Interview mit Dr. Tobias Blaha vom Bioparc Genf
«Ein Wildtier weckt Emotionen»
Der Bioparc in Genf zieht um und wird massiv grösser. Der Kanton hat ein Gelände in der Gemeinde Thônex zur Verfügung gestellt. Dort soll ein neuer Park entstehen, wo Tiere hautnah erlebt werden können. Doch nicht nur das. Ein Gespräch mit dem Direktor Dr. Tobias Blaha.
Wird es in Genf bald Elefanten und Giraffen geben, Herr Dr. Blaha?
Nein, bestimmt nicht. Im neuen Bioparc werden mehrheitlich kleinere Wildtiere und domestizierte Arten leben.
Was unterscheidet einen Bioparc von einem Zoo?
Wir werden noch vor Baubeginn den ersten Baum pflanzen. Die Eiche schlägt ihre Wurzeln, wir verbinden Themen. Wir sind zwar eine zoologische Institution, doch die Mensch-Tier-Beziehung wird im Vordergrund stehen. Wir wollen das emotionale Wissen im Menschen ansprechen. Zudem besteht unser Tierbestand zu 90 Prozent aus aufgenommenen Tieren. All das, was wir auf dem neuen Gelände ausbauen wollen, machen wir heute bereits mit bescheidenen Mitteln.
Warum wollen Sie umziehen?
Die Lage in der Anflugschneise des Flughafens in der Gemeinde Bellevue ist prekär. Wenn etwa Kinder oder Menschen mit speziellen Bedürfnissen mit Tieren agieren und plötzlich ein Flugzeug mit tosendem Lärm darüber fliegt, löst das Angst aus. Zudem sind die Platzverhältnisse mit 1,3 Hektaren beschränkt. Wir wurden vom eigenen Erfolg überrascht. Wenn an schönen Tagen Hunderte von Besuchern kommen, ist das Gelände zu klein.
«Wir sind zwar eine zoologische Institution, aber mit Unterschieden.»
Wie gross ist die neue Fläche und wann werden Sie mit dem Bau beginnen?
Die Grundfläche beträgt 9,05 Hektaren inklusive der Gebäude. Hinzu kommen 3,2 Hektaren, die wir für die Futterproduktion und zum Betrieb eines Biobauernhofs benötigen. Baubeginn wird voraussichtlich Anfang 2024 sein. Wir möchten Ende 2027 öffnen, doch sind wir abhängig von Bewilligungen des Kantons.
Haben Sie Zugang zur Genfer Politik?
Zu unserem Stiftungsrat gehört Christina Meissner, Mitglied des Grand Conseil de Genève. Ihr Netzwerk ist enorm und öffnet uns viele Türen. Der Gemeinderat von Thônex mit dem Präsidenten Bruno da Silva ist begeistert vom Bioparc. Das neue Gelände liegt auf dem politischen Gebiet von Thônex, doch es gehört dem Kanton, der es uns zur Verfügung stellt.
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Werden Sie andere Zoofachleute beiziehen?
Bei der Entwicklung sind bereits Spezialisten von Tropenhäusern, Zooplaner, lokale Architekten, Fachleute des Naturhistorischen Museums, des Botanischen Gartens, der Universität Genf, der Weltnaturschutzunion und des Umweltprogramms der Vereinten Nationen beigezogen. Innovative Ideen kommen von ausserhalb.
Wie wollen Sie auf dem neusten Stand bleiben?
Der neue Bioparc wird statische und dynamische Elemente aufweisen. Der dynamische Teil soll sich etwa im Zehn-Jahres-Rhythmus verändern. Der Biodome mit dem Thema «Wälder der Welt» hingegen wird fix gebaut. Wir planen keinen Geozoo, sondern der Bioparc wird auf den Tierbezug ausgelegt.
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Hat es auch Platz für heimische Tiere und Pflanzen?
Entlang des Grundstücks fliesst der Fluss Seymaz. Er wird renaturiert. Zudem entsteht ein Teich mit Schilfzonen, Hecken und Wiesen für einheimische Tiere und Pflanzen. Am Ende werden auf dem Gelände «Belle-Idée» mehr Bäume und Hecken wachsen als jetzt.
