsumentinnen und Konsumenten vertrauen darauf, dass Produkte im Migros-Regal ethisch vertretbar sind», wird Deborah Bätscher, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin bei der TIR, in einer Mitteilung zitiert. «Wenn dieses Vertrauen missbraucht wird, verliert die Migros nicht nur ihre Vorbildrolle, sondern auch die Glaubwürdigkeit, die sie sich über Jahre aufgebaut hat.»

Der Importanteil beim Fleisch sei niedrig, schreibt der orange Riese am 20. Februar in einem online veröffentlichten Text. «Grundsätzlich setzt sich die Migros auch bei Fleisch aus dem Ausland für das Tierwohl ein – entgegen anderslautenden Vorwürfen von Tierschutzverbänden.» Bei diversen Produkten habe die Migros erreichen können, dass auch die Importe dem Schweizer Tierschutzgesetz entsprechen. «Eine Ausweitung auf alle Produkte ist nicht möglich. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Migros nur Teilstücke bezieht oder nur zeitlich beschränkt importiert.» Sie werde auch künftig Anforderungen an Importprodukte stellen – «wann immer möglich mit hohen Tierwohlanforderungen.»