Grosser Auftritt im Bergwald
Der Showtänzer im Vogelreich
Auerhühner sind die grössten wild lebenden Hühnervögel der Schweiz, doch kaum jemand hat sie je gesehen. Sie schaffen es, in einem so dicht besiedelten Land ein verborgenes Leben in Nadelwäldern höherer Lagen zu führen. Auf Spurensuche nach einem spektakulären Vogel.
Der Vollmond schimmert zwischen Rottannen, Schneeflecken reflektieren das kalte Licht und der Ruf eines Waldkauzes hallt durch den lichten Wald. Ein leichter, kalter Wind zieht ab und zu über die einsame Waadtländer Jurahöhe. Eine Aprilnacht abseits der Zivilisation? Nicht ganz! Im Mondlicht zeichnet sich die Silhouette eines Tarnzelts ab. Darin schläft, eingekuschelt in einen dicken Schlafsack, ein Mann mit kurzen grauen Haaren und Drei-tagebart. Doch der Schlaf dauert nicht mehr lange.
Plötzlich kommt Leben auf im nächtlichen Jurawald, obwohl es noch stockdunkel ist. Von einem Tannenwipfel klingt unvermittelt ein komisches Geräusch. Gleich darauf setzen von verschiedenen Seiten her weitere eigenartige Laute ein, als hätten sich im Schutze der Nacht Geister angeschlichen und unterhielten sich in einer unverständlichen Sprache. Es ist eine Mischung aus kehligem Klappern und leichtem Zischeln, das immer rhythmischer wird und schliesslich in ein Wetzen übergeht.
Über das Gesicht des Mannes, der sich nun aus dem Schlafsack schält, huscht ein Lächeln. Er späht ein erstes Mal aus dem Schlitz seines Zeltes und blickt in die Nacht, die auf etwa 1200 Metern über dem Meeresspiegel auch im April noch winterlich kalt ist. Die Temperatur liegt unter dem Gefrierpunkt. Der Mann im Zelt reibt sich die Hände, isst einen Getreideriegel, schenkt lauwarmen Tee aus einer Thermosflasche in einen Becher. Dann ist er bereit und setzt sich in gekrümmter Haltung auf den kleinen Faltstuhl.
Kehliges Klappern, leichtes, rhythmisches Zischeln, das in ein Wetzen übergeht, hallt in die Nacht.
Während sich im Osten ein leichter Lichtschimmer abzeichnet, geschieht es: Von der Tanne flattert ein grosser, schwarzer Vogel auf die Lichtung. Kaumgelandet, reckt er seinen Hals in die Höhe, schlägt mit den Schwanzfedern ein Rad, klappert und zischt. Er bleibt nicht lange alleine, weitere Artgenossen tun es ihm gleich. Die Waldgeister, die eben noch unheimlich von den Wipfeln riefen, entpuppen sich als Auerhähne. Und der Mann im Zelt beobachtet alles regungslos, mit gebanntem Blick.
Pierre Mollet ist Biologe und bei der Schweizerischen Vogelwarte Sempach verantwortlich für Raufuss-hühner. Er forscht zusammen mit Kollegen der Jagdverwaltung des Kantons Waadt zum Leben des Auerhuhns. Das Klappern, Wetzen und Zischen ist Musik in seinen Ohren. Sofort wusste er, dass sich hier Auer-hähne niedergelassen haben.
Empfindlich für Störungen
Im Büro der Vogelwarte Sempach erklärt Mollet: «Sie kommen bereits abends zum Balzplatz.» Das sei auch der Grund, warum er und seine Kollegen schon am späten Nachmittag an unterschiedlichen, strategisch gut gelegenen Orten die Tarnzelte aufgebaut hätten. «Diese Vögel sind ausserordentlich empfindlich auf Störungen und dürfen überhaupt nichts von unserer Anwesenheit bemerken.» Mollet verhält sich deshalb äusserst ruhig.
Gleichzeitig appelliert er, sich keineswegs selbst mit dem Tarnzelt auf Auerhahnsuche zu begeben: «Die Kontrollen im Waadtländer Jura erfolgen ausschliesslich im Rahmen des kantonalen Auerhuhn-Monitoringprogramms und sind streng geregelt.» Legen sich Laien auf die Lauer, sei das Risiko gross, dass die Auerhühner, oder auch andere Tiere, versehentlich aufgescheucht werden.