Haben Sie ein Vorbild oder gestalten Sie frei von bestehenden Ideen?
Für Einzelkomponenten gibt es Orientierungspunkte, aber als Gesamtkonzept wird es etwas völlig Neues.
Welches sind die Eckpfeiler des Bioparc Genf?
Vieles entstammt dem psychologischen Bereich. Wir fragen uns: Wie wecken wir Emotionen und können Menschen zur Aktivität bewegen? Wir forschen schon länger dazu und wollen Erkenntnisse umsetzen. Eckpfeiler unter dem Dach der Nachhaltigkeit sind Auffangstation, Therapie, Bildung, Emotionen, Erholung.
Was ist die dringendste Aufgabe des Bioparc?
Dass Menschen domestizierte Tiere und Wildtiere in tiergerechten Lebensräumen erleben können. Wir wollen allen ein edukatives Naturerlebnis ermöglichen und möchten, dass die Menschen den Park mit einem positiven Gefühl verlassen. Der Mensch unternimmt eine emotionale Reise. Wer einem Katta direkt in die Augen schaut, ist eher bereit, aktiv zugunsten der Natur zu handeln. Wir wollen eine Plattform an der Tangente von Kultur und Natur, Mensch und Tier, urbaner Zivilisation und Wildnis bieten.
Zur PersonDr. Tobias Blaha (32) stammt aus Bayern in Deutschland und hat Veterinärmedizin studiert. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. 2018 wurde er jüngster Zoodirektor der Association Pierre Challandes in Bellevue GE, die er bald mit bescheidenen Mitteln zum Bioparc wandelte. Ende 2022 erreichte er einen Meilenstein. Dem Park wurde vom Kanton Genf ein neues Terrain zugesprochen.
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Geht das auch mit einem Kaninchen?
Sicher, doch es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Begegnung mit einem Wildtier andere Emotionen weckt. Das Kaninchen ist domestiziert. Es ist in einem gewissen Sinn zu erwarten, dass es mit dem Menschen agiert. Die Natur als Andersartigkeit (altérité) im Sinn der französischen Philosophin Virginie Maris ist Basis unserer Konzeption. Sie schreibt darüber in ihrem Buch «La part sauvage du monde».
Wollen Sie auch Wildtiere in ihren Ursprungsgebieten schützen?
Ja, und wir machen das jetzt schon mit Projekten im Kanton Genf, in Kolumbien und Madagaskar. Es ist aber essenziell, dass nicht hier entschieden wird, was in Übersee geschehen soll. Die Grundbedürfnisse der Menschen vor Ort müssen gedeckt sein, sie müssen einbezogen werden.
Sprechen wir über Geld: Wie wird der neue Bioparc finanziert?
Durch Spenden von Stiftungen und Privatpersonen. Ein Grossteil des Geländes wird ohne Eintritt zugänglich sein, einen Teil der Einnahmen werden wir selbst durch Eintritte generieren. Der Kanton Genf stellt zwar das Gelände zur Verfügung, beteiligt sich aber nicht finanziell am Bau.
Mit welchen Besucherzahlen rechnen Sie?
Wir orientieren uns an anderen Genfer Institutionen. Das Naturhistorische Museum wird von etwa 235 000, der Botanische Garten von 600 000 Personen jährlich besucht. Wir hoffen, künftig dazwischen zu liegen.
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Während Sie planen, läuft die Arbeit im Bioparc in Bellevue weiter. Was bewegt Sie derzeit?
Gerade gelang die Schweizer Erstzucht der Weissschwanz-Madagaskarratten. Erfreulich sind auch vier Jungvögel bei den bedrohten Vietnam-Fasanen. Unser sozialtherapeutischer Mitarbeiter Quentin Dimier trainiert Indische Pfautauben und andere Tiere. Er weckt mit ihnen Emotionen bei Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Wir bauen den Estrich für Inselarten aus. Weiter ist neu eine Fossa eingezogen, eine Partnerin für das Männchen Sakani. Zwei junge Nilkrokodile leben sich ein, und die beschlagnahmten Erdmännchen fühlen sich wohl in unserer selbst gebauten Anlage.
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