Wenn Philippe Morel das wabenförmige Gebäude betritt und «Bonjour» ruft,heben zwei urzeitlich aussehende Echsen sofort ihre Köpfe und lassen ihre langen, gespaltenen Zungen vorschnellen. «Es sind besondere Charaktere, sie können Personen genau auseinanderhalten», sagt der 66-Jährige. Zu seinen «Dragons de Komodo», wie sie der Romand nennt, hat er eine enge Beziehung. «Padar und Flores sind zwölf Jahre alt, ich holte sie als junge Echsen auf der Kanareninsel Teneriffa bei einem Züchter», sagt der initiative Besitzer und Leiter des Tropiquariums im waadtländischen Servion. Das Dorf ist für Tierliebhaber ein Begriff, hat es dort doch gleich zwei zoologische Leckerbissen, das Tropiquarium und den Zoo de Servion.

1979 begann Philippe Morel mit seinem ersten Tropenhaus, einem grossen Freiflugraum für Vögel. Der quirlige Tropenornithologe mit gewellten, grauen Haaren erzählt: «2003 eröffnete ich dann das Tropiquarium.» Seither ist die Anlage stetig gewachsen. 2014 wurde der Pavillon für die Komodowarane oder Komododrachen eingeweiht. «Unser Ziel ist, ausgewählte Tierarten zu halten und zu züchten, die in der Natur vom Aussterben bedroht sind», erklärt Morel.

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Die Komodowarane stammen von den kleinen Sundainseln, die zu Indonesien gehören. Eine dieser Inseln heisst Komodo. «Die Warane sind in den letzten Jahren stetig gewachsen und werden noch grösser», sagt Philippe Morel. Platz haben sie genug im Tropiquarium. In der warmen Jahreszeit steht ihnen zusätzlich ein fast 500 Quadratmeter grosses Aussengehege zur Verfügung. «Sie legen sich gerne in die wärmende Sonne und profitieren von den ultravioletten Strahlen.» Damit sie diesem Gefühl auch während den Wintermonaten frönen können, haben sie eine Steinfläche unter Spezialleuchten mit ultraviolettem Licht zur Verfügung. «Auch der Boden ist geheizt, so dass es um die 40 Grad Celsius warm ist.»

Heikle Paarbeziehung

Padar und Flores registrieren jede einzelne Person, die den Pavillon betritt. Sie äugen ihr manchmal scheinbar verschlafen nach. Ihre Köpfe liegen dann auf der Steinfläche, doch die seitlich liegenden Augen öffnen sich leicht. Wenn es sie wirklich interessiert, wer da kommt, heben sie die Köpfe. Ein urzeitlicher Anblick: schrumpeliger Hals, gelblich-braune, geschuppte Haut, seitlich ausgestreckte Vorderbeine mit fünf langen, scharfen Krallen, zwei Nasenlöcher vorne an der langen Schnauze – und plötzlich schiesst eine gespalteneZunge aus dem breiten Maul hervor. Man denkt nicht, dass es solche Wesen heute noch auf der Erde gibt, wenn man sie nicht selbst gesehen hätte. Und wenn Philippe Morel da ist, so erheben sie sogar ihre schweren, langen Körper und trotten zu ihm an die Scheibe. «Es scheint, sie seien langsam, doch wenn sie wollen, können sie sehr schnell rennen», sagt der Tierkenner mit strahlenden Augen und lächelt.

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Männchen und Weibchen leben getrennt. «Etwa zweimal jährlich will das Weibchen zum Männchen, meist im Januar und im Juni», erklärt Morel. Den Besuchswunsch zeige es sehr eindeutig an. «Es kratzt an der Palisaden-Abtrennung. Dann öffnen wir die Türe.» Das Weibchen trotte sofort zum Männchen. Die beiden würden etwa 15 Tage zusammen verbringen. «Das Männchen hält während dieser Zeit stetig Körperkontakt zu seinem Weibchen», erzählt Morel von seinen Beobachtungen. Die Trennung nachher sei wichtig, weil das Männchen das Weibchen sonst töten würde, da seine Partnerin nicht mehr paarungswillig sei.

Das Weibchen habe sogar schon Eier gelegt. «Es legte jeweils sechs bis acht Eier und vergrub sie.» Mit ihren scharfen Krallen können Komodowarane sehr gut im Boden wühlen. Darum ist zur Sicherheit in ihrem Terrarium nach einem Meter in der Erde ein Gittergeflecht eingezogen.