Störungen seien denn auch mit ein Grund, weshalb sich die Auerhuhnpopulation trotz Förderungsmassnahmen nicht ausreichend erholen könne. Pierre Mollet weiss, wovon er spricht. Er erfasst und überwacht die Auerhuhnbestände in der Schweiz systematisch seit dreissig Jahren. Das Erstaunliche dabei:Obwohl es sich um einen solch grossen Vogel handelt, liegt manches zu seinem Verhalten bis heute im Dunkeln. «Es ist praktisch nur an Balzplätzen möglich, sie gut zu beobachten.» Während dem Rest des Jahres gelängen höchstens Zufallsbeobachtungen. Viele Populationen hätten zudem keine festen Plätze. «Die Hähne finden sich meist immer wieder an neuen Orten zur Balz ein.»
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Der beste Hahn wird ausgewählt
Zurück auf der Jurahöhe, wo es nun so richtig losgeht. Im Blickfeld Pierre Mollets liegt ein Hahn, der würdevoll auf dem von Nadeln überzogenen Boden umherstolziert. Der grosse Vogel erinnert in seiner Gestalt und seinem Verhalten an einen kleineren Truthahn. Im Gegensatz zu diesem sträuben sich aber beim Auerhahn nur die Kehlfedern. Das übrige Gefieder liegt eng an und wird nicht aufgeplustert. Hals und Kopf streckt der Vogel kerzengerade in die Höhe. Nur wenn er seine eigentümlichen Laute von sich gibt, wippt der Kopf vor, schlägt aber sofort wieder in die aufrechte Haltung zurück.
Der Hahn knappt, was sich anhört wie aufeinanderfolgende Klacklaute, die sich zum Hauptschlag steigern und in ein Wetzen und Schleifen überlaufen, das langsam erstirbt. Alles in allem sind es unheimliche Geräusche, die eher Furcht und Verwunderung einflössen als Entzücken. In ornithologischer Literatur wird trotzdem von einem Balzgesang geschrieben, der wie folgt wiedergegeben wird: tet-telep, tetelep, tetelep, telep, telep, telep telep, pop tschi-teschite-schi-te-schi. Genau das hört jetzt Pierre Mollet aus allen Richtungen. Rund um ihn herum balzen andere Hähne, welche wiederum von Mollets Kollegen aus deren Zelt heraus beobachtet werden.
Der Ornithologe selbst hat vergessen, dass es eigentlich eisig kalt ist oder dass er sich gerne ganz durchstrecken möchte. Er sitzt zusammengekrümmt in seinem Unterschlupf, ganz im Bann des Auerhahns. Später wird er erzählen: «Jeder Hahn hat seinen individuellen Bereich. Alle Reviere grenzen wie Kuchenstücke aneinander. Und in der Mitte liegt der Balzplatz.»
Plötzlich hört Pierre Mollet im Zelt heftige Schläge, obwohl er «seinen» Hahn vor sich balzen sieht. Erst später sollte er erfahren, dass sich direkt vor dem Zelt eines Kollegen zwei Hähne bekämpften. «Sie schlugen mit ihren Flügeln aufeinander ein.» Dass sich zwei Hähne in die Federn gerieten, komme immer wieder vor.
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Unvermittelt huscht ein unscheinbar braun gesprenkeltes Weibchen aus dem Unterholz über den Balzplatz und verschwindet unter einer Heidelbeerstaude. Es dauert über eine Stunde, bis ein weiteres auftaucht. Diesmal schreitet es aber ganz vorsichtig voran und blickt immer wieder um sich. Pierre Mollet ist zur Eisfigur erstarrt in seinem Tarnzelt. Er fragt sich: Merkt das Weibchen etwas, hört es mich? Er wagt kaum zu atmen, während der Vogel seinen vorsichtigen Gang fortsetzt.
Der Hahn wiederum gerät in noch grössere Aufregung. Doch auch dieses Weibchen marschiert leicht gackernd an ihm vorbei. Pierre Mollet weiss, dass Kopulationen nicht häufig sind, und sagt: «Ich vermute, dass sich die Weibchen die verschiedenen balzenden Hähne anschauen und schliesslich einen zur Kopulation auswählen.» Es gäbe bestimmt auch Hähne, die reine Statisten sind und leer ausgehen würden.
Begriffe der Jägersprache
Vieles ist im Sprachgebrauch über das Auerhuhn durch Jäger geprägt. Auerwild ist ein solcher Begriff. Waidmänner sprechen von der Rose, die während der Balz anschwillt, und bezeichnen damit die tiefroten, nackten Hautstellen oberhalb der Augen der Auerhähne. Auch die Begriffe Knappen, Hauptschlag und Wetzen, welche die Balzlaute bezeichnen, wurden von den Jägern definiert. Das Knappen läuft in den Hauptschlag über und endet mit dem Wetzen. Auch das Wort Losung stammt aus der Jägersprache und bezeichnet den Kot von Wild. So bildet die Auerhuhnlosung wichtige Hinweise für Forscher über das Vorkommen und die Dichte des Bestandes. Das Auerhuhn ist in der Schweiz geschützt und darf nicht gejagt werden.
