Kaum fällt der weisse Lichtkegel auf die Spinne, zuckt sie zusammen und geht ein paar Zentimeter weiter hinter der Baumrinde in Deckung. «Ich weiss, das magst du nicht», murmelt Gino Mammone, lässt die Taschenlampe aber erst sinken, als das Foto im Kasten ist. «Tut mir leid», fügt er noch einmal hinzu, setzt den Deckel wieder auf das Terrarium und stellt den Glaskasten vorsichtig zurück ins Regal. Der Raum in seiner Wohnung, in welchem der 46-Jährige steht, ist bis oben hin mit Vogelspinnen gefüllt. Manche, wie die Blaue Ornament-Vogelspinne (Poecilotheria metallica), die er eben herausgeholt hat, leben in einem nur rudimentär eingerichteten Terrarium. Eine ordentliche Schicht Bodengrund, ein Wassernapf, eine Baumrinde als Versteckmöglichkeit. Andere Vogelspinnen wiederum, insbesondere die erst wenige Millimeter grossen und eher heiklen Jungtiere, kommen lediglich mit einem Plastikbehälter und einem angefeuchteten Wattepad aus.

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Haltung ist kein Kinderspiel

«Vogelspinnen sind sehr genügsame Tiere», erklärt der Züchter und lässt den Blick über die Behälter schweifen. Auch in freier Wildbahn würden die Arachnoiden keine weiten Wanderungen unternehmen. Denn haben sie einen sicheren Unterschlupf gefunden, kommen sie nur zum Jagen heraus. Und auch hier heisst es: Sobald das Futter erbeutet ist, zurück nach Hause. Möglichst wenig unnötige Energie verschwenden. Einen Bewegungsdrang verspüren Vogelspinnen nicht, einige verstecken sich gar und harren wochenlang am selben Ort aus, etwa während der Häutung. Deshalb sei es laut Gino Mammone auch zulässig, die Tiere in eher kleinen, karg eingerichteten Terrarien zu halten. 30 x 30 x 30 Zentimeter lautet die Standardgrösse, sie eigne sich aber sicher nicht für alle Arten. Viele brauchen auch mehr Platz. Die Haltung von Vogelspinnen ist nämlich kein Kinderspiel, es gilt einiges zu beachten.

Die drei Lebensweisen

Wichtig ist es, erst einmal zu wissen, welche Lebensweise die jeweilige Spinne bevorzugt. Es gibt drei Kategorien: Boden-, Baum- und Röhrenbewohner. Weil Erstere meist grösser und massiger als andere Vogelspinnen sind, halten sie sich vorwiegend in Bodennähe auf. Sie graben kleine Erdlöcher unter Wurzeln oder Steinen, in denen sie vor Feinden geschützt ihrer Beute auflauern können. Das traute Heim verlassen sie nur äusserst ungern. Fühlen sie sich wohl und erhaschen genug zu Fressen, bleiben Bodenbewohner gerne ein Leben lang in ihrem Loch. Das Terrarium einer solchen Spinne braucht also nicht viele Klettermöglichkeiten, dafür aber ein hübsches Versteck und eben genügend Bodengrund. Denn auch wenn sie eher an der Oberfläche bleiben, können die Tiere doch auch hervorragend buddeln. Bei hohen Temperaturen, wie etwa im letzten Sommer, dringen sie schon mal bis zu 30 Zentimeter ins kühle Erdreich ein.

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«Der Biss einer Vogelspinne tut nicht mehr weh als ein Wespenstich.»

Gino Mammone

Baumbewohner bevorzugen für ihr Zuhause Baumhöhlen oder Astlöcher. Dank ihres schlanken und eher kleinen Körperbaus passen sie problemlos in sie hinein. Das Terrarium solcher Spinnen sollte genügend hoch und mit verschiedenen Klettermöglichkeiten ausgestattet sein. Lange Äste etwa eignen sich hervorragend, ebenso Baumrinden, wie man sie im Tierfachhandel erwerben kann. «Im Gegensatz zu den Bodenbewohnern sieht man diese Spinnen eher selten», erklärt Gino Mammone, «sie leben sehr zurückgezogen in ihrem Baumloch».

