Die Frustration war riesig: schon wieder Ameisen! Und das, obwohl wir doch die Küche geputzt, den Boden gesaugt und alle Esswaren verpackt haben. Woher kommen die kleinen Krabbeltiere bloss? Und: Wie werden wir sie wieder los? Vor zwei Jahren nisteten sich Ameisen in unserer Wohnung ein. Jeden Morgen entdeckten wir wieder neue kleine schwarze Punkte, die sich langsam, aber zielsicher in Richtung Küche vorarbeiteten.

Dass Ameisen einen Weg in die heimischen vier Wände finden, sei nicht ungewöhnlich, erklärt mir heute die promovierte Biologin Dr. Bettina Landau von der Desinfecta AG. Die Firma für Schädlingsbekämpfung ist schweizweit tätig und hat mit zahlreichen Störenfrieden zu tun. Mit Ameisen beschäftigen sie sich meist im Garten, auf der Terrasse oder in der Küche. «Man muss jedoch unterscheiden zwischen einem ernsthaften Befall und dem einfachen Besuch von Weg- oder Hausameisen.»

Die allermeisten in der Schweiz vorkommenden Arten bauen ihr Nest draussen; im Boden, im Rasen, unter Steinen oder Steinplatten. Auf der Suche nach Futter finden sie dann ins Hausinnere. Jede Kolonie verfügt über sogenannte «Scouts», erklärt Landau: Ameisen, die speziell dafür da sind, Futterquellen in der Nähe zu finden. Werden sie fündig, legen sie mithilfe von Duftstoffen einen Pfad für die anderen Mitglieder ihrer Kolonie, wodurch sich eine Ameisenstrasse bildet. «Ins Haus gelangen die Ameisen häufig im Frühling, wenn die Kolonie bereits aus ihrer Winterpause erwacht, das Nahrungsangebot draussen aber noch nicht so üppig ist.»

[IMG 2]

Das Nest im morschen Balken

Werden nicht Gartenameisen, sondern Material- oder Hygieneschädlinge identifiziert, gestaltet sich die Bekämpfung deutlich schwieriger. Bei ersteren handelt es sich um jene Arten, die in der Natur in morschem Holz nisten. In seltenen Fällen findet eine dieser Jungköniginnen ins Haus und nistet sich dort ein – etwa im morschen Dachbalken oder im Isolationsmaterial. «Obwohl es allgemein viele Ameisen gibt, findet man in der Schweiz nur wenige in Häusern», relativiert Bettina Landau.

Und doch: Befindet sich das Nest tatsächlich im Hausinneren, sei die Bekämpfung aufwändig und oft mit einer kostspieligen Sanierung verbunden. Dann rücken die Schädlingsbekämpfer mehrmals aus und es können Monate oder gar Jahre vergehen, bis das Krabbeln ein Ende findet. Hygieneschädlinge wiederum seien ein zunehmendes Problem – zumindest im Raum Basel, in dem Bettina Landau tätig ist. Meist handelt es sich dabei um die Pharaoameise: «In Städten können ganze Strassenzüge von ihnen kolonisiert werden.» Die Bekämpfung dieser invasiven Art zähle zu den zeitintensiveren Aufträgen der Schädlingsbekämpfer.

«In der Schweiz findet man in den Häusern nur wenig Ameisen.»

Pharaoameisen kamen erst durch die Globalisierung in die Schweiz. Anders als die heimische Waldameise bildet eine solche Kolonie mehrere Satellitennester, die alle untereinander in Verbindung stehen und Arbeiterinnen austauschen. Zudem verfügen sie über viele Königinnen, was die Bekämpfung so schwer mache. In einigen Kantonen muss ein Befall von Pharaoameisen dem Gesundheitsamt gemeldet werden, da die Insekten auch Krankheiten übertragen.

Zentrale Player der BiodiversitätIn unserem Ökosystem nehmen Ameisen viele wichtige Funktionen ein:
Schädlingsbekämpferinnen.  Ameisen ernähren sich nicht nur zuckerhaltig, sondern auch von Insekten. Sie jagen Pflanzen- und Baumschädlinge. Ein grosses Volk vertilgt etwa 100 000 Insektenlarven pro Tag.
Aasverwertung. Die Krabbler essen auch Aas und helfen so beim Zersetzen von Kadavern. Das nützt der allgemeinen Gesundheit, da die toten Tiere ansonsten Krankheiten übertragen könnten.
Samenverbreiterinnen. Ameisen krabbeln etwa an Schneeglöckchen hoch, hohlen dort einen Samen und tragen ihn Richtung Nest. Bleibt er liegen, wächst eine neue Blume.
Nahrungsquelle.  Sie sind eine wichtige Futterquelle für Insekten und Vögel. Letztere wälzen sich auch gerne in Ameisenhaufen: Dann spritzen die Waldameisen mit Säure, wodurch das Gefieder desinfiziert wird.