Gefiederfarbe als Tarnung
Die Hähne werden nicht müde, sich zu produzieren. Mittlerweile scheint die Sonne zwischen den Tannenzweigen hindurch. Pierre Mollet hat Glück, denn es gibt auch Vormittage, an denen kein einziges Weibchen auftaucht. Die Balz der Hähne zieht sich bis gegen Mittag hin, dann ziehen sie ab und es wird still. Mollet und seine Kollegen verharren eine weitere Stunde, ohne dass sich etwas tut, dann verständigen sie sich über eine SMS-Gruppe. Erst wenn jeder Beobachtungsteilnehmer meldet, dass es ruhig ist bei ihm, schlüpfen die Ornithologen aus ihren Tarnzelten, brechen diese ab und ziehen von dannen.
Wochen später, verborgen im Wald, legen die Hennen sieben bis elf braun gesprenkelte Eier in eine Bodenmulde. Die Hähne kümmert weder Brut noch Aufzucht der Jungen. Sie sind wieder alleine im Wald unterwegs. Bei Gefahr ducken sich die Hennen. Durch ihr gesprenkeltes Gefieder verschwimmen ihre Konturen vollständig mit dem Waldboden. Bis die Küken schlüpfen, brüten sie 24 bis 26 Tage.
Als Nestflüchter sind die Kleinen bereits kurz nach dem Schlupf selbständig und picken nach Käfern, Raupen, Ameisen und anderen Insekten. Besonders während den ersten zwei Wochen werden sie von der Mutter gehudert, das heisst, sie suchen Schutz und Wärme unter ihrem Gefieder. Doch bereits nach zwei Wochen sind sie flugfähig und können sich vor Feinden auf Bäume retten. Bis im September sind sie aber immer noch im Trupp unterwegs. Dann gehen zuerst die Junghähne eigene Wege und später verstreichen auch die Junghennen.
Die grossen Vögel entziehen sich weitgehend unseren Blicken. Und doch gibt es einen Ort, wo im Frühling alle den Auerhahn bei seiner Balz beobachten können, nämlich den Tierpark Bern. Später im Jahr trippelt dort sogar oft die Henne mit ihren Jungen über den nadelbesetzten Boden, welcher dem natürlichen Lebensraum nachempfunden ist.
Auerhuhn leicht zu beobachten
Er dominiert die Szene – akustisch und optisch. Hoch erhobenen Hauptes stolziert er herum, mit schwarz schillerndem Kleid und drapiertem Bart. Es handelt sich jedoch keineswegs um einen wichtigtuerischen Geschäftsmann, sondern um einen Auerhahn des Tierparks Bern, zu Hause in der ersten Volierenreihe beim Eingang zum Vivarium. Der Vogel, so gross wie eine Gans, lässt die Flügel hängen, schlägt ein Rad, streckt seinen Kopf in die Höhe und klappert im hinteren Bereich der Anlage um die Baumstämme.
Plötzlich kommt er pfeilschnell angetrippelt. Man könnte denken, der Hahn sei mit seinem aufgeblasenen Äussern völlig immobil und bekomme kaum etwas mit, doch seinem Blick entgeht nichts. Wenn er will, trippelt er wie ein Blitz über den Boden. So wie jetzt, wie er unvermittelt am Frontgitter steht, mit stechendem Blick herausspäht und dann wieder auf und ab schreitet.
«Wenn er mich sieht, kommt er sofort angerannt», sagt Hansueli Blatter. Der Vogel komme jedoch nicht aus Freude, denn er wisse, dass der 52-jährige Mann manchmal auch in sein Territorium eindringt – gezwungenermassen. Blatter ist Tierpfleger und Revierleiter im Tierpark Bern. Zu seinem Bereich gehören unter anderem die Aussenvolieren mit dem Auerhahn. «Jetzt können wir die Voliere nur reinigen, wenn wir ihn kurz absperren», sagt der schlanke Mann mit grauen Haaren und Bart. Das sei einfach mit einer Kiste möglich, die über den Vogel gestülpt wird, sobald dieser angerannt kommt.