Ähnlich verhält es sich mit Röhrenbewohnern, auch sie seien für Halterinnen und Halter eher uninteressant. «Sie leben wirklich ausschliesslich im Boden und zeigen sich praktisch nie.» Diese Vogelspinnen graben tiefe Wohnhöhlen, die meist senkrecht in den Erdboden ragen und dann in einer gewissen Tiefe erst in eine andere Richtung abbiegen. Am Ende des Ganges findet sich die Wohnhöhle der Spinnen. In der freien Natur können diese Gänge mehrere Meter lang werden, weshalb diese Tiere auch für die Heimhaltung genügend grosse Behälter benötigen. Gino Mammone holt eine grosse Plastikbox hervor, in deren Deckel und Seitenwände mehrere Luftlöcher geschnitten und mit Gittern verkleidet wurden. Die Box ist zwar komplett mit Erde gefüllt, doch ganz am Rand erspäht der Züchter das Erdloch der Spinne. Ein paar Knopfaugen inmitten des massigen, braunen Körpers blicken ihm kurz entgegen, dann verschwindet das Tier auch schon tiefer in seiner Höhle.

Faszination als Krankheit

Gino Mammones erste Spinne war eine Brachypelma boehmei – oder eine «Böhmi», wie er mit einem Schmunzeln sagt. Vor über 20 Jahren bekam er diese Mexikanische Orangebein-Vogelspinne von seiner Lebenspartnerin geschenkt. «Vorher habe ich mich eigentlich nicht gross für Spinnen interessiert», blickt er zurück, «aber sie fand wohl, das würde zu mir passen.» Ein wenig komme die Faszination für exotische Tiere wohl auch durch seine Familie. Der Grossvater arbeitete an der Universität mit Schlangen und zeigte diese jeweils seinen Enkelkindern. Nach dem ersten Exemplar dauerte es beim Logistikfachmann nicht lange, bis er sich komplett in der Welt der Vogelspinnen verlor. Bereits einen Monat nach der ersten holte er sich die zweite Spinne nach Hause. «Man rutscht da so rein», sinniert er. Gerade auch weil die Freundin in einem Zoofachgeschäft arbeitete, sass er an der Quelle, knüpfte Kontakte zur Szene, holte sich immer neues Wissen und stiess auf immer neue, spannende Vogelspinnen-Arten. Die Faszination sei wie eine Krankheit, sagt er: «Man steckt sich immer mehr an.» Heute leben er und seine Partnerin mit rund 1000 Vogelspinnen unter einem Dach. Wie viele es genau sind, kann Mammone aber nicht sagen. «Ich habe schon lange nicht mehr nachgezählt.»

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Bei einer solchen Menge verwundert es wenig, dass der Züchter und Liebhaber seinen Spinnen keine Namen gibt. Angeschrieben sind die Terrarien und Behälter jeweils mit der wissenschaftlichen Bezeichnung – selbst jene Tiere, die einen Stock weiter unten im Wohnzimmer leben, tragen keine Kosenamen. Während im Zimmer oben alles eher praktisch gehalten ist, sind die Terrarien hier unten aufwendiger eingerichtet. Äste mit frischem Grün liegen in den einen, kleine weisse Kieselsteine in den anderen, und die Rückwand von mehreren ist mit einem Bild beklebt. «Die Deko ist nur für uns Menschen», erklärt Gino Mammone und geht seine Lieblinge durch. Die Xenesthis spec. blue mit den bläulich schimmernden Beinen präsentiert sich mitten in ihrem Terrarium, die Chilobrachys natanicharum hingegen hat sich in der hintersten Ecke ihres komplett zugespinnten Behälters versteckt. Ebenfalls einen guten Blick erhascht er auf die Grammostola anthracina, eine fast schwarze und im Handel eher seltene Art aus Brasilien. Sie sitzt seelenruhig im Terrarium, den Popo in Richtung Glasscheibe gedreht. An der Aussenseite des Behälters haftet ein Stück Malerklebeband, auf dem steht: «Verpaart, 25.6.23».

Vogelspinnen zu halten, ist das eine, Vogelspinnen zu züchten, das andere. Damit sich Weibchen und Männchen fortpflanzen, braucht es viel Wissen – und ein wenig Glück. Zunächst muss der natürliche Zyklus der Spinne eingehalten werden. Dazu gehört nicht nur ein strikter Tag-Nacht-Rhythmus, sondern bei gewissen Arten auch eine Winterruhe. Geht es einem nur um die Vogelspinne als Haustier, kann man das Terrarium ohne Probleme das ganze Jahr über im Wohnzimmer stehen lassen, wo konstante Temperaturen herrschen. Für die Winterruhe hingegen sollte die Temperatur auf etwa zehn Grad herabgesenkt werden, kälter sollte es nicht sein. Gino Mammone stellt seine Tiere dazu in den Keller, wo er das Klima weiterhin überwacht. Denn auch was die Luftfeuchtigkeit anbelangt, gibt es anspruchsvollere Arten.

