Neugierig blicken die Widder vom Fressen auf, als vier Menschen ihren Stall betreten. Einige kommen nahe heran und schnuppern an ihnen. Andere weichen aus und warten darauf, dass die Türe zur Weide aufgeht. Kaum ist dies der Fall, marschieren die Böcke, angeführt von zwei Walliser Landschafen, zügig hinaus und erobern die Weide, auf der der Schnee unter der Sonne regelrecht wegschmilzt.

Es ist eine bunt gemischte Schar, die sich nun im steilen Gelände des Tannenbergs oberhalb von Weggis im Kanton Luzern vertut: Walliser Landschafe, Saaser Mutten, Engadinerschafe, Bündner Oberländer Schafe und Spiegelschafe. Einzig Skudden fehlen. Dann wäre der Reigen der Schafrassen vollständig, die die Stiftung ProSpecieRara (PSR) seit Jahren betreut und mit Erhaltungs- und Zuchtprogrammen vor dem Aussterben bewahrt.

Der Projekthof Tannenberg ist ein weiterer Meilenstein in diesem Bestreben. «Wir träumten schon lange von einem eigenen Hof, wo wir eigene Aktivitäten durchführen können», sagt Philippe Ammann, stellvertretender Geschäftsführer und Leiter Tiere bei PSR. Als ihnen die Stiftung, die den Tannenberg besitzt, den Hof anbot, sagte PSR zu und mietete den Betrieb mit seinen zehn Hektaren Grasland für einen symbolischen Beitrag.

[IMG 2]

Aufzucht unter gleichen Bedingungen

Seit Anfang 2022 teilen sich die Biologin Helena Römer und ihr Partner Martin Gröger, der Agrotechniker und Landwirt, die Betriebsleitung. Sie sind für die Administration zuständig und halten die Kontakte zu den Zuchtverbänden und den Züchtern, während Landwirt Maik Zimmerli die Alltagsarbeiten erledigt. Die Dexter-Rinder, die vorher auf dem Tannenberg gehalten wurden, gab PSR ab, behielt aber die sechs Spiegelschaf-Auen mit ihren Lämmern. Denn Schafe stehen neben Hühnern im Zentrum des Projekthofes.

Das erste Jahr stand ganz im Zeichen der Widder. Im Mai kamen 38 drei bis vier Monate alte Lämmer von fünf PSR-Rassen aus allen Himmelsrichtungen nach Weggis und lebten ständig zusammen. «Ziel war, Vergleiche zu erhalten, da sie unter den gleichen Bedingungen mit dem gleichen Futter und auf den gleichen Weiden zusammenlebten», erklärt Gröger. Im Zentrum dieser Gruppe sei die Frage nach ihrer Widerstandsfähig gegen Parasitenbelastung gestanden, ergänzt Römer.

«Wir liessen sie auf Weiden mit Wurmbefall, entwurmten sie und liessen sie nochmals auf dieselbe Weide.» Regelmässige Kotproben gaben Aufschluss darüber, wie verwurmt sie nach dem zweiten Weidegang wieder waren. «Einige sehr stark, andere viel weniger», sagt Römer und betont, dass die Unterschiede auch innerhalb einer Rasse gross waren und dass nicht eine Rasse grundsätzlich widerstandsfähiger gegen Parasiten ist als andere.

Harmonische Gruppe

Die Daten zeigten die Unterschiede von Tier zu Tier und mündeten in Zuchtempfehlungen. Ein Ziel des Projekthofs ist es schliesslich, die geeigneten Widder als Zuchttiere zu verkaufen. Von den total 60 Widdern am Tannenberg – im Laufe des Jahres kam eine zweite Gruppe ohne Parasitenanalyse hinzu – ist nach Beurteilung der Experten der Zuchtverbände etwa die Hälfte zur Zucht geeignet. Davon wurden laut Römer bis Ende 2022 bereits 18 verkauft. «Das ist eine gute Zahl, wir sind zufrieden.» Die nicht geeigneten Widder werden geschlachtet und das Fleisch selbst vermarktet.

[IMG 3]

Die Widder haben sich in der Zwischenzeit über die ganze Weide verstreut. Im Allgemeinen sei es eine sehr harmonische Gruppe, erklärt Gröger, auch die Unbehornten hätten nicht grundsätzlich den Kürzeren gezogen. «Vielleicht weil sie so jung zusammenkamen. Aber wir waren überrascht, wie gut es lief.» Es habe wilde Jungs und ruhigere, sagt Römer. «Ein bis zwei Unruhestifter probierten es bei allen und andere hielten sich aus allem heraus.»

Die 33-Jährige schwärmt von der Vielfalt der verschiedenen Rassen, die man sonst nicht so in einer Herde sehe, und spricht von einer interessanten Sache. «Wir machen Projekte, die der Zucht und dem Erhalt der Rassen dienen.» Projekte, die für einen normalen Betrieb nicht machbar seien und für die in der Landwirtschaft kein Geld vorhanden sei, ergänzen Gröger und Zimmerli. Dazu gehört die Aufzucht von Jungwiddern seltener Rassen.

Auenzucht und Brutstation

Nun, da das Parasitenprojekt beendet ist, schaue man bei den Widdern, die dieses Jahr nach Weggis kommen, auf Wüchsigkeit und Robustheit, sagt Ammann von PSR. «Wir wollen der Ort sein, wo die Widder aufgezogen werden.» Für Gröger ein wichtiger Mehrwert: «Es hat generell zu wenig Böcke, da die meisten kastriert werden und für die Zucht wegfallen.» Nicht zuletzt deshalb ist die genetische Breite innerhalb gewisser Rassen schmal.

Züchten wollen die Tannenberg-Betriebsleiter auch mit den übernommenen Spiegelschafen. Es seien sehr gute Auen, betont Römer. Deshalb haben sie ihnen für zwei Monate einen genetisch guten Widder zur Seite gestellt. Gröger möchte die Auen-Herde ausserdem um andere Rassen erweitern. «Bei den Saaser Mutten herrscht wirklich Bedarf.» Sie hätten sechs Widder der Rasse am Tannenberg. «Wenn wir gute Auen bekommen, suchen wir den richtigen Bock dazu.»

Richtig starten soll laut Ammann zudem die Hühnerbrutstation. Derzeit laufen namhafte Bruten, wie er es ausdrückt. Im Mai schlüpften erstmals Küken der Appenzeller Barthühner, Appenzeller Spitzhaubenhühner und Schweizerhühner. «Sie waren so unterschiedlich und sahen schon megaherzig aus», erinnert sich Römer. Die Küken gingen dann an Halter der drei PSR-Rassen.

«Vielleicht werden wir dereinst selbst Junghennen und Junghähne aufziehen, aber dafür braucht es eine Infrastruktur», erklärt Ammann. Bei sämtlichen Tätigkeiten des Projekthofs sei es wichtig, die Zucht- und Rasseverbänden an Bord zu haben und sich mit ihnen zu koordinieren. Sie bräuchten Tiere für die Lämmeraufzucht und Eier für die Brutstationen. Und sie bräuchten Züchterinnen und Halter, die ihnen die Schafe und Hühner abnehmen.