Rückzugsmöglichkeit für Hennen
Es ist Mitte April und die Balzzeit im Tierpark Bern ist in vollem Gange. So viel Mühe sich der Auerhahn auch gibt und so viel Aufmerksamkeit er von den Besucherinnen und Besuchern vor der Voliere auch erhält – von den beiden Hennen schlägt ihm Gleichgültigkeit entgegen. Eine sitzt auf einem flachen Stein und lässt sich von der Morgensonne bescheinen, die andere streift durch das Unterholz. Überhaupt würde man nichtdenken, dass die beiden der gleichen Art angehören. Die Hennen sind mit etwa 2,5 Kilo nur halb so gross wie der 4 bis 5 Kilo schwere Hahn. Zudem ist ihr Gefieder in verschiedenen Brauntönen gesprenkelt.
Hansueli Blatter steht vor der Voliere und beobachtet seine Schützlinge: «Sobald er die Weibchen getreten hat, öffne ich die Verbindungsgänge zu den Seitenvolieren.» Mit «treten» bezeichnet der Fachmann die Paarung. Dass die Kopulation stattgefunden hat, sehe er am struppigen Rückengefieder der Weibchen. Die Balzbemühungen des Hahns fruchten halt doch irgendwann. Wie in der Natur wird der Bewohner des Tierparks erst eingehend von den beiden Hennen beobachtet, bevor sie eine Paarung zulassen. Da sich Auerwild immer wieder neu verpaart, ist die Balz aufwändig. Der Hahn muss stets neu um eine Henne werben und ist sich deren Gunst keinesfalls sicher.
Im Tierpark liegen zu beiden Seiten der Auerwildvoliere Abteile, die auch von Raufusskäuzen und Steinkäuzen bewohnt werden. «Der Durchschlupf ist so klein, dass nur die Weibchen durchpassen», sagt Blatter und zeigt auf die beiden kleinen Klappen in den etwa dreissig Zentimeter hohen Seitenwänden. Darüber ist ein Gitter angebracht. Dass die Weibchen ihre Nester in separaten Abteilen haben, sei notwendig, damit der Hahn in seiner Aufregung nicht über diese hinweg trample und damit die Hennen Rückzugsorte haben.
Schwierige Aufzucht
Der Tierpark Bern ist schweizweit federführend in der Auerwildzucht. Seit vielen Jahren gelingen hier Nachzuchten. Hansueli Blatter überblickt verschiedene Phasen der Haltung und Zucht, denn er ist seit 1998 im Tierpark tätig. Er erzählt: «Früher hielten wir einen Hahn und vier Hennen. Wir entnahmen die Eier und liessen sie von Zwerg-Cochins, einer Zwerghuhnrasse, ausbrüten.» Der Tierpfleger zeigt in einem Raum, der an die Volierenreihe angrenzt, die Aufzuchtstation. Sobald die Küken geschlüpft waren, wurden sie ineinem Behälter mit Wärmelampe gehalten.
Sie wurden nach einem genauen Plan gefüttert. Schnittlauch, Kräuter, Eigelb, Grillen, Hüttenkäse, Mehlwürmer, Zophobas und ein Erhaltungsfutter-Granulat gehörten zur Ernährung der Nestflüchter. Zophobas sind die Larven des Grossen Schwarzkäfers. Wenn man Auerhuhnküken falsch füttere, etwa nur mit energiereichem Granulatfutter, würde ihr Blinddarm nicht lange genug wachsen. Dieser ist beim Auerhuhn von Natur aus sehr lang. Das Tier benötigt ihn, da es in der Natur Tannennadeln verdaut. Damit die spezielle Nahrung aufgeschlossen werden kann, pickt das Auerhuhn kleine Steinchen am Boden oder in Wurzeltellern umgestürzter Bäume auf. Im Muskelmagen helfen diese bei der Verdauung.
Das Auerhuhn schützen
Verheerend wirken sich Störungen für das Auerhuhn im Winter aus. Wer kreuz und quer durch verschneite Wälder im Auerhuhngebiet streift, scheucht womöglich Vögel auf. Gerade im Winter schonen sie aber ihre Ressourcen. Häufiges Aufschrecken durch wilde Skifahrer führt zum Erschöpfungstod. Auerhühner am Balzplatz sind ausserordentlich störungsempfindlich. Sobald sie das Gefühl haben, etwas stimme nicht, suchen sie das Weite und es kommt zu keiner Kopulation. Waldwege sollten deshalb nicht verlassen werden und Schutzgebiete sind strikte zu respektieren.
