Künstliche Intelligenz
Wie gut geht es dem Fisch?
Mittwoch, 4. Januar 2023
Die zweite Veranstaltung der vom Verein Sentience Politics organisierten «Unsichtbare Tiere»-Kampagne fand am 16. November in Zürich statt und wurde in Zusammenarbeit mit der Organisation Fair-Fish auf die Beine gestellt. Das Thema des Nachmittags: «Lachskonsum und die negativen Auswirkungen auf das Tierwohl, die Ökosysteme, die Biodiversität und das Klima». Rund 40 Zuschauerinnen und Zuschauer wohnten nicht nur einem exklusiv aufgeführten Ausschnitt aus dem Theater «Salm Ethos» bei, sondern erhielten auch die Gelegenheit, eine Ausstellung mit Filmen, Bildern und einer VR-Erfahrung zu besuchen und Vorträge der beiden Organisationen zu hören.

«Wenn Sie 20 Jahre zurückgehen, war das Bild eines Fisches das Bild eines Tiers, das kalt, stumm und empfindungsfrei ist. Kalt und stumm, weil es im Wasser lebt, empfindungsfrei, weil es kein Säugetier ist», betonte Sentience-Beirat und Philosophieprofessor Markus Wild zu Beginn seines Referats. Auch würden Fische oft als dumm dargestellt. Als Beispiel nennt er Plattendoktorfisch-Dame Dorie aus dem 2004 erschienenen Animationsfilm «Findet Nemo». «Ich hatte diese Vorurteile über Fische lange Zeit auch», so Wild. Ein Film über Zackenbarsche, die gemeinsam mit Muränen Jagdgemeinschaften bilden, habe dieses Bild revidiert. «Im Film lernt man, dass der Zackenbarsch ein sehr gutes Gedächtnis hat. Er weiss, in welchen Höhlen sich die Muränen verstecken und ob die Muränen als Jagdpartner zuverlässig sind. Zudem scheint er durch Erfahrung zu lernen, welches die effizienteste Strategie ist, um Fische zu fangen.» 

Weiter berichtet der Philosophieprofessor von Studien, die belegen, dass Fische Nozizeption besitzen – die Fähigkeit, schädliche Reize wahrzunehmen und darauf mit Verhaltensweisen zu reagieren. «Sie schwimmen unkontrolliert herum, weg von der Gruppe und verhalten sich still. Sie zeigen also typisches Schmerzverhalten.» Dieses bestehe aus mehr als nur aus Wegzucken. «Fische versuchen, etwas mit der schmerzenden Stelle zu tun, sie zu pflegen. Das ist mehr als nur ein Reflex.» Es sei daher unvernünftig, zu bezweifeln, dass Fische Schmerzen haben. 

Diverse Zucht-Problematiken

Der Fisch im Netz
Fischzucht in der Schweiz
Donnerstag, 11. Juli 2024
Welchen Schmerzempfindungen gezüchtete Lachse im Verlauf ihres Lebens ausgesetzt sind, beleuchtete Yannick Rohrer von der Organisation Fair-Fish im zweiten Referat der Veranstaltung. Der Biologe erklärte den Lebenszyklus gezüchteter Lachse, die ihr Leben in Aquakulturen verbringen. Beginnend in einer Süsswasseranlage, werden Lachs-Eier in Schubladenschränken ausgebrütet. Sobald die daraus entstandene Larve Futter aufnehmen kann, kommt sie in ein Becken. «Hier haben wir bereits das erste Problem. In der Wildnis ist der Lachs während diesem Stadium als Einzelgänger unterwegs. In der Zucht wird er in diesen Becken mit vielen Artgenossen zusammengeführt, was zu Aggression und vielen Flossenschäden führt», erklärt Rohrer. 

Nach dieser Phase kommen die Lachse in Salzwasser-Netzkäfige. Diese haben einen Durchmesser zwischen 30 und 50 Metern, sind 15 bis 25 Meter tief und beinhalten durchschnittlich rund 100 000 Fische pro Käfig. «Da es unzählige solcher Zuchtanlagen gibt, kommen wir global gesehen auf rund eine Milliarde Lachse pro Jahr, die ihr Leben in solchen Anlagen verbringen», so Rohrer. Und genau das bringe weitere Probleme mit sich. «Schon in der Natur ist der Wechsel von Süss- zu Salzwasser eine extrem stressige Phase für den Lachs. In der Zucht kommt aber noch Stress dazu, der durch den Transport von Schiffen und der unmittelbaren Erstberührung mit Salzwasser verursacht wird.»

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Dies führe dazu, dass viele Lachse aufhören zu fressen und über Wochen in den Netzkäfigen verhungern. Ein weiteres Problem seien Krankheit und Parasiten, die ungehindert in die offenen Anlagen im Meer gelangen, was zu einer hohen Mortalität führe. «Das Hauptproblem dieser Industrie ist momentan der hohe Lachslausbefall», erklärt Rohrer. Das kleine Krustentier hefte sich an den Lachs und sauge ihm Fleisch und Blut heraus. Dagegen sei die Zuchtindustrie mit umweltschädlichen Chemikalien vorgegangen, die langsam stärker reguliert würden. «Nun schwenkt die Industrie um auf eine technische Entlausung.»

Salzwasser-Kreislaufanlagen an Land – eine davon steht auch in der Schweiz – seien ein neuer Trend, dank dem der Parasitenanfall zwar vermieden werden kann, die aber neue Probleme mit sich bringt. «Um wirtschaftlich rentabel zu sein, wird eine zwei bis vier Mal höhere Fischdichte gefahren als in den Netzkäfigen», so Rohrer. «Das entspricht etwa vier Lachsen in Ihrer Badewanne zu Hause.» Ihre technische Komplexität mache Salzwasser-Kreislaufanlagen zudem anfällig für Fehler. «Dies kann im schlimmsten Fall zu Massensterben führen.»

«Aquakulturen nicht mit Tierwürde vereinbar»

Sollte man unter diesen Umständen noch gezüchtete Lachse essen? Philipp Ryf, Leiter Politik und Kampagnen bei Sentience, sagt: «Nimmt man die Tierwürde ernst, sind Aquakulturen nicht mit dieser vereinbar. Auch beim Wildfang gibt es grosse Probleme, da viele Labels sehr lasche Anforderungen an die Fangmethoden der Tiere haben.»

Die Veranstaltung im November sei beim Publikum sehr gut angekommen – insbesondere deswegen, weil das Thema Fischkonsum «endlich einmal» im Kontext des Tierwohls besprochen wurde. Dies zeige auch die Notwendigkeit der Kampagne «Unsichtbare Tiere»: «Während Tiere in der Landwirtschaft zumindest als Individuen wahrgenommen werden, werden Fische bis heute in Tonnen statt in Individuen gerechnet und Kritik an der Fischerei erfolgt oft alleine im Kontext des Artenschutzes.» Der Fokus der Veranstaltung sei auf Lachse gerichtet worden, da diese «als karnivore und wandernde Tiere überhaupt nicht für die Zucht geeignet sind».

Im Rahmen der Kampagne hat Sentience eine Petition lanciert, die den Schutz «unsichtbarer» Fische verbessern soll. Ryf erklärt: «Einerseits soll dies über entsprechende Anpassungen des Tierschutzgesetzes erfolgen, andererseits über strengere Vorschriften beim Bau und Betrieb von Aquakultur-Anlagen.»