Tropiquarium
Das Tropiquarium ist täglich von 9 bis 18 Uhr (im Sommer bis 19 Uhr) geöffnet. Ein Eintritt kostet 12‌ Franken, für Kinder 7 Franken. Ein Restaurant bietet ideale Verpflegungsmöglichkeiten. Im Tropiquarium arbeiten zwölf Angestellte, fünf sind mit der Tierpflege beschäftigt und betreuen zwischen 60 und 70 Arten, vom Vogel über den Fisch bis zur Schildkröte.
tropiquarium.ch

Junges Siam-Krokodil

Die Echsen, die, wie es scheint, einer anderen Zeit entstammen, sind nicht die einzigen urzeitlichen Bewohner des besonderen Pavillons. Langer Schwanz, breiter Körper, vier seitliche Beine mit spitzen, groben Krallen an den tatzenartigen Füssen, Schuppen und eine gezähnte, lange Schnauze: So zeigen sich die beiden Siam-Krokodile in einer Anlage mit einem60 000-Liter-Teich. «Hier, das Männchen steht still im Wasser», sagt Morel und zeigt auf einen schwarzen Baumstamm, der sich bei näherem Hingucken als kapitales Siam-Krokodil entpuppt. Das Weibchen scheint wie ausgestopft und liegt auf dem Sand unter Wärmelampen. «Zuerst hielt ich das Paar in der Anlage beim Eingangsbereich, doch als sie grösser wurden, wollte ich den beiden mehr Platz gewähren», erzählt Morel, dem es wichtig ist, allen Tieren geräumige Unterkünfte bieten zu können.

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Vom Siam-Krokodil soll es in Südostasien weniger als 1000 Tiere geben. Im Tropiquarium ist bereits die Zucht geglückt. In einem Terrarium im Hauptgebäude lebt die Nachzucht. Wie die beiden Komodowarane fressen auch die Siam-Krokodile ausschliesslich Fleisch. «Die Welse und Koi-Karpfen in ihrem Bassin interessieren sie nicht.» Doch im Gegensatz zu den Komodowaranen, deren Junge sofort nach Schlupfvöllig selbstständig sind, betreut in der Natur das weibliche Krokodil seinen Nachwuchs. Im Tropiquarium wurde das Ei im Brutkasten bei einer Luftfeuchtigkeit von 90‌ Prozent und 29 bis 30 Grad Celsius während rund 90 Tagen ausgebrütet. Galapagos-Riesenschildkröten sind die dritten Hauptakteure des Pavillons. Auch sie haben sich fortgepflanzt, was sonst nur noch im Zoo Zürich glückt. «Es gibt sehr wenige erfolgreiche Paarungen weltweit», erklärt Morel. Darum sei er umso glücklicher, dass es 2021 geklappt habe. Seine Tiere seien Nachzuchten aus dem Zürcher Zoo, die er dort vor 25 Jahren mit einem Gewicht von 35 bis 40 Kilo holte. Nun wiegt das Männchen mindestens 190 Kilo. Lediglich drei Prozent des Weltbestandes pflanzten sich noch fort.

Von der Echse bis zum Strauss

Reptilien sind ein Schwerpunkt des Tropiquariums. In Terrarien im Hauptgebäude, die als kleine Lebens-räume gestaltet sind, leben verschiedenste ausgewählte Arten, die meisten davon Seltenheiten, so wie etwa der Blaue Baumwaran, der vor noch nicht solanger Zeit auf der Vogelkop-Halbinsel Neuguineas entdeckt wurde. Reservepopulationen werden nun in Zoologischen Gärten gehalten und gezüchtet, so auch im Tropiquarium. Pflanzen wie in Neuguinea wuchern unter der Glaskuppel nicht nur in den Gehegen, sondern auch in den Besuchergängen. Er sei früher viel in den Tropen gereist, erzählt Morel. «Damals hatte man das Gefühl, die Natur sei grenzenlos.» Die Konzepte aller Gebäude und Anlagen basieren auf seinen Ideen. Schon als Kind besass er in Genf zusammen mit seinem Vater Treibhäuser, um tropische Vögel zu halten. Er sei später von den Vögeln auf die Reptilien gekommen. «Eine stammesgeschichtliche Verwandtschaft haben sie ja», sagt der Tropenornithologe schmunzelnd. Vögel aber begleiten ihn noch immer durch das Leben. Vom grössten Vogel, dem Strauss, über Kronenkraniche und Flamingos in Laufgehegen und Freivolieren bis zu Balistaren und Nikobartauben im begehbaren Freiflugraum bevölkern etliche Arten das Tropiquarium.

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Auch die Balistare sind in der Natur höchst bedroht. «Wir haben in der Tropenhalle zwei Zuchtpaare.»Insgesamt tummelten sich elf dieser schneeweissen Vögel in der Freiflughalle. Dabei handelt es sich um ein grosses Treibhaus mit üppigem Tropenpflanzenwuchs. Die Raritäten leben völlig frei. «Sie brüten in Höhlen, die sie selbst finden, beispielsweise im Wurzelgeflecht des wuchernden Fensterblattes.» Am Boden wuseln die hübschen Strausswachteln, ebenfalls Asiaten, und die majestätischen Krontauben kommunizieren tiefgurrend miteinander. Eine Tropenidylle im Waadtland. Er sei praktisch täglich hier, sagt Philippe Morel,lachend, während er bei den südafrikanischen Brillenpinguinen vorbeischaut, die eben mit Fischen gefüttert werden. Padar und Flores hingegen haben sich wieder unter ihre Wärmelampen gelegt, die Augen geschlossen und räkeln sich wohlig an der Wärme.

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