Das Theater geht schon los, sobald die Katze ihre Transportbox erblickt. Wird diese hervorgeholt, weiss sie nur zu genau: «Jetzt geht’s zum Tierarzt!» – und kann nur mit Mühe eingefangen werden. Steckt die Mieze endlich in der Box, wird sie entweder starr vor Schreck oder miaut auf dem ganzen Weg in die Tierpraxis herzerweichend. Dort geht das Drama für die Katze weiter: ein fremder Ort, ungewohnte Gerüche und Geräusche, unbekannte Menschen, die sie festhalten, dazu allenfalls Schmerzen durch die Behandlung. Nicht selten steigert sich die Erregung der Vierbeiner dadurch in Panik und offene Aggression, die sich gegen die Tierärztin, den Praxisassistenten und den Besucher richtet. Das Untersuchen und Behandeln des Tieres wird erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht. 

Und fortan droht ein Teufelskreis: Das negative Erlebnis prägt die Katze nachhaltig. Sie wird sich beim nächsten Mal noch heftiger gegen den Tierarztbesuch wehren mit dem Ergebnis, dass der Katzenhalter diesen möglichst lange hinausschiebt oder sogar auf notwendige Behandlungen, Kontroll- und Impftermine verzichtet. Da viele Krankheiten besser und erfolgreicher behandelt werden können, je früher sie entdeckt werden, kann das Hinauszögern der Tierarztvisite drastische Folgen haben für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Lebenserwartung der Katze – und wird somit auch hinsichtlich des Tierschutzes problematisch. 

Ein Label für Katzenfreundlichkeit Tierärzte und Praxishelfer machen sich deshalb vermehrt Gedanken, wie angstauslösende Situationen vermindert und die Emotionen der vierbeinigen Patienten positiv beeinflusst werden können. «In vielen Tierarztpraxen entwickelt sich zunehmend das Bewusstsein, dass weniger gestresste Tiere besser untersucht und medizinisch behandelt werden können und dass die Reduktion von Angstaggression zu mehr Sicherheit für alle Beteiligten führt», heisst es in einem Positionspapier der Schweizerischen Vereinigung für Kleintiermedizin. 

Ein Veterinär, der schon vor einigen Jahren erkannt hat, dass feline Patienten aufgrund ihres Wesens besondere Bedürfnisse haben, ist Reto Meier, der zwei Praxen in Baselland und Solothurn führt. Sein Tiergesundheitszentrum «Am Blauen» in Laufen wurde 2015 als erste «cat friendly clinic» in der Schweiz zertifiziert. Dieses Label wird von der internationalen Gesellschaft für Katzenmedizin ISFM vergeben. Es ist in Europa noch nicht sehr weit verbreitet, denn die Anforderungen sind hoch, vor allem auch an die Räumlichkeiten einer Praxis.

Aufwendige bauliche Massnahmen
Verlangt sind separate Wartezimmer sowie eigene Behandlungsräume und Hospitalisationsbereiche für Katzen – wie man sie beispielsweise auch an der Kleintierklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich kennt.

«Wir haben in unserer Praxis in Laufen einige aufwendige bauliche Massnahmen getroffen», sagt Meier. Eine speziell geschulte Praxis­assistentin – sie trägt ein Schild mit der Aufschrift «Cat Advocat» – begleitet den Katzenhalter mit seinem Tier in einen separaten Wartebereich. Katzen können dort keine anderen Tierarten sehen und es gibt erhöhte Abstellflächen für die Transportboxen. «Katzen fühlen sich sicherer, wenn sie ihre Umgebung von oben beobachten können», sagt Meier. 

In zwei Behandlungsräumen, die ruhig im hinteren Teil des Gebäudes liegen, werden ausschliesslich Katzen behandelt: «Der Zutritt für Hunde ist dort strikt untersagt», erklärt der Praxis-Inhaber. Die Wände sind in einem warmen, beruhigenden Gelbton gestrichen und Verdampfer in den Steckdosen verbreiten Pheromone, natürliche Wohlfühl-Hormone, die der Katze Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Auf den Behandlungstischen liegen Frotteetücher oder Krepppapier. Denn Katzen mögen es nicht, wenn sie auf eine glatte, kalte Metalloberfläche gestellt werden. Die Praxishelfer kennen verschiedene Techniken zum katzenfreundlichen Festhalten der Tiere, wie zum Beispiel das Einwickeln ängstlicher Patienten in Tücher. 

