Mit einer kleinen Taschenlampe bewaffnet erklimmt Simon Schürch eine lange Metallleiter, die an einen Baum gelehnt ist. Oben hängt ein hölzerner Nistkasten, in dessen runde Öffnung der junge, grossgewachsene Mann hineinleuchtet. «Hier brütet eine Tannenmeise, es sind sechs Eier zu sehen», ruft er von oben herunter. Auf einem Notizblock schreibt er nieder, welche Vogelart in dem Kasten brütet. «Bei dieser Aktion sind wir immer zu zweit oder zu dritt unterwegs, denn es gibt viele Nistkästen zu kontrollieren», so Schürch. Durch die jährlichen Kontrollen der künstlichen Nisthilfen lassen sich über die Jahre Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Brutvögeln beobachten. Währenddessen beschwert sich das Tannenmeisen-Weibchen mit lautstarkem Gezeter auf dem benachbarten Baum über die Eindringlinge in ihrem Territorium.

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Der 21-jährige Simon Schürch ist Mitglied und Beisitzer im Natur- und Vogelschutzverein Wasen, einem von rund 500 Vereinen dieser Art in der Schweiz. Die Vereine widmen sich dem Schutz der einheimischen Vögel, aber auch der Natur. Schürch erklärt: «Man muss sich bewusst sein, dass es den Vögeln allein nicht hilft, Nistkästen aufzuhängen. Auch die Lebensräume der Tiere müssen geschützt und gefördert werden, damit die Arten in Zukunft fortbestehen können.» Das Wissen des jungen Hobby-Ornithologen über die Vogelarten der Schweiz ist erstaunlich gross. Angeeignet hat er sich dieses in den letzten drei Jahren mit der Unterstützung von Vereinspräsident und Mentor Martin Leuenberger. «Durch ihn habe ich fast alles gelernt, was ich heute über Vögel weiss.»

Ornithologie statt Fussball

Sein Interesse an den gefiederten Tieren äusserte sich bei Simon Schürch bereits in der 9. Klasse, als er seine Abschlussarbeit über Zugvögel verfasste. Einem Veranstaltungshinweis in der Zeitung folgend, besuchte der Naturfreund daraufhin einen Vortrag des Natur- und Vogelschutzvereins Wasen. Inspiriert vom Referenten, reifte die Idee in ihm heran, sich für den Vogelschutz stark zu machen.

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Seit seinem ersten Arbeitseinsatz für den Verein im Jahr 2020 ist er oft mit dabei und hat im kleinen Emmentaler Dorf Wasen eine zweite Heimat gefunden. Manchmal ist er mehrere Abende in der Woche in der malerischen Landschaft unterwegs und auch Wochenenden opfert der junge Mann für seinen ehrenamtlichen Einsatz. Nach Arbeit fühle es sich jedoch nie an, denn Spass mache es immer. «Es ist definitiv kein Hobby, das jeder hat», berichtet Schürch. «Manchmal werde ich deswegen auch belächelt, und nicht immer verstehen Freunde und Familie, warum ich freiwillig so viel Zeit investiere.» Das sei ihm jedoch egal, für ihn fühlt es sich einfach richtig an. Denn was ihn an der Vereinsarbeit fasziniert, sind bei Weitem nicht nur die Vögel, auch der Zusammenhalt und die Freundschaften, die bei der Vereinsarbeit entstanden sind, sind ihm sehr wichtig.

29 Aktivmitglieder zählt der Verein, Schürch ist das zweitjüngste Mitglied. Nachwuchs zu finden sei schwierig, erklärt er. «Junge Leute in meinem Alter haben kaum mehr Interesse an der Natur. In ihrer Freizeit beschäftigen sie sich mit anderen Dingen.» Gerade deshalb wird sein Einsatz von den älteren Vereinsmitgliedern sehr geschätzt. Aus einer glücklichen Fügung heraus widmet sich der Tierpflegerlehrling nicht nur privat, sondern auch beruflich den Vögeln. Nach einem Zivildiensteinsatz bei der Stiftung Wildstation Landshut ergriff Schürch die Chance und absolviert in dem Spital für einheimische Wildtiere seine Zweitausbildung. Hier verarztet er routiniert Buchfink, Bachstelze oder Amsel, verabreicht Medikamente und stopft im Frühling unzählige Schnäbel aus dem Nest gefallener Jungvögel.