Gut schrubben, luftdicht verpacken

Nach dem Gespräch mit Bettina Landau bin ich erleichtert: Bei den Besuchern in unserer Küche handelte sich nicht um Material- oder Hygieneschädlinge, sondern lediglich um verirrte Gartenameisen. Gegen sie hilft meist schon ein einmaliger Besuch der Schädlingsbekämpfer – oder aber eine gründliche Reinigung. «Schrubben Sie den Boden dort, wo die Ameisenstrecke durchführt, mit einem starken Mittel. So werden die Duftstoffe entfernt», rät mir die Expertin. Wenn man bereits Probleme mit Ameisen hatte, sei Sauberkeit sehr wichtig: Essbares sollte konsequent in Behältern mit Gummidichtung verpackt werden. Auf keinen Fall jedoch sollte man auf eigene Hand mit Gift agieren. Dadurch könnte auch an anderen Gartenbewohnern viel Schaden angerichtet werden.

Schon gewusst?
Ameisen leben nicht nur im Garten, sie bauen ihre Nester auch im Wald. Schweizweit gibt es 24 Arten Waldameisen – wie viele Kolonien und Insekten es tatsächlich sind, ist jedoch unbekannt. Zwar sind acht dieser Arten seit 1966 geschützt, gezählt oder erfasst wurden sie aber nie. Zumindest bisher nicht, denn: Aktuell laufen in mehreren Kantonen verschiedene Projekte zur Kartierung und Erfassung der Schweizer Waldameisen.

Im Kanton Bern wird dieses Monitoring unter anderem von Biologin Isabelle Trees geleitet. Seit 2020 senden Bürgerinnen und Bürger Koordinaten und Fotos von Ameisenhaufen, die sie im Wald finden. Trees fährt dann los, um die Haufen ausfindig zu machen und einzelne Insekten einzusammeln. «Über 4500 Meldungen gingen bei uns ein, ungefähr 1250 Standorte konnten wir bisher auf-suchen und davon haben wir über 850 Nester inventarisiert», so die Gastwissenschaftlerin des Naturhistorischen Museums Bern. Und noch sei das Projekt lange nicht zu Ende: «Hilfe können wir nach wie vor gut gebrauchen!»waldameisen.blog

«Ganz ohne Gift ist eine Bekämpfung heute leider noch nicht möglich.»

Die Desinfecta AG versuche, Ameisen so «ökologisch verträglich» wie möglich zu beseitigen. Sie arbeitet mit Giftködern, die von den Arbeiterinnen aufgenommen und ins Nest gebracht werden, wo sie an die Larven und die Königin verfüttert werden. Erst wenn letztere stirbt, ist die Bekämpfung erfolgreich. Wichtig sei es, dass das Gift gezielt eingesetzt wird: Je mehr Ameisen das Mittel ins Nest bringen, desto höher die Erfolgschancen. Und so komme auch die restliche Natur nicht zu Schaden. Das Prozedere mag radikal klingen, gesteht Landau ein, jedoch: «Ganz ohne Gift ist eine Ameisenbekämpfung heute leider noch nicht möglich.» Ohnehin merke ich im Gespräch mit der Biologin deutlich: Bettina Landau ist fasziniert von den kleinen Tierchen. «Ameisen gibt es in einer unglaublichen Vielfalt, jede Art hat seine Besonderheit, jede Kolonie eine ökologische Nische gefunden», schwärmt sie, «dafür müssen wir Menschen Verständnis haben.»

Wir gingen damals übrigens auf ganz eigene Weise gegen den Ameisenbefall vor: Durch langes Beobachten fanden wir die Eintrittspforte der Insekten: eine Fussleiste im Wohnzimmer. Ein wenig Silikonkitt und das Problem war gelöst.

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 06/2022 vom 24. März 2022. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

JETZT SCHNUPPERABO ABSCHLIESSEN

Zur Abo-Übersicht