Damit die Katzen die Situation mit etwas Positivem verbinden, gibt es ab und zu ein Leckerli oder etwas Leberpastete. Weil Tierarzt Meier gross gewachsen ist, setzt er sich bei der Behandlung der Katze: «Dadurch wirke ich für das Tier weniger bedrohlich und behandle es auf Augenhöhe.» Gros­sen Wert legt er auch auf den Einsatz katzenfreundlicher Arzneien. So auf Langzeitpräparate, die weniger oft verabreicht werden müssen oder Medikamente, zum Beispiel für die Schilddrüse oder zum Entwurmen, die man der Katze als Spot-on-Präparat auf die Haut geben kann und sie nicht zum Schlucken einer Tablette zwingen muss.

Katzenbesitzer in der Pflicht
Mit der Summe der katzenfreundlichen Massnahmen hat Tierarzt Meier sehr gute Erfahrungen gemacht: «Das System hat sich bewährt, der Grossteil der Katzen zeigt deutlich weniger Stress. Das hilft dem Tier, aber auch uns Tierärzten, denn wir können einfacher untersuchen, kommen weiter in der Diagnostik und können die entsprechenden Behandlungen besser vornehmen.» 

Mit dem Ergebnis sind auch die Tierhalter zufrieden, wie Meier erwähnt: «Mich fragen immer wieder Besitzer, was wir mit ihren Katzen angestellt hätten, weil sie die Behandlungen nun ruhig über sich ergehen lassen.» Er nimmt die Katzenbesitzer aber in die Pflicht. Für den Tierarzt beginnt ein entspannter Praxisbesuch schon vor dem eigentlichen Termin mit den Vorbereitungen beim Tier zu Hause. Seine Neukunden erhalten deshalb vor der ersten Konsultation Informationsmaterial per E-Mail.

Darin steht zum Beispiel, wie eine Katzentransportbox beschaffen sein sollte (robust, einfach zu säubern, nach oben zu öffnen, eventuell mit abnehmbarem Deckel). Die Katze verliert ihre Angst vor der Transportbox, wenn man sie nicht nur für den Tierarztbesuch hervorholt, sondern sie auch zu Hause nutzt, mit einer vertrauten Decke darin einen gemütlichen Schlafplatz einrichtet und darin ab und zu mal ein Leckerli verfüttert.

Zusätzliche Aufregung vermeiden
Vor dem Tierarztbesuch sollte sich der Katzenhalter möglichst unaufgeregt und entspannt verhalten: Katzen spüren, «wenn etwas nicht stimmt». Besonders ängstlichen Katzen kann man einige Tage vor dem Tierarztbesuch beruhigende Ergänzungsfuttermittel verabreichen oder man sprüht die Box 30 Minuten vorher mit einem handelsüblichen Pheromon-Spray ein. Zum Transport bleibt eine vertraute Decke oder ein Handtuch in der Box. Diese Unterlage sollte möglichst saugfähig sein: Stress erhöht die Darm- und Blasentätigkeit, und passiert der Katze ein entsprechendes Malheur, sollte sie nicht in einer nassen Pfütze sitzen.

Für den Rückweg nimmt man zur Sicherheit ein zweites Tuch mit. Im Auto stellt man die Transportbox am besten erhöht auf einen der Sitze und befestigt sie mit dem Sicherheitsgurt. Bei sehr aufgeregten Katzen kann die Box mit einem dunklen Tuch abgedeckt werden. Auf der Fahrt sollte besser keine laute Rock-Musik gehört werden, sondern man spricht in einem tiefen, beruhigenden Tonfall mit der Katze. Denn auch ein ruhiger Besitzer vermittelt dem Tier Sicher­heit – und die Katze kommt gefasster beim Tierarzt an.