Stimmen die Verhältnisse, kommt die Portion Glück dazu. Denn nicht jedes Weibchen akzeptiert auch jedes Männchen. «Ich muss den richtigen Bock finden», so Mammone, «und danach versuche ich, ihn zu retten.» Vogelspinnen-Weibchen tendieren nämlich dazu, ihre Partner nach dem Liebesspiel zu verspeisen. Eine Verpaarungsaktion braucht also viel Aufmerksamkeit des Züchters, falls er sein Männchen danach wieder heil herausholen will.

Der Kokon und die Slings

Ist das Weibchen erst einmal befruchtet, macht es sich daran, den Kokon zu bauen. Dabei handelt es sich um eine Art Teppich aus Spinnseide, auf welchem später die Eier abgelegt und daraufhin mit einer weiteren Schicht Netz bedeckt werden. Nun bewacht das Muttertier den Kokon so lange, bis die Eier darin geschlüpft sind und sich die Larven zu sogenannten Nymphen weiterentwickelt haben. In diesem Stadium muss Gino Mammone besonders gut aufpassen, denn sowohl in der freien Natur als auch im Terrarium kommt es vor, dass das Muttertier den Kokon auffrisst, sobald sich darin die ersten Regungen tun, weil dadurch ihr Fressreiz geweckt wird. Im Idealfall öffnet das Weibchen aber ihren Kokon, sodass die Jungtiere entweichen können.

Hier kommt der Züchter in Spiel: Er separiert das Muttertier von den Nymphen und packt Letztere einzeln in einen Behälter – meist kleine Plastikboxen, in welchen normalerweise Heimchen geliefert werden. Hier leben die Spinnen, ernähren sich vom dargebotenen Futter und vollziehen eine Häutung nach der anderen. Wie oft und in welchem Abstand sie dies tun, ist ganz von der Art abhängig. Während die abgeworfene Haut für die Vogelspinnen selbst uninteressant ist, freut sich Gino Mammone immer, wenn er eine solche bei seinen Zöglingen findet: «Nur anhand von ihnen kann ich bestimmen, welches Geschlecht die Tiere haben.» Unter dem Mikroskop sucht er nach den Geschlechtsteilen der Arachnoiden: Findet er innen zwischen dem ersten Buchlungenpaar einen Hautlappen, die sogenannte Spermathek, handelt es sich wohl um ein Weibchen. Ist die Stelle hingegen flach, stammt die Haut wohl von einem Bock.

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Bis er das Geschlecht der Spinnen bestimmt hat, werden diese Slings genannt. Zwischen 15 und 30 Franken kosten unbestimmte Tiere, ausgewachsene kosten bei Gino Mammone bis zu 100 Franken. Der Preis hänge aber immer vom vorhandenen Angebot ab – hat der Züchter gerade weniger Tiere da, könne der Preis durchaus höher sein. Kaufen kann man über seinen Internetshop Vomagi.ch aber nicht nur Vogelspinnen, auch Skorpione und Tausendfüsser werden von ihm gezüchtet. Die meisten Tiere verkauft er an speziellen Börsen, auf denen sich die Liebhaber exotischer Tiere treffen. Hier trifft sich die Szene, «eine grosse, aber dennoch überschaubare Familie», und tauscht Erfahrungen aus. Die Kundschaft sei sehr breit gefächert, von Sammlern über Liebhaber bis hin zu Neulingen. Wie bei Mammone bleibe es selten bei nur einem Achtbeiner: «Meine Stammkundschaft hat denselben Ecken ab wie ich.»

Gino Mammones Spinnen wirken ruhig, fast schon zutraulich, wie sie so in ihren Terrarien sitzen und sich im Stillstand üben. Und doch: Je näher die Kamera geht, je deutlicher die Augen und Beissklauen der Spinnen werden, desto mehr gerät der Laie ins Schaudern. Mit ihren acht Beinen und den hektischen Bewegungen sind uns Vogelspinnen fremd – und die Angst vor ihnen gesellschaftlich verankert. Vorurteile, gegen die auch der Liebhaber immer wieder ankämpft. «Vogelspinnen sind nicht gefährlich», erklärt Mammone und lässt den Blick über seine Haustiere schweifen, «klar, sie können beissen, aber das tut nicht mehr weh als ein Wespenstich.» Die Symptome wiederum können je nach Art und Verträglichkeit auch bis hin zu Krämpfen oder Kreislaufstörungen reichen. Er selbst sei aber noch nie gebissen worden. «Solange man vernünftig ist, kann nichts geschehen.» Dazu gehöre es auch, die Tiere nicht unnötig zu stressen. Vom «Hämpfele» rät der Experte aber eindringlich ab: Vogelspinnen wollen in Ruhe gelassen und mit Staunen beobachtet werden, nicht gestreichelt oder herumgetragen. Und so verschwindet auch Mammones Taschenlampe wieder in der Schublade. Genug gestört für einen Tag.