Junges Auerwild aufzuziehen ist sehr anspruchsvoll. «Es gelang früher kaum ohne Antibiotikabeigaben», sagt Blatter. Darum habe er auf Naturbrut umgestellt. Sie glückt seit 2011. Die Jungen, die gross würden,seien viel robuster. Es sei bereits knifflig, das Nest überhaupt zu finden. «Die Henne deckt die braun gesprenkelten Eier, die sie lediglich in eine in den Waldboden gegrabene Mulde legt, mit Laub zu, wenn sie das Nest verlässt», sagt der Kenner. Da der Hahn von Ende März bis in den Mai hinein balze und sich paaren wolle,liege die Befruchtungsrate bei achtzig bis neunzigProzent. Wenn eine Henne zu Beginn also noch nicht paarungswillig ist, mache das nichts. «Sie hat lange Zeit, in Stimmung zu kommen.» Das mache durchaus Sinn, so Blatter, denn in der Natur balze der Hahn, ohne zu wissen, ob ein Weibchen auf seine Bemühungen reagiere. «Er muss dann sofort bereit sein, wenn eines auftaucht und paarungsbereit ist.»
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Meistens würden acht bis neun Eier gelegt, die während 28 Tagen bebrütet würden. Sobald die Küken geschlüpft seien, würden sie von der Henne in der gesamten Voliere herumgeführt. Der Züchter erklärt: «Ich achte darauf, dass während der Brutzeit die Hälfte der Voliere mit einem lichtdurchlässigen Plastik gedeckt ist.» Trockenheit sei wichtig für die Küken. Zudem lege er dort, wo sie sich oft aufhielten, also um die Futtergefässe, Zeitungen über die Gartenplatten.
«Ich wechsle sie täglich.» So sei es immer sauber. Peinliche Hygiene ist sehr wichtig bei der Zucht vonAuerwild, da die Art anfällig gegenüber Parasiten ist. Sobald die Küken geschlüpft sind, macht sich Hansueli Blatter auf ins Gurnigel-Gebiet, ein Vorgebirge der Berner Alpen, und schneidet mit kantonaler Bewilligung Heidelbeerstauden.
«Die Jungen picken mit Begeisterung nach den Blättern und verzehren sie.» Weiter reiche er Schnittlauch, Spitzwegerich, Löwenzahn, Schachtelhalm, immer in kleine schnabelgerechte Stücke geschnetzelt. «Es ist wichtig, dass man all das füttert, was die Jungen auch in der Natur zu sich nehmen. Je mehr Futtervielfalt, desto robuster sind die Vögel schliesslich», sagt der Experte. Im Alter von etwa zwölf Wochen müssen die jungen Hähne getrennt werden, da sie damit beginnen, einander zu picken.
Laub und Nadeln
«Das Auerhuhn deckt die Mulde mit den braun gesprenkelten Eiern mit Laub zu.»
Die Natur bei der Fütterung nachzuahmen ist für den ehemaligen Baumschulisten kein Problem, kennt er doch die Gewächse genau, von welchen sich das Auerwild ernährt. «Im Winter reichen wir Äste von Föhren und Fichten.» Föhrennadeln würden die Tiere am liebsten fressen. Dank des einen Meter langen Blinddarms könnten die Hühnervögel solch spezielle Kost verwerten. «Der normale Auerwildkot ist kompakt, doch die Blinddarmlosung, die er einmal täglich absetzt, sieht aus, als hätte der Vogel Durchfall», sagt Hansueli Blatter. Es sei enorm, wie viel Kot Auerwild absetze.
Dieser enthalte viele Rohfasern. Im Frühling, wenn die Auerhähne in der Natur Blätter fressen,werden im Tierpark Rüebli, Randen, Fenchel undKnollensellerie mit wenig Mehlwürmern verfüttert. Laubäste würden täglich gereicht, immer wieder mal auch Eichenlaub. Ganzjährig erhielten die Vögel zudem ein Granulat für Wildhühner, im Winter eines mittieferem Energiegehalt. Auch Buche würden sie das ganze Jahr über reichen, im Winter Knospen, sonst Laub. So erreicht Auerwild unter Menschenobhut ein Alter von bis zu dreizehn Jahren.
Es ist fast Mittag. Sonnenstrahlen scheinen in die Auerhuhnvoliere. Der kapitale Vogel in schwarzem Frack hat nicht an Aufmerksamkeit nachgelassen. Er stolziert noch immer zwischen Tannenstämmenherum und registriert haargenau, dass sich Hansueli Blatter jetzt von der Voliere entfernt. Irgendwann wird sein Bemühen Früchte tragen und die Hennen werden ihn beachten. Beharrlichkeit führt zum Erfolg.
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