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Nach der Kontrolle der Nistkästen ist der Tag für Simon Schürch noch nicht vorbei, denn er möchte einen Zwischenstopp beim Kirchturm in Wasen einlegen. Schon von Weitem lassen sich die schrillen Schreie der Mauersegler und der Alpensegler vernehmen. Mit einem Fernglas beobachtet Schürch das geschäftige Treiben der aus dem Turm ein- und ausfliegenden Vögel. Der Verein installierte hier vor vielen Jahren Nistkästen für die wendigen Flieger. «Wenn ich hier den Vögeln zuschauen kann, bin ich glücklich», sagt der junge Ornithologe. «Einen Fernseher brauche ich da nicht.» Etwa 300 Mauerseglerpaare und 80 Alpenseglerpaare betreuen er und seine Vereinskollegen. Geht es um Vögel oder um seine Vereinsarbeit, blüht Simon Schürch auf und weiss viel Wissenswertes zu erzählen. «Segler finden trotz rasantem Flug immer auf Anhieb ihren eigenen Nistkasten wieder, nicht so wie die Spatzen, die auch mal im Nest vom Nachbarn landen», erzählt er sichtlich begeistert.

Bunsenbrenner gegen Parasiten

Nicht nur die Segler, auch viele andere Vögel verlangen eine ganzjährige Aufmerksamkeit. Die Vereinsarbeit ist vielfältig. Rund 1000 Nistkästen für verschiedene Arten betreut und unterhält der Natur- und Vogelschutzverein Wasen. Neben den tierischen Kontrollen im Frühling, wird die Arbeit auch im Winter nicht weniger. Aus den vielen Nistkästen müssen die alten Nester entfernt und Parasiten abgetötet werden. Das geschieht mit Hilfe eines Bunsenbrenners, mit dem alle Nistkästen abgeflammt werden, um den Brutvögeln im folgenden Frühjahr einen unbeschwerten Start in die Brutsaison zu ermöglichen. Daneben müssen die künstlichen Brutmöglichkeiten repariert und neue gebaut werden. Ob für Segler, Waldkauz oder Wasseramsel, die Vereinsmitglieder stellen unterschiedlichste Nistkästen in einer Werkstatt selbst her. Die in Handarbeit gefertigten Kunstnester können über die Vereins-Website erworben werden. Besonders die Nester für Segler und Schwalben kommen gut an. Tausende von ihnen werden jährlich in die ganze Schweiz verschickt.

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Auf verschiedenen Arbeitseinsätzen durch das Jahr pflegen Vereinsmitglieder zudem Hecken, montieren Nistkästen oder mähen Blumenwiesen. Ebenso ist die Umweltbildung ein wichtiges Anliegen des Vereins. Führungen für Schulklassen oder Projekte wie der Umwelttag werden durch den Verein durchgeführt. Dabei schwingt jeweils die Hoffnung mit, das Interesse für den Vogel- und Naturschutz bei den Kindern zu wecken und zukünftige Vereinsmitglieder zu gewinnen. «Wir sind immer auf der Suche nach neuen Mitgliedern», sagt Simon Schürch. «Finden wir keine, ist die Zukunft des Vereins ungewiss.»

Langsam legt sich die abendliche Dämmerung über das Dorf Wasen und die umliegenden grünen Hügel und es kehrt eine beruhigende Stille ein. Man kann gut verstehen, warum der junge Vogelfreund so gerne einen Grossteil seiner Freizeit hier verbringt. «Vor allem zur Brutzeit im Frühling und Sommer bin ich abends viel draussen unterwegs», erzählt Simon Schürch. Dabei lässt er die Mauer- und Alpensegler nicht aus den Augen und greift immer wieder zu seinem Fernglas. «Manchmal sitze ich mehrere Stunden hier am Kirchturm und geniesse es, die Tiere zu beobachten. Auch bei mir zuhause sehe ich gerne den Schwalben zu, die um das Haus fliegen. Das entschleunigt, entspannt und ich kann meine Gedanken neu sortieren.»

Wer Interesse daran hat, ein handgefertigtes Kunstnest oder einen Nistkasten des Natur- und Vogelschutzvereins Wasen zu erwerben, und damit den Verein zu unterstützen, findet hier den Link zum Vereinsshop. 

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